Kommentar
11:00 Uhr, 06.07.2015

China definiert Marktkräfte neu!

Vor weniger als zwei Jahren wurde ein 60 Punkte umfassendes Reformprogramm beschlossen. Viele der 60 Punkte befassten sich vor allem mit einem: den freien Marktkräften mehr Platz einzuräumen. Wie es aussieht, wenn China dem Markt mehr Freiheit einräumt, kann man jetzt ganz genau beobachten.

China klang mit seinem 60 Punkte Reformprogramm hochentschlossen dem Markt mehr Spielraum einzuräumen. Es war überraschend, dass China überhaupt so viele große Schritte in diese Richtung ging, denn letztlich beschloss die Führung nichts anderes als die Öffnung des Kapitalmarktes, eine Freigabe des Wechselkurses und die Durchsetzung des „Survival of the fittest“ Prinzips. Letzteres ist besonders wichtig und der Entschluss dazu war sehr mutig. Dahinter steht nämlich nichts anderes als dem Markt zu erlauben, Kapital frei und nach Belieben bestimmten Sektoren oder Unternehmen zuzuteilen.

Wenn Kapital frei wählen darf, wo es die besten Chancen für Rendite sieht bedeutet das nichts anderes, als dass Kapital aus Unternehmen abgezogen werden kann, die ineffizient und als nicht mehr zukunftsträchtig gelten. Von solchen Unternehmen hat China eine ganze Menge. Vor allem staatlich geführte Unternehmen versinken in Schulden und Ineffizienz. Kann sich Kapital frei bewegen, dann werden viele dieser Unternehmen in den Bankrott gehen. Bisher war das undenkbar. Staatliche Firmen wurden immer weiter und weiter finanziert, selbst wenn es unter marktwirtschaftlichen Aspekten überhaupt keinen Sinn mehr machte. Getan wurde dies über staatliche Banken. Sie wurden angewiesen den betroffenen Firmen immer neue Kredite zu gewähren.

Bisher sind nur sehr wenige Unternehmen tatsächlich den freien Marktkräften zum Opfer gefallen. China versucht wie immer einen langsamen Übergang. Wie so etwas aussieht, kann man gerade bei der Lösung der Schuldenkrise der Lokalregierungen beobachten. Eigentlich hatte Peking angekündigt, den freien Marktkräften zu überlassen wie und wo das Kapital hinfließt. Jetzt, da es um die Lokalregierungen geht, ist davon kaum noch die Rede. Streng genommen müssten einige Lokalregierungen in die Insolvenz gehen. Das wird jedoch nicht zugelassen. Trotz mangelnder Bonität fließt das Geld weiter. Staatliche Eingriffe machen es möglich. Von freier Marktwirtschaft ist keine Spur – weit und breit nicht, nicht einmal am allerentferntesten Horizont.

Die Grafik zeigt die explosionsartige Entwicklung der Schulden der Lokalregierungen. Der Schuldenberg steht bei gut 18 Billionen Yuan (ca. 2,9 Billionen USD) oder einem Drittel des BIPs. Das ist zu viel, insbesondere, weil die Schulden über Kredite bei Banken finanziert wurden.

Im Normalfall würde eine Überschuldung gelöst werden, indem dem Schuldner ein Teil seiner Schulden erlassen wird. Im Falle Chinas geht das nicht, ohne eine ausgewachsene Bankenkrise herbeizuführen. Die Rücklagen der Banken für faule Kredite sind niedrig. Ein schneller Anstieg notleidender Kredite würde Banken vor ernsthafte Kapitalprobleme stellen. Banken müssten rekapitalisiert werden, aber von wem?

Ausländische Investoren werden sich hüten, gutes Geld einem staatlichen Schuldenmoloch hinterherzuwerfen. Inländischen Investoren fehlt entweder das Geld bzw. würden sie sich nie darauf einlassen. Was bliebe wäre ein staatlicher Eingriff, doch wie ernst kann man eine Rekapitalisierung über den Staat nehmen, wenn dieser die Notwendigkeit dafür ausgelöst hat?
Ein Schuldenschnitt ist keine Lösung. Was bleibt, das ist eine versteckte Umstrukturierung der Schulden. Peking hat beschlossen, dass die Kredite abgebaut werden. Dies geschieht, indem Lokalregierungen Anleihen begeben und mit dem eingenommenen Geld einen Teil der Schulden begleichen.

Für Banken ist bereits das ein Problem. Die Kredite laufen mit Zinsen von 7% oder mehr. Sinkt die Summe der Kredite, dann gehen die Einnahmen der Banken drastisch zurück.
Für die Lokalregierungen machen Anleihen nur Sinn, wenn sie weniger kosten als die Kredite. Die bisher begebenen Anleihen rentieren tatsächlich darunter mit Renditen von 3,5 bis 4,5%. Diese Rendite ist für Schuldner mit schlechter Bonität traumhaft. Risikoadäquat sind sie nicht.

