Kommentar
09:30 Uhr, 28.10.2016

Brexit: Wo bleibt denn der Schock?

Großbritannien wächst - und zwar deutlich schneller als die meisten anderen europäischen Länder. Ist der Brexit-Schock ein hinterlistige Erfindung der Brexit-Gegner?

Die gestrigen Zahlen waren ziemlich ermunternd. Großbritannien kann eine Wachstumsrate ausweisen, von der die meisten nur träumen können. Im dritten Quartal wuchs die Wirtschaft im Vergleich zum zweiten Quartal 2016 um 0,5 %. Im Vergleich zum Vorjahr wuchs die Wirtschaft um 2,3 %.

Die meisten EU Länder haben ihre Schätzungen für das Q3-Wachstum noch nicht veröffentlicht. Doch auch ohne diese Zahlen kann man guten Gewissens sagen, dass Großbritannien die meisten Länder mit seinem Wachstum schlägt. Frankreich schrumpfte zuletzt. Dass Frankreich Großbritannien auf wundersame Weise im dritten Quartal überholt hat, ist unwahrscheinlich. Auch Italien, Belgien, Österreich, Dänemark, Finnland, Portugal, Griechenland, Litauen, Estland und Malta lässt das Königreich locker hinter sich.


Die Jahreswachstumsrate zeigt seit Ende 2015 wieder einen Aufwärtstrend. Betrachtet man die Zeitreihe (siehe Grafik) dann gewinnt man fast den Eindruck, dass Großbritannien zum großen Sprung ansetzt und ein neuer Boom bevorsteht. Aus Quartalssicht lässt sich das so nicht bestätigen. Das Quartalswachstum ist im Vergleich zu den Jahren 2012 bis 2014 systematisch einen halben Prozentpunkt geringer.

Dass Großbritannien trotz des erwarteten Brexit-Schocks im dritten Quartal kräftig wachsen konnte, hat viele überrascht. Die Erwartung von 0,3 % wurde deutlich übertroffen. Das ist bemerkenswert, denn viele hatten einen merklichen Rückgang der Aktivität erwartet. Im Juli und August fielen Verbraucher- und Unternehmensvertrauen auf Niveaus, die sonst nur in Rezessionen erreicht werden.

Davon zeigt sich nun nichts. Bevor man den Brexit-Schock nun gleich zu einer Fata Morgana erklärt, darf man einige Aspekte nicht vergessen. Betrachtet man die Details, dann wird klar, was geschehen ist. Das Statistikamt definiert vier Sektoren (Landwirtschaft, Produktion, Bau, Dienstleistungen). Alle Sektoren, bis auf den Dienstleistungssektor, schrumpften über den Sommer, teilweise mit sportlichen 1,4 % (Bau). Nur der Dienstleistungssektor konnte mit 0,8 % zulege. Da der Dienstleistungssektor knapp 80 % ausmacht, fällt das wegbrechende Wachstum im Rest der Wirtschaft nicht auf.

Der Dienstleistungssektor wiederum konnte nur wachsen, weil die Nachfrage des Staates zulegte. Der Staat trug ein Viertel zum Wachstum im Servicebereich bei. Der Rest wurde fast ausschließlich durch die Hotellerie und Restaurants gestemmt. Das sprunghafte Wachstum ist einem rasanten Anstieg des Tourismus zu verdanken. Dank rascher Pfundabwertung kamen so viele Touristen nach Großbritannien wie lange nicht.

Ob Staatsausgaben und Tourismus auf Dauer eine Wirtschaft von 2,6 Billionen tragen können, kann sich jeder selbst denken. Die Zahlen sind kein Grund, den besten Champagner aus dem Keller zu holen. Sie sind allerdings auch kein Schocker. Vielmehr zeigt sich immer mehr, dass es tatsächlich einen kurzfristigen Brexit-Boom gibt (Tourismus, Staat und Konsum). Langfristig dürfte das Wachstum dafür systematisch niedriger sein. Ebben die Sondereffekte erst einmal ab, treten die Probleme im Rest der Wirtschaft in den Vordergrund. Man sollte also nicht überrascht sein, wenn sich die Brexit Folgen im Wachstum erst in Q4 und in Q1 2017 zeigen.

Clemens Schmale

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10 Kommentare

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  • Dieter_HW
    Dieter_HW

    Wenn der Verfasser eines Artikels nicht in der Lage und Willens ist hier mit zu diskutieren, dann kann er nicht hinter dem stehen was er geschrieben hat. Mittlerweile ist dieses Verhalten in fast allen Portalen zu sehen. Frage an Godmode: warum soll ich hier überhaupt kommentieren ? Was wird damit bezweckt, außer dumpfbackige Werbung zu platzieren?

