Fundamentale Nachricht
12:33 Uhr, 05.12.2019

Chancen bei europäischen Anleihen dank ausgeprägter politischer und wirtschaftlicher Veränderungen

Merkels Schwäche, die US-Präsidentschaftswahlen und Lagardes Agenda sind Themen, deren Beobachtung David Zahn, Chef für Europäische Anleihen bei Franklin Templeton, Anlegern in Europa für 2020 empfiehlt, auch wenn wahrscheinlich der Brexit die Schlagzeilen beherrschen wird.

Der weitere Verlauf des Brexits wird Europa 2020 wahrscheinlich weiterhin beeinträchtigen, vor allem, weil die Art der Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union demnächst festgelegt werden muss. Doch da der Brexit die Schlagzeilen wahrscheinlich beherrschen wird, besteht die Gefahr, dass die Anleger andere Themen vernachlässigen, die die Marktvolatilität deutlich erhöhen könnten.

Merkels Schwäche verursacht ein Machtvakuum im Herzen Europas

Die jüngste Schwäche der deutschen Wirtschaft ist ein viel beachtetes Thema. Allerdings sind wir der Ansicht, dass die deutsche Politik ein größeres Potenzial hat, im kommenden Jahr für Überraschungen zu sorgen, denn der Rückzug von Merkel 2021 rückt näher. Die deutsche Wirtschaft bleibt unseres Erachtens fundamental solide, obwohl das verarbeitende Gewerbe empfindlich auf die globalen Handelsspannungen reagiert. Die Bestimmung von Merkels Nachfolger(in) scheint angesichts ihres Machtverlusts an der Spitze einer wackelnden Koalition, die durch die Stimmengewinne der rechtsextremen Alternative für Deutschland unter starkem Druck steht, eine viel kompliziertere Frage zu sein.

In diesem Land, das für reibungslose, seltene Machtwechsel bekannt ist, gibt es keinen klaren Favoriten für die Nachfolge der deutschen Kanzlerin. Dieses sich ausweitende Machtvakuum wird intensiviert durch die wenig überzeugende Bilanz der von Merkel favorisierten Annegret Kramp-Karrenbauer seit deren Übernahme des Parteivorsitzes bei der regierenden Christlich-Demokratischen Union Deutschlands Ende 2018. Wie die Führungskrise beim wichtigsten EU-Staat gelöst wird, wird – genau wie die daraus folgenden Konsequenzen für die Rolle Deutschlands in Europa – wahrscheinlich weitreichende Auswirkungen haben und verdient genaue Aufmerksamkeit.

Neben der deutschen Politik werden sicher auch der Wahlkampf und die Ergebnisse der US-Präsidentschaftswahlen Ende 2020 Einfluss auf die europäischen festverzinslichen Anlagen nehmen. Falls die Strategie des nächsten US-Präsidenten den Übergang zu einer expansiveren Haushaltspolitik umfasst, erwarten wir, dass die Renditen europäischer Anleihen mitgehen, wenn die weltweiten Renditen steigen, unabhängig davon, ob Europa bis dahin ähnliche Expansionsmaßnahmen ergriffen hat.

Lagarde will mutige klimafreundliche Agenda durchsetzen

Ein Führungswechsel, der im Jahr 2020 sehr bedeutende Folgen für Europa haben könnte, ist bereits vollzogen: Christine Lagarde wurde als Nachfolgerin von Mario Draghi zur Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) berufen. Ihre Prioritäten für die Zukunft scheinen sich drei Bereichen zuordnen zu lassen: Entwicklung hin zu einer vollständigen Bankenunion im Euroraum, Druck auf Mitgliedstaaten mit Haushaltsüberschüssen, um haushaltspolitische Anreize für mehr Wachstum zu schaffen, sowie die Verankerung des Klimaschutzes im Zentrum der EZB-Strategie.

Bei der konventionellen Geldpolitik scheint Lagardes Handlungsspielraum durch die bereits sehr lockere Haltung der Zentralbank eingeschränkt zu sein. Doch im Fall eines stärkeren wirtschaftlichen Abschwungs wird Lagarde wahrscheinlich die Ausweitung der quantitativen Lockerung auf andere Finanzanlagen erwägen, möglicherweise auch auf börsengehandelte Fonds und Bank Loans. Die Verknüpfung dieser Agenda mit Aufkäufen klimafreundlicher Wertpapiere wird dadurch behindert, dass der Markt für grüne Anleihen vergleichsweise klein ist. In letzter Zeit tun sich aber mögliche Alternativen auf. Im Zuge der Erwägungen bei der Europäischen Investitionsbank (EIB), sämtliche Finanzierungen für fossile Brennstoffe zu beenden, hat sich die neue Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen für eine führende Rolle der EIB bei der Finanzierung des EU-weiten Übergangs zu einer CO2-armen Wirtschaft ausgesprochen.

Obwohl die Wirtschaftsleistung des Euroraums 2019 für düstere Stimmung sorgte, sind wir der Meinung, dass die Anleger den relativ starken Arbeitsmarkt der EU und dessen positiven Einfluss auf die Konsumausgaben nicht aus dem Auge verlieren sollten. Wenn die weltweiten Handelsspannungen nachlassen, könnte die deutsche Wirtschaft schnell wieder anziehen. In Kombination mit der soliden Grundlage durch die Binnennachfrage könnte sich somit das Wachstum 2020 stabilisieren. Dennoch ist es wohl unwahrscheinlich, dass das Wachstum im Euroraum schnell genug Boden wettmacht, damit die EZB ihre stützende Haltung mit extrem niedrigen Zinsen und quantitativer Lockerung aufgibt.

Der Brexit wird 2020 einen von vielen Einflussfaktoren für die europäischen Anleihenmärkte darstellen. Viele Anleger finden die zunehmende Diversifizierung in Europa, zurückzuführen auf die Inanspruchnahme der relativ niedrigen Fremdkapitalkosten durch globale Emittenten, attraktiv. Sie bietet Chancen auf für ausländische Marktteilnehmer, selbst wenn diese die Kosten für die Absicherung des Währungsrisikos einrechnen. Trotzdem nehmen wir eine etwas vorsichtige Haltung ein, um die Marktvolatilität nutzen zu können, sobald sie auftritt – was angesichts der politischen und wirtschaftlichen Veränderungen, die im Jahresverlauf wahrscheinlich sind, unvermeidlich scheint.

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