Kommentar
08:46 Uhr, 07.07.2016

Britisches Pfund vs. US-Dollar: Auf dem Weg zur Parität?

Das britische Pfund fällt und fällt. Gestern fiel es auf einen Tiefststand seit Juni 1985 mit Kursen unter 1,30. Die Parität scheint trotzdem weit entfernt, oder nicht?

Die Wechselkursbewegung einer Währung gehört zu den besten Maßstäben, um den Zustand einer Wirtschaft zu beurteilen, sofern die Währung frei gehandelt wird. Das britische Pfund kann frei gehandelt werden. Trader tun das aktuell besonders intensiv und vor allem in eine Richtung. Das Pfund wird verkauft, gegen so ziemlich alles, was nicht bei 3 auf den Bäumen ist.
Ganz besondere Aufmerksamkeit genießt der Wechselkurs gegenüber dem Dollar. Hier erreicht der Kurs fast täglich neue Rekorde. Geht der Kursverfall weiter wie bisher, dann könnte auch das Tief aus dem Jahr 1985 (1,052) wohlmöglich früher fallen als viele denken.

Seit Brexit: Drastischer Kurseinbruch

Wie dramatisch der Kurseinbruch seit dem Brexit-Votum verläuft, zeigt Grafik 1. Der Kurseinbruch ist fast beispiellos. Lediglich während der Finanzkrise und als George Soros die Bank of England Anfang der 90er Jahre „knackte“ kam es zu ähnlichen Kursbewegungen.

Das Pfund verliert nicht nur gegenüber dem Dollar kräftig an Wert, sondern auch gegenüber so ziemlich allen anderen Währungen. Erkennen kann man das anhand des Pfund-Index. Der Pfund-Index zeigt den Kurs des Pfund gegenüber einem von der Bank of England berechneten handelsgewichteten Währungskorbes. Hier fehlt nicht mehr viel bis das Pfund ein neues Rekordtief erreicht.

Leistungsbilanz: Sehr negativ

Der Markt muss sich in den kommenden Wochen erst noch eine abschließende Meinung über das Pfund bilden. Einer der wichtigsten Faktoren wird dabei die Leistungsbilanz sein, denn diese ist tiefrot. Wie rot die Leistungsbilanz ist, zeigt Grafik 2. Die Bilanz ist in absoluten Zahlen dargestellt und im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung.

Zuletzt lag das Defizit bei 32,6 Mrd. Pfund im ersten Quartal 2016. Man muss fest davon ausgehen, dass dieser Wert im zweiten Quartal ähnlich hoch sein wird und im dritten, wenn die Pfundabwertung richtig zum Tragen kommt, signifikant ansteigt.

Bereits jetzt liegt das Defizit bei knapp 7 % der Wirtschaftsleistung. Das bedeutet, dass Großbritannien für den Handel von Gütern und Dienstleistungen sowie durch Einkommen aus und Zahlungen für Investitionen jedes Jahr 7 % der Wirtschaftsleistung mehr ins Ausland überweist als es im Gegenzug einnimmt.
Im Handel mit Gütern und Dienstleistungen fiel zuletzt ein Defizit von 12 Mrd. Pfund pro Quartal an. Da Großbritannien bei einer schwächeren Währung mehr für Importe zahlen muss, wird sich dieses Defizit kurzfristig automatisch ausweiten. Es dauerte für gewöhnlich relativ lange, bis Importe durch heimische Güter ersetzt werden können.

Inflationsgefahr in Großbritannien!

Über den Handel kann es in den kommenden Monaten zu einem merklichen Anstieg der Inflation kommen. Wie weit dieser Anstieg geht, kann man aktuell nicht abschätzen. Es wird jedoch interessant sein, was die Notenbank tut, wenn die Inflation plötzlich 4 % erreicht.

Das Defizit wird neben dem Handel auch dadurch bestimmt, dass Geld über Investitionen aus dem Land fließt. Großbritannien selbst hat im Ausland knapp 1,4 Billionen Pfund investiert und erzielt auf diesen Assets eine Rendite von 3 % (z.B. über Dividenden oder Mieteinnahmen bei Immobilien). Ausländische Investoren halten in Großbritannien (GB) knapp 1,3 Billionen Pfund an Assets und erzielen mit diesen gut 5 % Rendite. Hier muss man nicht lange rechnen, um zu erkennen, dass mehr Geld aus GB abfließt als es einnimmt. Weitere fast 6 Mrd. Pfund je Quartal verliert GB durch Transferzahlungen ins Ausland, meist durch die Regierung (z.B. innereuropäische Zahlungen, Entwicklungshilfe etc.).
Das Defizit in der Leistungsbilanz muss irgendwie ausgeglichen werden. Dies geschieht im Normalfall über Schulden und den Erwerb von inländischen Assets durch ausländische Investoren. Bisher hatte GB kein Problem dieses Defizit zu finanzieren, nicht zuletzt, weil das Pfund als Reservewährung verwendet wird. Nach dem Brexit-Votum dürfte sich der Reservestatus der Währung nicht sofort ändern, indem der Internationale Währungsfonds der Währung den Status aberkennt, doch Investoren dürften das praktisch anders sehen und weniger Pfund halten wollen.

