Kommentar
08:27 Uhr, 09.08.2016

Brexit: London bekommt die erste Rechnung

Bei dieser Rechnung handelt es sich nicht etwa um die 25 Mrd., die Großbritannien der EU noch schuldet (bisher nicht beglichene Rechnungen), sondern um eine ganz andere, die sehr viel höher ausfallen könnte.

Die ersten richtigen Fakten nach dem Brexit-Votum wurden gestern geschaffen. Bisher gab es vor allem Veröffentlichungen von Stimmungsindikatoren, die die Sorge der Bürger und die Sorgen der in Großbritannien ansässigen Unternehmen widerspiegelten. Das Konsumentenvertrauen brach so stark ein wie seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht. Ähnlich verheerend veränderte sich die Stimmung der Unternehmen.

Die Stimmung ist das eine, die Realität das andere. Eine Eintrübung des Konsumentenvertrauens war zu erwarten. Es war auch nicht überraschend, dass Unternehmen nun erst einmal darüber nachdenken müssen, was der Brexit für sie überhaupt bedeutet. Unsicherheit führt fast ausnahmslos zu einer Eintrübung.

Lesen Sie dazu auch: Der späte Brexit-Schock

Ein Stimmungswandel hin zum Negativen muss nicht automatisch auch gleich in einem Wirtschaftsabschwung enden. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Konsumentenstimmung einbricht, aber trotzdem weiterhin kräftig eingekauft wird. Auch Unternehmen handeln nicht immer entsprechend ihrer Stimmung, obwohl es hier bereits die ersten Andeutungen für eine geänderte Personal- und Investitionspolitik gibt.

Unternehmen scheinen in Großbritannien zwar keine breitangelegten Einstellungsstopps durchzusetzen, doch sie ändern die Bedingungen für Neueinsteiger. Es werden weniger unbefristete Verträge angeboten. Solange nicht klar ist, wie es weitergeht, wird Personal erst einmal befristet eingestellt. Stellt sich später heraus, dass der Brexit doch nicht so schlimm wird, dann kann sich das schnell wieder ändern und unbefristete Jobs können wieder boomen.

Der Arbeitsmarkt muss wegen des Brexit-Votums nicht zwangsläufig eine Verschlechterung erfahren. Unternehmen stellen nach wie vor Personal ein, nur eben unter anderen Vertragsbedingungen. Ein rascher Anstieg der Arbeitslosigkeit ist nicht zu befürchten.

All das kann sich ändern, wenn sich ein Trend bestätigt. Das Beratungs- und Serviceunternehmen CBRE, welches auf Geschäftsimmobilien spezialisiert ist, berichtete gestern von erschreckenden Zahlen. In ganz Großbritannien ist der Wert von Geschäftsimmobilien im Juli um 3,3 % gesunken. In London summiert sich das Minus auf 6,1 % auf.

Der Preisrückgang kommt wie ein Schock. Bestätigt sich dieser Preisrückgang, wird es richtig bitter. Der Immobilienbestand in ganz Großbritannien (Wohn- und Geschäftsimmobilien) wird auf über 6 Billionen Pfund geschätzt. Ungefähr 1,6 Billionen davon entfallen auf die City of London, wovon ungefähr ein Viertel auf Geschäftsimmobilien fällt (400 Mrd.).
Ein Preisrückgang von 6 % entspricht 24 Mrd. allein im Raum London. Für ganz Großbritannien dürfte der Wert bei ca. 35 Mrd. liegen. Innerhalb eines Monats wurden also Dutzende Milliarden an Wert verloren. Kommt es zu einem Preisrückgang wie 2008/09, kann die Rechnung auf allein für Geschäftsimmobilien auf über 150 Mrd. steigen. Bezieht man auch Wohnimmobilien mit ein, könnte diese Summe auf 500 Mrd. steigen.
Bevor man nun allerdings in Panik verfällt, muss man eines wissen: gerade die Preise von Geschäftsimmobilien sind sehr volatil. Die Preisindizes basieren auf den Transaktionspreisen eines Monats. Der Verkauf einer einzelnen großen Geschäftsimmobilie kann einen Index plötzlich stark nach oben oder unten springen lassen. Das zeigt der Transaktionspreisindex für die City of London in Grafik 1. Betrachtet man einen Durchschnitt über 12 Monate, um eine Glättung der Zeitreihe hinzubekommen, dann wirkt das alles schon viel weniger dramatisch.

Betrachtet man nur Wohnimmobilien wie in Grafik 2, dann ergibt sich ein klareres Bild. Es sieht derzeit nach einem Plateau der Preise aus. Einen Einbruch muss es deswegen nicht zwangsweise geben. Eine gewisse Abkühlung des Marktes schadet nach dem Preisanstieg nach der Finanzkrise auch nicht.

