Kommentar
09:40 Uhr, 16.05.2016

Bald Nullzinsen auf EZB-Kosten auch für US-Unternehmen?

Die Zinsen sind niedrig, aber noch nicht niedrig genug. Im Gegensatz zu Regierungen zahlen Privatpersonen und Unternehmen noch vergleichsweise hohe Zinsen. Das ändert sich.

Der Prozess zu neuen Zinstiefs hat bereits begonnen. Als die EZB im März ankündigte, dass sie ab Juni auch Unternehmensanleihen kaufen würde, dürften sich viele Manager gefreut haben. Es ist zwar nicht so, dass Unternehmen derzeit horrende Zinsen zahlen müssen, doch wenn es um die Kosten von Schulden geht, ist weniger immer besser – zumindest aus Sicht des Schuldners.

In der Eurozone sind Unternehmen bereits jetzt mit niedrigen Zinsen gesegnet. Das gilt für Unternehmen jeglicher Bonität. Die EZB kauft zwar nur Investment-Grade Anleihen, doch das drängt Käufer dann aus diesen Anleihen in risikoreichere Papiere. Aus diesem Grund fallen auch die Renditen für High-Yield- bzw. Ramschanleihen. Inzwischen ist die Rendite dieser Anleihen deutlich unter die Rendite der US-Pendants gefallen.

Grafik 1 zeigt den Vergleich von US- und Euro-Ramschanleihen. In Krisenzeiten mussten Unternehmen in der Eurozone eigentlich immer mehr zahlen als die US-Kollegen. Seit einiger Zeit ist das nicht mehr der Fall. Inzwischen zahlen die Euro-Ramschanleihen 3 % weniger als die US-Äquivalente. Dieser Unterschied war noch nie so groß wie jetzt.

Per Definition sind Ramschanleihen risikoreich. Die Zinsen, die die entsprechenden Unternehmen zahlen müssen, spiegeln das nicht wider. Das bisherige Zinstief lag bei 3,5 %. Die derzeitigen 4,3 % sind nicht viel besser. Mit Risiko hat das nichts mehr zu tun. Es ist absolut ungesund. Die Ausfallquoten von Anleihen, die nicht mehr im Investment-Grade Bereich sind, liegen in guten Zeiten bei einem Prozent. 2009 stieg die Ausfallquote auf knapp 7 %.

Die Ausfallquoten sind in Europa geringer als in den USA (dort liegen sie im mehrjährigen Durchschnitt bei 3,5 %). Vergleicht man die Zinsen und Ausfallquoten miteinander, dann zahlen Eurobonds immer noch deutlich weniger als US-Anleihen. In den kommenden Monaten wird sich daran wenig ändern, denn die Notenbank beginnt ihre Anleihenkäufe erst noch. Dabei wird sie nicht nur Anleihen an der Börse kaufen, sondern direkt bei Emissionen mitbieten. Beim Kauf von Staatsanleihen ist ihr dieser Weg verboten, da es der direkten Staatsfinanzierung zu nahe käme.

Wenn die EZB nicht an Emissionen neuer Staatsanleihen teilnimmt, weil das als direkte Staatsfinanzierung gilt, was ist dann mit Unternehmensanleihen? Ein Verbot gibt es hier nicht. Wendet man die Logik an, die bei Staatsanleihen gilt, dann kann man jedoch sagen: die EZB steigt in die direkte Unternehmensfinanzierung ein.

Unternehmen haben das bereits erkannt. Die Emission neuer Anleihen läuft auf Hochtouren. Grafik 2 zeigt die Ausgabe von Investment-Grade Anleihen über die Jahre. Geht der bisherige Trend in diesem Jahr so weiter, dann wird es das beste Jahr seit 2009. Damals stiegen Unternehmen auf die Finanzierung durch Anleihen um, weil Banken nur unzureichend Kredit vergaben.

Der US-Anleihenmarkt ist größer als jener der Eurozone. Seit 2010 wurde die Lücke immer größer. Mit dem Kaufprogramm der EZB kann sich das nun wieder ändern. Immer mehr US-Unternehmen, die Tochtergesellschaften in der Eurozone haben, nutzen den hiesigen Anleihenmarkt. Grafik 3 zeigt wie viel Prozent der ausgegebenen Anleihen von US-Unternehmen stammen.
In den letzten Jahren lag der Anteil zwischen 5 % und 15 %. Allein in den ersten vier Monaten des laufenden Jahres stieg dieser Anteil auf ein Viertel und markiert dadurch den höchsten Stand seit vielen Jahren.

