Kommentar
09:18 Uhr, 04.11.2016

Brexit: Es wird noch einmal abgestimmt

Der November hat es in sich. Erst fällt Clinton in ein tiefes Loch direkt vor den Wahlen, dann entscheidet das oberste Gericht Großbritanniens über den Brexit. Der Brexit wird praktisch noch einmal komplett aufgerollt.

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Der gestrige Tag hatte durchaus Sprengstoff. Das oberste Gericht Großbritanniens fällte ein unerwartetes und bahnbrechendes Urteil. Der Brexit wird praktisch noch einmal komplett aufgerollt. Damit ist der Brexit nicht direkt abgesagt, aber das Brexit-Votum vom 23. Juni bedingt noch keinen Austritt aus der EU.

Das Volk hat sich für einen Austritt entschieden. Jeder ging danach sofort davon aus, dass Großbritannien die EU entsprechend verlassen würde. So einfach ist es nun aber nicht. Die Regierung bzw. die Premierministerin kann sich nicht eigenständig auf den Austrittsartikel 50 berufen und die EU verlassen.

Bevor Großbritannien die Verhandlungen über den Austritt überhaupt beginnen kann, muss das Parlament noch einmal über den Brexit abstimmen. Es kann sein, dass das Parlament in dieser Abstimmung gegen den Brexit stimmt und Großbritannien dann entsprechend nicht austritt.

Bisher waren Bürger und Politiker davon ausgegangen, dass das Resultat des Referendums bindend ist. Dem ist nicht so, denn hätte man das Votum einfach umgesetzt, hätte die Premierministerin am Parlament vorbei den Austritt in Eigenregie ausführen können.

Praktisch ist es kaum umsetzbar, dass eine Einzelperson den Brexit ausführt. Es wird zwei Jahre lang verhandelt - vermutlich mit hunderten Beteiligten. Dennoch: ohne parlamentarische Zustimmung geht das nicht. Die Regierung geht nun davon aus, dass die Abstimmung im Parlament eine Formsache ist. Weit gefehlt.

Im Parlament wird nicht einfach die Frage des Referendums (Verbleib oder Austritt?) wiederholt, sondern es wird über ein Gesetz abgestimmt. Die Regierung muss den Brexit also in einen Gesetzesentwurf packen, über den dann abgestimmt wird. Es wird gewiss kein einfacher Gesetzentwurf, denn ohne bisher irgendwelche Verhandlungen geführt zu haben, kann die Regierung kaum den Rahmen genau festlegen.

Es wird daher höchstwahrscheinlich zu folgendem Prozedere kommen: Es wird einen ersten, schlanken Gesetzentwurf geben. Dieser wird in der ersten Kammer des Parlaments vorgestellt. Das ist das sogenannte First Reading. Es folgt eine zweite Lesung, nach der der Entwurf angepasst werden kann. Man kann sich vorstellen, dass die Brexit Gegner eine lange Wunschliste haben werden.

Die erste Kammer muss sich bis zur dritten Lesung auf einen finalen Text einigen. Ob das überhaupt gelingt, wenn beide Lager lange Wunschlisten für die Rahmenbedingungen des Brexit haben, ist ungewiss. Einigt man sich, dann folgt das gleiche Prozedere in der zweiten Kammer. Erst wenn auch diese ihre Zustimmung gegeben hat, kann die Regierung den Austritt über Artikel 50 formal einleiten.

Kommt es zu keiner Einigung, wird es vermutlich Neuwahlen geben, die dann zu einem zweiten Referendum mutieren werden. Mit anderen Worten: wenn alles schiefläuft, wird Großbritannien noch sehr lange brauchen, bis die Austrittsverhandlungen überhaupt beginnen können. Die Regierung ist derzeit trotzig und reagiert auf das Gerichtsurteil selbstbewusst: man werden den Zeitplan bis März 2017 einhalten.

Das kann letztlich nur gelingen, wenn die Regierung mit ihrer Berufung vor dem Gericht Erfolg hat. Die ersten Anhörung ist Anfang Dezember. Ungefähr einen Monat später sind alle Unterlagen einzureichen. Je nachdem wie schnell das Gericht dann ist, könnte der Austrittsprozess formal noch im März beginnen oder auch erst deutlich später. Entscheidet das Gericht zugunsten der Regierung, dann kann Theresa May im Alleingang den Austritt einleiten. Aktuell sieht diese Variante am unwahrscheinlichsten aus.