GB hat eines der größten, wenn nicht sogar das größte Leistungsbilanzdefizit der Welt (gemessen relativ zur Wirtschaftsleistung). Auch die USA haben ein großes Defizit, welches sie dank ihrer Währung (der Dollar ist die Reservewährung schlechthin) finanzieren können. In GB dürfte das in Zukunft schwieriger werden.

Die Abwertung des Pfunds bedeutet kurzfristig erst einmal, dass die Zahlungen ans Ausland zunehmen werden. Es müssen mehr Pfund aufgebracht werden, um Verpflichtungen in Fremdwährungen nachzukommen, z.B. aus dem Handel. Kurzfristig ziehen Investoren auch Kapital ab. Sie verkaufen Assets, die sie in GB halten. Investoren erhalten bei Verkauf zunächst Pfund, wechseln diese dann jedoch in ihre Heimatwährung. Das schwächt das Pfund ebenfalls.
Staaten, die sich in ähnlichen Situationen befunden haben, zeigten für gewöhnlich einen raschen Schwund ihrer Devisenreserven. GB hat den letzten Angaben zufolge Reserven in der Höhe von 1,4 Billionen Dollar. Das ist relativ komfortabel, doch in den kommenden Monaten werden diese Reserven wohl sehr stark sinken.

Die BoE muss vielleicht die Zinsen erhöhen - kündigt aber das Gegenteil an

Hört die Pfundabwertung nicht innerhalb der nächsten Wochen auf, wird es schnell ungemütlich. Die Notenbank hat zwar Devisenreserven, doch diese reichen nicht einmal ansatzweise aus, um das Pfund durch Interventionen zu stützen. Das Land kann dann nur eine weitere Abwertung stoppen, indem die Notenbank die Zinsen erhöht. Derzeit sieht es eher nach dem Gegenteil aus.

Wieso aber sollte sich GB überhaupt um eine Abwertung Sorgen machen? – Wertet das Pfund zu stark ab, dann ergibt sich früher oder später ein sich selbst verstärkender Rückkopplungseffekt. Je mehr das Pfund abwertet, desto eher und schneller holen ausländische Investoren ihr Geld heim. Das führt zu weiterem Abwertungsdruck und zu einem aus dem Ruder laufenden Handelsbilanzdefizit. Je unausgeglichener die Handelsbilanz bzw. die gesamte Leistungsbilanz ist, desto mehr Geld fließt aus dem Land heraus, was wiederum für weiteren Abwertungsdruck sorgt. Am Ende stehen sehr hohe Inflationsraten und möglicherweise auch hohe Zinsen.
Es ist derzeit absolut bemerkenswert, dass die Renditen britischer Staatsanleihen fallen. Sowohl Währungstrend als auch die Inflationsaussichten sollten eigentlich für einen Anstieg sorgen. Nur die Erwartung, dass die Notenbank Anleihen aufkaufen wird, kann die Renditen wohl nach unten treiben und dort halten.

Ausländische Investoren dürften derzeit Anleihen verkaufen, während sie im Risk-off Modus vom heimischen Investoren aufgeschnappt werden. Lässt diese erste Nachfragewelle nach, dürften auch die Renditen wieder steigen. Muss die Notenbank diese durch Anleihenkäufe niedrige halten und entsprechend die Geldmenge ausweiten, dann führt das ebenfalls zu Abwertungsdruck der Währung.

Wie man es dreht und wendet, das Pfund steht schwer unter Beschuss. Es gilt den Wechselkurs sehr genau zu beobachten, denn dieser wird lange vor den Zinsen anzeigen, ob es zu schwerwiegenden Problemen kommen wird. Kurz zusammengefasst kann man sagen: wertet das Pfund ab, sollten Anleger auf der Hut sein. Stabilisiert sich das Pfund oder wertet auf, dann befindet sich der Markt wieder im Risk-on Modus.

Clemens Schmale

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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