Derzeit nutzen vor allem amerikanische Unternehmen das Niedrigzinsumfeld in der Eurozone. Das Wachstum der letzten Jahre war stark durch ausländische Unternehmen geprägt. Traditionell verlassen sich europäische Unternehmen stärker auf Bankkredite, doch gemessen an den Kosten der Anleihen wäre es unsinnig daran festzuhalten.
Unternehmen mit gutem Rating können sich schon jetzt Fremdkapital zum Nulltarif besorgen. Grafik 4 zeigt die Zinskurve für Anleihen von General Electric (GE), die in verschiedenen Währungsräumen ausgegeben wurden. Für Schweizer Anleihen zahlt GE derzeit am wenigsten. Die Zinsen für Anleihen mit Laufzeit bis 2019 sind negativ.

Für Anleihen, die in australischen Dollar ausgegeben wurden, zahlt GE derzeit gut 2,5 % mit einer Laufzeit bis zu 4 Jahre. Im Dollar- und im Pfundraum sind die die Zinsen niedriger. Hier zahlt GE für eine Laufzeit von 10 Jahren 2,5 %. Im Euroraum erreicht keine GE-Anleihe die Schwelle von 2,5 %. Eine Anleihe mit Laufzeit bis 2038 notiert derzeit bei einer Rendite von 2 %.
Unternehmen können sich im Euroraum bereits jetzt zu extrem niedrigen Zinsen Geld beschaffen. Gut möglich, dass der Anlagenotstand, den die EZB durch ihr Kaufprogramm verursacht, die Renditen noch weiter senkt und sich Unternehmen bald für Laufzeiten von 30 Jahren um weniger als 2 % Geld beschaffen können.

Es ist schwierig, so günstigem Fremdkapital zu widerstehen. Selbst wenn die Inflation noch eine Zeit lang niedrig bleibt zahlen Unternehmen über die kommenden Jahre und Jahrzehnte vermutlich nicht mehr als 1 % Realzins. Geld aufzunehmen und Projekte zu lancieren, die eine Realrendite von nur 2 % haben würde sich schon lohnen. Das kann – so vermutlich auch die Hoffnung der EZB – die Investitionen in der Eurozone anschieben.

Keiner kann sagen, wie viel mehr Geld als üblich Unternehmen aufnehmen werden. Ebenso unklar ist, was sie mit dem Geld machen. Möglicherweise wird lediglich Geld über den europäischen Kapitalmarkt aufgenommen, um es dann an anderen Orten in der Welt zu investieren. Das wäre schade, aber auch kein Beinbruch. Schaffen Unternehmen Geld aus der Eurozone heraus, dann fällt wenigstens der Euro wieder.

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23 Kommentare

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  • Unbedingt
    Unbedingt

    2% Rendite? Unternehmer sind gewöhnlich vernünftige Leute und ich halte es nicht für klug, sie mit aller Macht zum Leichtsinn zu verführen. Man kann Kapital ja auch wirtschaftlich ambitioniert verspielen, etwa wie Thyssen in Brasilien. Meiner Meinung nach holt die Politik der EZB vor allem die windigen Halunken und skupellosen Mafiosis aus ihren Schlupflöchern auf den Plan. Wahrscheinlich wird man hinterher feststellen, dass die Globalisierung in dieser Sparte ein viel größeres Problem war, als man dachte. Soviel Geld können die gar nicht drucken, wie die globalisierten Gauner verschwinden lassen können.

    09:59 Uhr, 17.05. 2016
  • Marco Soda
    Marco Soda

    warum nicht, gleiches Recht für alle

    05:53 Uhr, 17.05. 2016
  • dschungelgold
    dschungelgold

    Mann muss nur spaet Abends durch die Haeusrrschluchten von Megastaedten laufen und wird feststellen, das sehr viele Apartmenthaeuser leer stehen. Reine Spekulation.

    16:50 Uhr, 16.05. 2016
  • Löwe30
    Löwe30

    Das wird wohl das letzte Gefecht der Voodoo-Ökonomen in der EZB, die nun mit Ozeanen aus Papiergeld und Wolkenkuckuncks-Krediten die Wirtschaft ankurbeln wollen. Das wird in einer wirtschaftlichen Katastrophe enden. Der Patient der Keynes-Klinik liegt bereits in der Intensivstation. Die Katheder-Klempner diagnostizieren nun die Notwendigkeit einer Hochfieber-Therapie - also eine massive Inflationierung von Scheingeld.

    11:06 Uhr, 16.05. 2016
    1 Antwort anzeigen
  • Marco Soda
    Marco Soda
    10:18 Uhr, 16.05. 2016
  • Marco Soda
    Marco Soda

    Nahverkehr in Berlin, Berliner VerkehrsBetriebe

    10:16 Uhr, 16.05. 2016
  • dschungelgold
    dschungelgold

    So wird kuenstlich ein Markt geschaffen, der vor allem die Industrialisierung 4.0 fuer lau finanziert. Was nichts anderes bedeutet, als das die Arbeitnehmer ihre zukuenftige Arbeitslosigkeit noch selbst finanzieren. Applaus.

    10:12 Uhr, 16.05. 2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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