Der Markt reagierte prompt auf die Neuigkeiten. Das Pfund legte stark zu. Dazu trug auch die Notenbank bei. Die Bank of England sieht vorerst keinen Bedarf für zusätzliche geldpolitische Lockerung. In ihren neuesten Prognosen ist sie weitaus optimistischer als zuvor. Dem Wirtschaftswachstum im kommenden Jahr wird nun zugetraut einen Prozentpunkt höher zu liegen als noch nach dem Brexit-Votum erwartet.

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Die BoE rudert also zurück. Die Wirtschaft bricht nicht ein. Dafür brach das Pfund ein und wird bis Ende 2017 zu einer Inflation führen, die deutlich über dem Ziel von 2 % sein dürfte. Die BoE schätzt die Inflationsrate Ende 2017 derzeit auf 2,7 %. Die Notenbanker kündigte an, dass eine so hohe Inflation die Komfortzone übersteigt. Das aktuelle QE Programm wird daher vermutlich einfach auslaufen und die Notenbank bald darauf die Zinsen anheben.

Mehr Aufregung an einem Tag geht wirklich fast nicht. Erst kündigt die Notenbank praktisch die Straffung der Geldpolitik an, dann sagt das oberste Gericht den bisher geplanten Brexit-Prozess durch ein Urteil ab.

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22 Kommentare

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  • Peter Zumdeick
    Peter Zumdeick

    ... die verarschen und - bzw. in diesem Fall das britische Volk - nach Strich und Faden ... - es wird immer so vorgegangen, wie das Grosskapital und die Machteliten es wollen.

    Das wird getrickst, verhindert, verzögert, manipuliert, Gesetze erlassen und missachtet ... - Hauptsache es kommt am Ende das raus, was man will ... - eine Schande ist das ...

    Wir sind meilenweit von Demokratie entfernt ...

    22:12 Uhr, 04.11. 2016
  • kingkong007
    kingkong007

    Brexit: Es wird noch einmal abgestimmt.

    Das stimmt natürlich so nicht.

    Das oberste Gericht entscheidet nur, ob Theresa May das Parlament mit einbinden muss.

    Das könnte sich dann noch einige Monate hinauszögern.

    Am Brexit wird sich da kaum was ändern.

    11:19 Uhr, 04.11. 2016
    1 Antwort anzeigen
  • dschungelgold
    dschungelgold

    Man kann in Europa die Demokratie praktisch abschaffen. Der Wille der Buerger ist doch voellig uninteressant offenbar .....und das nicht nur in GB. Siehe TTIP Umfragen. Wen interessiert das schon ....und DA wundert man sich ueber mamgelnde Wahlbeteiligungen? Mich wundert das gar nicht. Siehe diesen Artikel. Da wrrden schon Klarheiten

    geschaffen ohne das ein entgurltiges Urteil gefaellt ist.

    10:26 Uhr, 04.11. 2016
  • kingkong007
    kingkong007

    Das höchste engliche Gericht der Supreme Court

    muss dem Londoner Gericht noch zustimmen.

    10:26 Uhr, 04.11. 2016
    1 Antwort anzeigen
  • dschungelgold
    dschungelgold

    Das ueber den Brexit zudrm noch mal abgestimmt wird ist schlichte Spekulation aber nicht die Wahrheit

    10:03 Uhr, 04.11. 2016
  • dschungelgold
    dschungelgold

    Ein Schlag ins Gesicht fuer Jeden der dachte GB waere eine Demokratie.

    09:44 Uhr, 04.11. 2016
    1 Antwort anzeigen
  • dschungelgold
    dschungelgold

    Jubrl, Jubel. Demokratie bedeutet offenbar gar nichts. Hier ist der Beweis. Es wird so lange verhandelt bis das rauskommt, was das Grosskapital will. Eigentlich unglaublich. Demokratie war gestern.

    09:40 Uhr, 04.11. 2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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