    00:43 Uhr, 31.10. 2016
    1 Antwort anzeigen
  • moneymaker22
    moneymaker22

    Ja, wo soll der Brexit-Schock auch herkommen wenn sich noch nichts geändert hat ?

    12:31 Uhr, 28.10. 2016
  • Anda
    Anda

    Ist der Brexit-Schock ein hinterlistige Erfindung der Brexit-Gegner?

    Sehr geehrter Herr Schmale, mit so einer Unterzeile füttern Sie auf subtile Weise all jene, die zu Verschwörungstheorien neigen. Man liest das - und sieht vor dem geistigen Auge die "Hinterlistigen", die die Masse veräppeln oder auch abzocken. Die Hinterlistigen sind natürlich überall am Werk, vor allem im Börsenfeld, auf politischer Ebene sowieso...

    Wobei man sich, konsequenterweise, dann aber auch fragen müsste, ob die Beiträge all jener GMT-Autoren, die vor den wirtschaftichen Brexit-Folgen für Großbritannien warnten, ebenfalls aus "hinterlistiger" Feder stammten ...?

    Gleichviel: Der Brexitdiskurs war von Anfang an einer, der auch leidenschaftlich mit Meinungen, Vermutungen und Spekulationen hausieren ging, die je nach Interessenlage (oder auch subjektiver Gedankentiefe) ausfielen und als Fakten aufgetischt wurden. Es ist also wohl eher ein klassisches Diskursmuster, das da auf selbstverständliche Weise bedient wurde - kein geplanter Akt der Sabotage öffentlicher Meinungsbildung. Das dürfte Ihnen ebenso klar sein... Ohnehin wird die (rhetorische) Frage der Unterzeile dem Niveau ihres Textes nicht gerecht. Es wundert, dass Sie derlei Effekthascherei meinen einsetzen zu müssen...

    Was der Brexit ökonomisch auslösen wird, das wird sich noch weisen. Zurückhaltung und Diffenrenzierung in der (prophetischen) Interpretation tun da weiterhin Not. Ihre Texte sind dafür doch in der Regel bestes Beispiel. Warum nicht auch Ihre Überschriften?

    12:27 Uhr, 28.10. 2016
  • netzadler
    netzadler

    von dem Wachstum der vergangenen jahre kam viel von der City of London, ergo viel heisse luft. durch die pfundabwertung fließt irgendwann wieder langfristiges kapital nach England, wenn GBP erstmal einen boden hat.

    für die breite Bevölkerung wird sich das längerfristig positiv auswirken, man darf sich nur nicht vom Mainstream beschwatzen lassen. das kapital in der City of London wird halt federn lassen, aber das ist eh meist auslandsgeld.

    also unter dem strich haben die Engländer mit dem brexit aus nationaler sicht alles richtig gemacht, kann man ihnen nicht übel nehmen. Die EU braucht sowieso einen zweiten anlauf und wenn der irgendwann kommt sind auch die Engländer wieder dabei.

    der weg bis zur zweiten EU wird allerdings ein knallharter, das ist sicher

    10:54 Uhr, 28.10. 2016
  • Chamäleon
    Chamäleon

    Die Situation in GB kann man mit einer Pflanze vergleichen.

    Wenn man viele kleine Wurzeln abschneidet und nur die Dicken stehen läßt,

    wird die Pflanze nicht sterben, aber lange vor sich hin kränkeln.

    Es sei denn, man fördert Neues Wachstum für kleine Wurzeln.

    10:45 Uhr, 28.10. 2016
  • Andreas Hoose
    Andreas Hoose

    Im Zusammenhang mit den realen Brexit-Erfahrungen könnte es sich lohnen, einmal darüber nachzudenken, was von den Katastrophenszenarien zu halten ist, die angeblich über uns hereinbrechen, sollten einige Großbanken in die längst überfällige Pleite geschickt werden.

    10:17 Uhr, 28.10. 2016
  • GEZet
    GEZet

    was ist herr schmale, wenn der einbruch nicht kommt. werden sie wie tausende

    andere journalisten schreiben, sorry, wir haben uns getäuscht und mist geschrieben?

    ich glaube, wir alle kennen die antwort.

    10:11 Uhr, 28.10. 2016
    1 Antwort anzeigen
  • tarotjr
    tarotjr

    Danke für die ausführlichen Erläuterungen der Hintergründe. Wichtig zu wissen, was hinter den Zahlen steckt.

    09:58 Uhr, 28.10. 2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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