Die niedrige Rendite wurde bis zu einem gewissen Grad verordnet. Banken, die vorher die Kredite vergeben hatten, sollen die Anleihen kaufen. Ursprünglich wehrten sie sich dagegen, weil sie erkannten, dass die Rendite das Risiko nicht widerspiegelt. Jetzt landet ein Großteil der Anleihen doch in den Bankbilanzen. Die Zentralbank hat es ihnen schmackhaft gemacht. Die Anleihen können bei der Zentralbank als Sicherheit hinterlegt werden. Mit diesen Sicherheiten geborgtes Geld hat einen niedrigeren Finanzierungssatz als die herkömmliche Refinanzierung. Wie hoch dieser „Refinanzierungsrabatt“ ist, ist noch nicht ganz klar. Nimmt man an, dass er z.B. bei einem Prozentpunkt liegt, dann kann man diesen Prozentpunkt gedanklich zu der Anleihenrendite hinzuzählen. Den Prozentpunkt sparen die Banken bei der Refinanzierung. Im Gegenzug kaufen sie Anleihen mit zu niedriger Rendite.

Trotz dieser Finanzalchemie ist die Geschichte noch lange nicht am Ende. Die Anleihenemissionen stehen erst ganz am Anfang. Das bisher ausgegebene Volumen ist nur ein Bruchteil dessen, was noch kommen soll. Doch bereits jetzt gelingt es einigen Lokalregierungen nicht ihre Bonds zu platzieren. Obwohl Banken zu Käufen gedrängt werden bleibt das Interesse bei der gegebenen Rendite niedrig. Einige Emissionen wurden bereits abgesagt, denn die Lokalregierungen können nicht einfach den Zins für die Anleihe erhöhen. Sie müssen schließlich eine günstigere Finanzierung haben als ihre derzeitigen Kredite. Sonst macht das alles keinen Sinn.

Um Abhilfe zu schaffen soll nun der Sozialversicherungsfonds Chinas die Anleihen der Lokalregierungen kaufen dürfen. Damit wird direkt das Geld der Bürger in die Staatsfinanzierung gesteckt. China begibt sich damit auf einen Pfad, der äußerst gefährlich ist. Banken werden Ramschanleihen zu zu niedrigen Zinsen aufgedrängt und das Geld der Bürger wird umgeleitet. So sieht es also aus, wenn China davon spricht mehr Marktkräfte walten zu lassen...

Trotz aller Bemühungen dürfte der Druck für die Lokalregierungen groß bleiben. Die Anleihen gehen nicht gerade in berauschendem Tempo über den Ladentisch. Sie sind Ladenhüter. Das sorgt dafür, dass der Druck auf die Renditen steigt. Steigen die Renditen bzw. die langfristigen Zinsen dieser Anleihen, dann konterkariert das die Zinssenkungen der Zentralbank am kurzen Ende (Senkung des Leitzinses) bis zu einem gewissen Grad.

Man kann anhand dieses Beispiels zwei Dinge festhalten. Erstens: China ist noch lange nicht bereit sich zu öffnen und dem Markt mehr Spielraum zu geben. Zweitens: China verstrickt sich weiterhin in Subventionierung von Ineffizienz. Gleichzeitig versucht es sich dadurch am eigenen Schopfe aus dem Sumpf zu ziehen.

Das alles ist mehr als nur ernüchternd. Als Peking die Reformliste vor einiger Zeit veröffentlichte war ich einigermaßen zuversichtlich, dass es Fortschritte geben würde. Jetzt macht China mehrere Schritte zurück, auch wenn es unter dem Deckmantel von „Marktkräften“ geschieht. Die Marktkräfte, die China hier anwendet heißen Anleihen. Eigentlich wird der Preis von Anleihen vom Markt bestimmt. Wie die Verfahrensweise jedoch zeigt haben diese chinesischen Anleihen überhaupt nichts mit freier Preisbildung zu tun. Es ist ehrlich gesagt eine Farce, ein Trauerspiel.

Bisher ist es China gelungen, das System durch Finanzalchemie zu erhalten. Die Steuerung kennt allerdings Grenzen. Die Notenbank und Regierung wollten etwas Luft aus dem Aktienmarkt ablassen. Stattdessen ist die Blase dort geplatzt. Jetzt wird von der Notenbank die Geldpolitik fieberhaft gelockert, doch nutzen tut es nichts. Chinas Führung scheitert gerade an der Steuerung des Marktes. Das kann sich zu einer größeren Krise auswirken und sollte man im Auge behalten.

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1 Kommentar

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  • dschungelgold
    dschungelgold

    Hab ich nicht GERADE EBEN gelesen, das Chinas Regierung nun auch Aktienstuetzkaeufe durchfuehren will? Wie vereinbart sich das mit diesem Artikel?

    12:12 Uhr, 06.07. 2015

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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