Ausweg aus der Schuldenspirale
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Die Rettungsaktionen der europäischen Finanz- und Wirtschaftspolitik werden immer hektischer und offenkundig verzweifelter. Rettungsschirme werden aufgesetzt, vergrößert, gehebelt. Staatliche Garantien werden zum Bestandteil taktischer Poker- und Machtspiele und entscheiden über die Zusammensetzung politischer Regierungen. Notenbanken fluten die Banken mit Geld, in der Hoffnung, dass diese einen Teil der Kredite an die Staaten weiterreichen. Nullzinsen werden auf Sicht mehrerer Jahre garantiert, um die Nutzung von Krediten zu befeuern.
Doch all diese Überlegungen und Maßnahmen haben eines gemeinsam: Sie versuchen, das Schuldenproblem dadurch zu lösen, dass neue Schulden produziert werden. Selbst der diskutierte Schuldenschnitt für Griechenland würde in letzter Konsequenz kaum bedeuten, dass Schulden aus der Welt geschafft werden. Denn zumindest jene Verluste, die im Bankensektor anfallen, würden zum großen Teil durch staatliche Hilfen aufgefangen werden müssen. Geld, das sich die Regierungen ihrerseits erst leihen müssten. Letztendlich handelt es sich bei all diesen Vorschlägen nur um eine Verlagerung der Schuldenlast von den Schwachen auf die (noch) etwas Stärkeren.
Die von den Politikern krampfhafte erhoffte Lösung eines Herauswachsens aus den Schulden kann nicht funktionieren. Erst recht nicht in einem Umfeld der demographischen Abenddämmerung, die dazu führt, dass die Bevölkerung der Eurozone in den nächsten Jahren und Jahrzehnten voraussehbar schrumpfen wird. Denn Bevölkerungswachstum ist – neben steigender Produktivität – einer der beiden unabdingbaren Faktoren für wirtschaftliches Wachstum.
Welche Möglichkeiten gibt es also, die Schulden nachhaltig zu reduzieren? Eine Möglichkeit besteht darin, das durchaus vorhandene Nettovermögen der Bürger Stück für Stück an den Staat zu übertragen. Durch höhere Steuern und Abgaben und durch geldpolitische Zinsmanipulationen, die dazu führen, dass die einigermaßen soliden staatlichen Schuldner, z.B. Deutschland, Zinsen für ihre Bundesanleihen zahlen, die unter der Inflationsrate liegen. Dies würde bedeuten, dass auf der anderen Seite für den Sparer eine negative Realrendite übrig bleiben würde. Das Ergebnis wäre ein schleichender Vermögenstransfer vom Bürger zum Staat.
In der Theorie kann das durchaus funktionieren. In Deutschland stehen staatlichen Schulden von 2 Billionen Euro ein Nettovermögen der Bürger von 5 Billionen Euro gegenüber. In anderen Staaten sind die Relationen ähnlich. Doch die Praxis dürfte anders aussehen. Viele Bürger, vor allem die Reichen und Leistungsstarken, dürften sich dieser Form von finanzieller Repression durch Kapitalflucht oder Auswanderung entziehen.
Es bleibt eine zweite Möglichkeit, die bislang nicht in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Der Schuldenschnitt muss an einer Stelle erfolgen, an der er endgültig ist und nicht nur eine Verlagerung auf einen anderen Schuldner bedeutet. Diese Stelle kann eigentlich nur eine Instanz sein, die das Geld selbst schöpft und kontrolliert: die Notenbank. Weltweit haben die großen Notenbanken bereits begonnen, Staatsanleihen aufzukaufen. Das Federal Reserve System ist bereits größter Gläubiger der Vereinigten Staaten. Ähnlich sieht es in Großbritannien, Japan und – mit Einschränkungen – der Eurozone aus.
