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14:03 Uhr, 24.06.2016

„Brexit“: Börsencrash, Rezession und das Ende Europas?

Das sagen Finanzexperten in einer ersten Einschätzung zum überraschenden Entscheid der Briten für den „Brexit“:

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München (GodmodeTrader.de) - Die gestrige Volksabstimmung in Großbritannien überraschte mit einer knappen Mehrheit für den Ausstieg aus der Europäischen Union, dem sog. „Brexit“. Wie am Freitagmorgen nach Abschluss der Auszählung bekannt wurde, stimmten die Briten beim Referendum mit 51,9 Prozent dafür. Das Lager der Austrittsgegner unterlag mit 48,1 Prozent der Stimmen. Premierminister David Cameron kündigte daraufhin seinen Rücktritt an. Umfragen und Wettquoten hatten zuletzt auf eine Mehrheit für den Verbleib des Landes in der EU hingedeutet.

Das „Nein“ der Bürger Großbritanniens zu einem Verbleib in der Europäischen Union (EU) hat am Morgen danach einen Schock auf den Finanzmärkten ausgelöst. „Wir erwarten einen spürbaren Rückgang der Unternehmensinvestitionen und der privaten Konsumausgaben“, sagt Chris Jeffery, Stratege bei LGIM. „Vor diesem Hintergrund würde Großbritannien bereits in der zweiten Jahreshälfte 2016 in die Rezession rutschen.“

„Nach den jüngsten Umfrageergebnissen war die Entscheidung der britischen Bevölkerung für den Austritt aus der EU eine Überraschung. Jetzt rechnen wir mit einer deutlichen Abschwächung des britischen Pfunds in Richtung Parität zum Euro und um die 1,20 gegenüber dem US-Dollar“, erläutert Charles Hepworth, Investment Director bei GAM.

„Die ökonomischen und politischen Auswirkungen sind angesichts der Unsicherheiten über die künftige politische Konstellation in Großbritannien, über das in Zukunft herrschende Handelsregime zwischen dem Land und der EU sowie über die Auswirkungen auf die Zukunft der Europäischen Union schwer abzuschätzen“, betont Peter Szopo, Aktien-Chefanalyst der Erste Asset Management. Daher sei davon auszugehen, dass die Märkte auch nach der unmittelbaren Marktreaktion am heutigen Tag die Märkte mittelfristig in einem „Risk-off“-Modus bleiben würden, in dem Investoren Risiko mieden und Risikoanlagen dementsprechend unter Druck blieben. Wirtschaftspolitische Gegenmaßnahmen, vor allem seitens der Zentralbanken, würden die negativen Folgewirkungen mildern, aber nicht komplett abfedern können, heißt es weiter.

„Grundsätzlich ist es noch zu früh, um die Auswirkungen auf die britische und die europäischen Volkswirtschaften zu beurteilen. Alles hängt davon ab, wie die Beziehung zwischen Großbritannien und Europa verhandelt wird. Es wird geraume Zeit dauern, bis wir wissen, was der Austritt aus der EU bedeutet – es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es zu einer Parlamentswahl oder sogar zu einem EU-Verfassungsgipfel kommt, um Großbritannien alternative Rahmenbedingungen anzubieten. Entscheidend ist nicht, wie der heutige Tag ausgeht, sondern wo wir in einem Monat oder in einem Jahr stehen werden“, meint Eric Lonergan, Fondsmanager Multi-Asset bei M&G Investments.

„Natürlich startet der Countdown bis zum Austritt Großbritanniens aus der EU erst dann, wenn die britische Regierung einen offiziellen Antrag stellt. Es spricht einiges dafür, dies nicht sofort zu tun. Es muss eine Menge an Infrastruktur geschaffen werden, damit dieser Vorgang in die Wege geleitet werden kann. Und nächstes Jahr folgen wichtige Wahlen in Deutschland und Frankreich. Da es sich dabei um die zwei Hauptpartner handelt, mit denen die Vertreter Großbritanniens über die Bedingungen für einen Brexit verhandeln müssen, stellt sich die Frage, wie groß deren Interesse an Verhandlungen sein wird, wenn zuhause Wahlen anstehen. Wir wissen auch nicht, wie empfänglich die EU sein wird für Verhandlungen mit einem Großbritannien, das nicht der EU angehört. Ich schätze, dass die EU sich dabei als recht schwieriger Verhandlungspartner entpuppen könnte. Die EU will mit Sicherheit keinen Präzedenzfall dafür schaffen, dass ein Austritt aus der Union reibungslos verläuft – oder keine Konsequenzen hat“, gibt David Zahn, Head of European Fixed Income, bei der Franklin Templeton Fixed Income Group, zu Bedenken.

