Kommentar
01:00 Uhr, 25.03.2009

Berliner Rede 2009 von Bundespräsident Horst Köhler - Einfühlsam, zielgerichtet, nach vorne gerichtet

Ich muß sagen, dass mir die Rede des Bundespräsidenten sehr gut gefallen hat. Ich denke, dass er den Menschen in diesem Land aus der Seele gesprochen hat.

Da ist die globale Finanzkrise, die wie ein Blitz in die Realwirtschaft einschlägt und "unschuldige" Branchen trifft ... da sind die Verantwortlichen in den Bankinstituten, deren Handeln Auslöser des Flächenbrands ist ... da sind solch unverständliche Verhaltensmuster, wonach sich diese Leute nach wie vor millionenschwere Boni auszahlen, - Schuldeingeständnis und Demut gleich null - ... und da ist die Angst von immer mehr Menschen um ihre Arbeitsplätze, weil die Auftragseingänge in einem historisch einmaligen Ausmaß zurückgehen.

Eine Gesellschaft unterliegt massenpsychologischen Phänomenen. Die Gesellschaft ist das Kollektiv vieler einzelner psychischer Einheiten. Wir sollten uns immer wieder klar machen, wie unendlich wertvoll die Werte sind, auf denen unsere Gesellschaft fußt. Diese Werte sind kostbar, diese Werte kann sich eine Gesellschaft nur leisten, wenn die wirtschaftliche Grundlage dies erlaubt. Ein Beispiel. Es ist bekannt, dass ein großes deutsches Verlagshaus seit geraumer Zeit Redaktionen seiner Wirtschaftspublikationen radikal zusammenstreicht. Mir wurde aus informierten Kreisen berichtet, dass nach einem zuvor freundschaftlichen Verhältnis der Mitarbeiter untereinander nun ein Hauen und Stechen eingesetzt habe. Wenn es um die wirtschaftliche Grundlage geht, ist sich nun einmal jeder selbst am nächsten.

Fakt ist: Wenn die wirtschaftliche Grundlage nicht stimmt, wird die ganze Gesellschaft anfällig für "Unruhen". Die Gesellschaft wird sozusagen krank. Die Depression von 1929 und die daraus resultierende Unzufriedenheit der Massen war sicherlich eine wesentliche Ursache für die Tragödie, die sich danach in Europa abspielte.

Aber! Die politisch Verantwortlichen unserer Zeit haben aus diesen Vorgängen gelernt. Wenn man die bisher getroffenen Maßnahmen Revue passieren läßt, wird man feststellen, dass tunlichst das Gegenteil dessen gemacht wird, was damals gemacht wurde: Der Markt wird mit Liquidität zugeschüttet, Protektionismus wird bisher weitgehend abgelehnt.

Ich bin mir nicht sicher, ob es wieder die Paranoia eines Traders ist, wenn ich darauf hinweise, dass deutsche Behörden seit geraumer Zeit wichtige Personen aus dem Dunstkreis der NPD aus dem Verkehr ziehen. Horst Mahler wurde im Februar dieses Jahres von einem bayrischen Gericht zu einer 6jährigen Haftstrafe verurteilt und gestern war in der Presse nachzulesen, dass sich auch der Chef der NPD, Voigts, vor einem Berliner Gericht wegen Volksverhetzung verantworten muß. Vielleicht ist der zeitliche Zusammenhang mit der laufenden Wirtschaftskrise doch nur ein Zufall.

Kommen wir nun aber zu der Rede von Horst Köhler.

Anbei der Link zu dem vollständigen Redemanuskript:

http://www.bundespraesident.de/-,2.653300/Berliner-Rede-2009-von-Bundesp.htm

"Zu viele Leute mit viel zu wenig eigenem Geld konnten riesige Finanzhebel in Bewegung setzen. Viele Jahre lang gelang es, den Menschen weiszumachen, Schulden seien schon für sich genommen ein Wert; man müsse sie nur handelbar machen. Die Banken kauften und verkauften immer mehr Papiere, deren Wirkung sie selbst nicht mehr verstanden. Im Vordergrund stand die kurzfristige Maximierung der Rendite."