Nehmen wir nun an, dass die großen Notenbanken- möglicherweise in einer konzertierten Aktion - auf die Rückzahlung der von Ihnen gehaltenen Staatsanleihen verzichten. Sie würden den Regierungen in dem von ihnen kontrollierten Währungsraum also einen wesentlichen Teil ihrer Schulden erlassen. Alle anderen Besitzer von Staatsanleihen behalten dagegen ihre Ansprüche auf Zins und Rückzahlung bzw. verzichten lediglich in einem Umfang, der ihre Existenz nicht gefährdet. Damit könnte die Verschuldungsgrad vieler Staaten auf ein Niveau zurückgeführt werden, das eine Finanzierung durch private Gläubiger ermöglicht.
Die Notenbanken, die einen solchen Verzicht auf Rückzahlung gewähren, wären dadurch bilanziell überschuldet. Nötig wäre daher die politische Entscheidung, die Bilanzen der Notenbanken neu aufzusetzen und gewissermaßen bei Null starten zu lassen. Dies erscheint durchaus möglich, da die Notenbanken ja jene Stellen sind, die monopolistisch über das Entstehen von Geld bestimmen. Ein solcher Schritt käme einer Neuordnung des Finanzsystems gleich, der einfacher zu verdauen wäre als ein Zusammenbruch von Staaten und Bankensystem. Die Schulden würden quasi in einem großen schwarzen Loch verschwinden, das das Gegenstück zur enormen Geldschöpfung der vergangenen Jahre darstellt.
Natürlich wäre ein solches Vorgehen nicht ohne Nachteile. Es würde diejenigen belohnen, die sich in der Vergangenheit bedenkenlos hohe Schulden aufgebürdet haben und auch jene, die spekulative Anlagen in den Schuldverschreibungen eben dieser Schuldner getätigt haben. Unter dem Gesichtspunkt des Moral Hazard kommt ein solches Vorgehen daher einem Sündenfall erster Kategorie gleich. Dennoch erscheint es als das kleinere Übel, wenn man es mit einem Zusammenbruch des Staaten- und Finanzsystems unter seinen hohen Schulden vergleicht.
Um längerfristig wirksam zu sein und um die genannten Moral Hazard Probleme zumindest einzudämmen, dürfte ein solcher Mega-Schuldenschnitt nicht isoliert stehen. Er müsste gemeinsam mit weiteren Maßnahmen beschlossen werden, die verhindern, dass sich die Situation durch das erneute Auftürmen von Schulden in kurzer Zeit erneut zuspitzt. Dazu könnten folgende Maßnahmen gehören, die Schuldner und Gläubiger stärker an die Kandare nehmen: Erstens eine verbindliche Einführung von Schuldenbremsen für sämtliche Regierungen, die von dem Schuldenschnitt profitieren. Zweitens: Klare und unverrückbare No-Bailout-Regeln für die Eurozone, verbunden mit Sanktionsmechanismen, die einen zwangsweisen Austritt einzelner Staaten bei Verstoß gegen diese Schuldenbremsen vorsehen. Drittens die Einführung eines Trennbankensystems nach US-Vorbild, das verhindert, das überbordende Spekulation von Instituten zu Schieflagen von systemisch wichtigen Banken führen kann. Wer zocken will, kann das tun. Er kann dann jedoch nicht damit rechnen, dass er von Staaten oder Zentralbanken aufgefangen wird. Viertens – und das ist vielleicht die wichtigste und gleichzeitig komplizierteste Forderung – die Abkehr vom reinen Papiergeldsystem und eine stärkere Orientierung hin zu einem gedeckten Geldsystem.
Über den Autor:
Roland Klaus arbeitet als freier Journalist und Analyst in Frankfurt am Main. Für den amerikanischen Finanzsender CNBC und den deutschen Nachrichtenkanal N24 berichtete er von der Frankfurter Börse. In seinem Buch „Wirtschaftliche Selbstverteidigung“ entwirft er eine Analyse der Schuldenkrise und liefert Ratschläge, wie man sich auf die entstehenden Risiken einstellen kann. Sie erreichen Ihn unter www.wirtschaftliche-selbstverteidigung.de
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