Das Ergebnis des EU-Votums in Großbritannien setzt BlackRock zufolge eine lange Phase der Unsicherheit in Politik und Wirtschaft sowie an den Märkten in Gang. Für die Kapitalmärkte erwartet das BlackRock Investment Institute (BII) einem aktuellen Kommentar zufolge:

• Langfristige Euroschwäche, Druck auf europäische Aktien, Kreditpapiere und Anleihen von Peripheriestaaten infolge schwächeren Wachstums und Arbeitsplatzverlustes

• Baldige Zinssenkung der Bank of England um 0,5 Prozent und Quantitative Easing

• Herabstufungen britischer Staatsanleihen vonseiten der Rating-Agenturen

• Kursrückgänge am globalen Aktienmarkt und bei anderen risikobehafteten Vermögenswerten

• Sinkende Preise von Gewerbeimmobilien um zehn Prozent, vor allem in London.

Sobald der formale Antrag zum EU-Austritt gestellt wurde, muss Großbritannien dafür die Bedingungen gemäß Artikel 50 des Vertrags von Lissabon (EU-Vertrag) über bis zu zwei Jahre lang aushandeln. „Von diesen Verhandlungen, insbesondere von Handels- und Einwanderungsabkommen, hängen auch die weiteren Marktprognosen ab“, erklärt Hetal Mehta, Senior European Economist bei LGIM. „Unerlässlich für die britische Wirtschaft ist vor allem der Erhalt des Marktzugangs für Dienstleistungen und Investitionen sowie die Freizügigkeit für Arbeitskräfte.“

In den kommenden Monaten werde Europa vor allem diese politische Debatte rund um den Brexit beschäftigen. Insbesondere die schottische Unabhängigkeitsbewegung könnte erneut an Fahrt gewinnen. Auch wenn kurzfristig ein wiederholtes Schottland-Referendum unwahrscheinlich sei, da die Scottish National Party nicht länger die Mehrheit im schottischen Parlament bilde, stehe dieser Punkt wieder auf der politischen Tagesordnung. „Am Morgen nach dem Referendum gibt es eigentlich mehr Fragen als Antworten“, kommentiert Mehta. „Der Brexit könnte die verbleibenden EU-Mitglieder noch stärker zusammenschweißen – oder aber antieuropäische, nationalistische Bewegungen verstärken“, so Mehta.

Für Peter E. Huber, Vorstand und Fondsmanager der StarCapital, ist der Brexit ein heilsamer Schock und für Europa vielleicht die letzte Chance, durch tiefgreifende Reformen den Verfall der Wirtschafts- und Währungsunion zu stoppen. „Den Bürgern in Europa kann immer schwerer vermittelt werden, wozu dieses Bürokratiemonster in Brüssel gut ist, das sich vor allem durch immer neue Vorschriften und Verordnungen zu Lasten der Menschen und der Wirtschaft hervortut. Entsprechend stark zugenommen haben die eurokritischen Bewegungen in den meisten Mitgliedsländern“, so Huber.

„Das Votum ist ein Schock und straft alle Marktteilnehmer, die bereits im Lauf der Woche auf einen Verbleib der Briten gesetzt hatten. Wir erwarten kurzfristig weiter volatile Märkte, was wir aber selektiv auch als Einstiegsgelegenheiten nutzen werden“, erklärt Stefan Kreuzkamp, Chief Investment Officer der Deutschen Asset Management, der dem Brexit allerdings auch etwas Positives abgewinnen kann: „Die Liste potentieller negativer Auswirkungen dieser Entscheidung ist lang. Umso wichtiger ist es, auch die positiven, oder zumindest stabilisierenden Faktoren zu nennen. Kurzfristig entscheidend ist, dass sich Notenbanken und Regierungen intensiv auf dieses Ergebnis vorbereitet haben und alles tun werden, um unmittelbare Schocks abzufangen. Längerfristig besteht auf europäischer Seite zumindest die Hoffnung, dass nun einige Entscheidungen, ohne Rücksicht auf britische Sonderwünsche, schneller gefällt werden könnten. Auf britischer Seite dürften Unternehmen mit hohem Exportanteil wiederum das schwächere Pfund begrüßen.“

„Dieses Ergebnis führt zu politischer Unsicherheit, die kurzfristig erhöhte Volatilität an den Märkten mit sich bringen dürfte. Anleger sollten jedoch wissen, dass sich solche Ereignisse in der Regel nur marginal auf die langfristigen Aussichten von Unternehmen auswirken“, meint Paras Anand, Leiter des europäischen Aktienteams. „Wir handeln heute nicht anders als in der vergangenen Woche: Wir nutzen die Chance, die von diesen makroökonomischen Ereignissen ausgehen und konzentrieren uns auf Unternehmen, in die wir langfristig investieren möchten…Selbst in einem Szenario, in dem das Abstimmungsergebnis negativere Auswirkungen auf die Nachfrage in Großbritannien und stärkere Auswirkungen auf Europa hat als wir derzeit glauben, wird dies die Aussichten für europäische Unternehmen nicht so stark beeinflussen wie manche glauben“, ist sich Anand sicher.

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  • asterix34
    asterix34

    Nicht das Ende Europas, aber hoffentlich das Ende der EU!

    17:10 Uhr, 24.06.2016

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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