Wie wahr. Und weiter heißt es in der Rede :

"Auch angesehene deutsche Bankinstitute haben beim Umgang mit Risiko zunehmend Durchblick und Weitsicht verloren. Das konnte nur geschehen, weil sie den Bezug zu ihrer eigenen Kultur aufgaben: zu dem, was diese Häuser überhaupt erst zu Größe und Bedeutung geführt hatte - Sinn für Geldwertstabilität, Respekt vor dem Sparer und langfristiges Denken. Auch Banken können nur dauerhaft Wertschöpfung erbringen, wenn sie sich als Teil der ganzen Gesellschaft sehen und von ihr getragen werden. Wenn sie den Grundsatz unserer Verfassung achten: Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll auch dem Allgemeinwohl dienen.

Doch das Auftürmen von Finanzpyramiden wurde für viele zum Selbstzweck, insbesondere für sogenannte Investmentbanken. Damit haben sie sich nicht nur von der Realwirtschaft abgekoppelt, sondern von der Gesellschaft insgesamt. Dabei geht es auch um Fragen der Verantwortung und des Anstands. Was vielen abhanden gekommen ist, das ist die Haltung: So etwas tut man nicht. Bis heute warten wir auf eine angemessene Selbstkritik der Verantwortlichen. Von einer angemessenen Selbstbeteiligung für den angerichteten Schaden ganz zu schweigen."

Die deutsche Sprache ist eine präzise Sprache, sie ist eine schöne Sprache. Wenn man diese Sätze liest "Dabei geht es auch um Fragen der Verantwortung und des Anstands. Was vielen abhanden gekommen ist, das ist die Haltung: So etwas tut man nicht" dann hallt einem das einige Minuten hinterher und man sagt sich nur, besser hätte man das nicht auf den Punkt bringen können. Genau so ist es.

Ein ganz kleines bißchen kommt mir die Rede von Herrn Köhler wie die Mischung einer Empathie-geprägten Sonntagspredigt und einem philosophischen Exzerpt vor. Themen wie soziale Verantwortung, Notwendigkeit der Globalisierung insbesondere für die Exportnation Deutschland, Umwelt, Regulierung der Finanzmärkte, sind Themen unserer Zeit.

Köhler schließt seine Rede mit folgenden Worten: "Wir dürfen uns nichts vormachen: Die kommenden Monate werden sehr hart. Auch für uns in Deutschland. Wir werden geprüft werden. Wir werden weiter Namen hören und uns wünschen, der Zusammenhang wäre ein anderer: Märklin, Schiesser, Rosenthal.

Wir werden Ohnmacht empfinden, und Hilflosigkeit und Zorn. Aber es gab auch noch nie eine Zeit, in der unser Schicksal so sehr in unseren eigenen Händen lag wie heute. Wir haben die Chance, Freiheit und Verantwortung in unserer Zeit nachhaltig aneinander zu binden. Die Verantwortung ist groß. Das liegt daran, dass unsere Freiheit so groß ist. Gehen wir sorgsam mit ihr um. Zeigen wir Demut vor der Freiheit. Vor unserer. Und vor der der anderen."

Ehrlich und pathetisch.

Ein angenehmer Umgangston, der im Rahmen des praktischen innergesellschaftlichen Diskurses (Habermas läßt grüßen) angeschlagen wird. Ich kann mich gut daran erinnern, wie Bischof Huber, der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche, Josef Ackermann ansprach und vorhielt, falsche Ziele verfolgt zu haben. Der Gier nach dem Geld könne nicht alles andere untergeordnet werden. Huber forderte Ackermann und Kollegen zu einem Richtungwechsel auf. Als sich die Finanzkrise zuspitzte und die ganze Nation durch den Selbstmord des Großunternehmers Adolf Merkle geschockt wurde, Ackermann kurz darauf desaströse Quartalsergebnisse der Deutschen Bank präsentieren mußte und einen Schwächeanfall erlitt, ging Huber an die Öffentlichkeit und entschuldigte sich bei Ackermann für die direkte Schuldzuweisung für die Krise. Dennoch forderte er Ackermann zu einem Umdenken auf. Ich muß sagen, dass mir das wirklich imponiert hat.