Ein Rückgang der Preise in diesem Jahr wurde auch ohne Brexit erwartet. Der Brexit hat nun etwas ausgelöst, was ohnehin auf der Agenda stand. Der Preisrückgang fällt nun vermutlich stärker aus als ursprünglich angenommen, doch sofern sich der Arbeitsmarkt einigermaßen stabil hält, dürften Briten bei Wohnimmobilien sinkende Preise eher für Käufe nutzen.

Die Bank of England tut jedenfalls alles, um es Privatpersonen und Unternehmen schmackhaft zu machen, sich weiterhin im Markt zu engagieren. Die Zinsen sinken in Rekordtempo. Das gilt nicht nur für Kredite, sondern auch für Unternehmensanleihen. Ein Teil dürfte genutzt werden, um auf dem Immobilienmarkt auf Schnäppchenjagd zu gehen.

Lesen Sie dazu auch: Bank of England - Aufgabe des Ziels der Preisstabilität!

Das sehen wohl auch einige Investoren so. Die Aktien von Real Estate Investment Trusts mit Fokus auf London reagieren auf die heutigen Nachrichten gelassen. In den kommenden Tagen oder Wochen dürfte der Druck auf die Kurse jedoch wieder steigen, denn erst nach der Urlaubssaison im September, wenn viele größere Transaktionen feststehen, wird man mit Sicherheit sagen können, ob der Immobilienmarkt tatsächlich zusammenbricht oder nicht.

Clemens Schmale

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15 Kommentare

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  • moneymaker22
    moneymaker22

    "In ganz Großbritannien ist der Wert von Geschäftsimmobilien im Juli um 3,3 % gesunken. In London summiert sich das Minus auf 6,1 % auf."

    es wäre mir jetzt neu das sich der Wert einer Immobilie ohne besondere Einflüsse (Erdbeben, Überschwemmung u.s.w.) von einem auf den anderen Monat derart verändert :-) Einzig die Preise haben sich verändert, was bei Spekulationsobjekten aber nun nicht außergewöhnlich ist :-)))

    07:48 Uhr, 10.08. 2016
  • LAMBO_BABY
    LAMBO_BABY

    Es ist drollig wie sich alle echauffieren, dass GB den Eurorraum verläßt und wieviel GB das nun "kostet" -> Rezession, Finanzmarktzentrum zieht ab...

    ABER: die Frage ist, was kostet es die Geberländer wie Frankreich, Deutschland, etc. also die Nettoeinzahler der EU - in der EU - noch länger zu verbleiben... :-D
    evtl. kommt es GB "billiger" langfristig die EU zuverlassen als weiterhin dabei zu sein!

    16:52 Uhr, 09.08. 2016
  • Wollmilchsau
    Wollmilchsau

    lol - ich bekomme schon leichte Bauchkrämpfe. Was soll das bitte mit dem Brexit zu tun haben - der obendrein noch nicht einmal vollzogen ist!.

    Hier kommt einfach ein bisschen Luft aus einem Immoblasen-Ballon raus. Selbst wenn die Preise um 30% fallen sind wir noch lange nicht bei vernünftigen Preisen angekommen.

    Das hat nicht das geringste mit dem Brexit zu tun.....by the way: die Briten werden sich noch eins lachen über uns Rest Europäer.

    12:48 Uhr, 09.08. 2016
    1 Antwort anzeigen
  • Dieter_HW
    Dieter_HW

    Die Briten sind schon richtig geile Typen. Machen alles richtig. Pfund abwerten? Kein Problem. Was die Japaner seit Jahren nicht hinbekommen, macht England mal eben quasi über Nacht, und schwups steht deren Währung auf einem historischen Tiefpunkt.

    Ansonsten ist der Artikel nicht würdig weiter kommentiert zu werden.

    12:39 Uhr, 09.08. 2016
  • GEZet
    GEZet

    jedenfalls sind wir über den bevorstehenden zusammenbruch in gb dank focus

    immer gut informiert! ich lach mich schlapp, mach jetzt kasse und feierabend.

    11:50 Uhr, 09.08. 2016
  • fehu001
    fehu001

    Die Mongolen hatten auch einmal das größte Weltreich aller Zeiten. Es war eine Imperium, was auf dem Vampir-Reich, was zusammen brach, als andere Völker diese Zecken nicht mehr haben wollten. Heute sind die Mongolen ein einfaches Nomaden Volk,w as gerne in Hütten wohnt.

    Und so wird es England auch gehen. Sie sind auf dem Weg zum einfachen Nomaden-Volk und alles andere sind nur Abwärtsstufen auf dem Weg dort hin.

    11:07 Uhr, 09.08. 2016
  • Mitdenker
    Mitdenker

    Das Platzen der Blase hat nichts mit dem Brexit zu tun. Selbiges wird es in Deutschland geben obwohl hier leider nie die Frage nach einem Dexit kommen wird :-(

    10:16 Uhr, 09.08. 2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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