Ich denke auch, dass es nicht darum gehen sollte, bestimmte Individuen zu verteufeln. Wichtig wird vielmehr sein, der Krise tatsächlich etwas Positives abzuringen. Fakt ist, dass Unternehmenslenker und "Verantwortliche des Kapitals" Arbeitsplätze schaffen. Sie tragen eine enorme Verantwortung. Sie lenken Unternehmen, Sie bestimmen mit ihren Entscheidungen, an welcher Stelle im internationalen Konzert mitgespielt wird. Wenn Entwicklungen verschlafen werden, wenn es eine Periode ohne fähige Unternehmenslenker gibt, dann passiert soetwas, dass beispielsweise plötzlich Toyota Nummer 1 in der Automobilbranche wird oder Hyuandai aus dem absoluten Nichts auftaucht und im Segment der Kleinwagen für Bewegung sorgt.

Die Lehre aus der Krise muß sein, dass die Gesellschaft eben diese Lenker besser kontrolliert und reguliert. Das gilt insbesondere für den Finanzsektor, der sich in den vergangenen Jahren irgendwie verselbstständigt hatte.

Abschließend möchte ich einen Teil eines älteren Kommentars als Kopie anhängen ...

Im Moment zeigen entrüstete Bürger weltweit zurecht mit ihren Zeigefingern auf Politiker und Banker, Politiker wiederum auf die bösen Investmentbanker und Ratingagenturen, diese wiederum auf die US Administration beispielsweise unter Bill Clinton und die US Notenbank.

Fakt ist, dass die Administration unter Clinton die Hypothekenbanken Fannie und Freddy dazu aufforderte, praktisch jedem Amerikaner die Finanzierung eines Eigenheims zu ermöglichen. Das war politisch gewollt!

Lesen Sie dazu auch den folgenden Artikel der ehrwürdigen New York Times von 1999 : [Link "Bitte hier klicken." auf img.godmode-trader.de/... nicht mehr verfügbar]

Fakt ist, dass die US Notenbank nach einer ganzen Zinssenkungsorgie das Geld nicht mehr schnell genug aus dem Markt bekam und damit die Grundlagen für die Blase schuf.

Fakt ist, dass in den Investmentbankingabteilungen die sagenumwobenen institutionellen derivatären Produkte zusammengestrickt wurden, die seit 2007 zum Zusammenbruch des Kreditmarkt geführt haben.

Fakt ist aber auch, dass beispielsweise in Deutschland insbesondere die Bankinstitute von der Finanzkrise betroffen sind, wo der Staat besonders involviert ist. Einige Landesbanken entpuppen sich als das sprichwörtliches Faß ohne Boden.

Ganz so einfach ist es mit den Schuldzuweisungen dann doch nicht ...

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Über den Experten

Harald Weygand
Harald Weygand
Head of Trading

Harald Weygand entschied sich nach dem Zweiten Staatsexamen in Medizin, einer weiteren wirklichen Leidenschaft, dem charttechnischen Analysieren der Märkte und dem Trading, nachzugehen. Nach längerem, intensivem Studium der Theorie ist Weygand als Profi-Trader seit 1998 am Markt aktiv. Im Jahr 2000 war er einer der Gründer der stock3 AG und des Portals www.stock3.com. Dort ist er für die charttechnische Analyse von Aktien, Indizes, Rohstoffen, Devisen und Anleihen zuständig. Über die Branche hinaus bekannt ist der Profi-Trader für seine Finanzmarktanalysen sowie aufgrund seiner Live-Analysen auf Anlegerveranstaltungen und Messen.

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