Fundamentale Nachricht
09:58 Uhr, 20.12.2019

Ausblick 2020 für Aktien und Anleihen: Zinsrisiken und Chancen

Im Spätsommer dieses Jahres wurden sich wohl die meisten Anleger der Tatsache bewusst, dass die Welt der Negativzinsen zur neuen Normalität wird. Was sie für 2020 beachten müssen und welche Investment-Potenziale sich bieten, dem gehen die Goldman-Sachs-Finanzexperten Andrew Wilsonund Luke Barrs nach.

Teil 1: Aktien

Obwohl für das Jahr 2020 ein schwächeres Wirtschaftswachstum vorhergesagt wird, erwarten wir, dass sich die positive Entwicklung fortsetzt. Sie wird die Performance von Aktien weiter vorantreiben. Kurzfristig bleiben hohe Kursschwankungen wahrscheinlich, ausgelöst durch geopolitische Risiken wie das möglicherweise erneute Entfachen des Handelsstreits zwischen den USA und China. Wir sind jedoch in Bezug auf Aktien insgesamt zuversichtlich und halten Anlagechancen in Schwellenländern und Japan für besonders attraktiv.

Geopolitische Risiken bleiben zentral. Aufgrund der anhaltenden weltweiten Neuausrichtung der Handelsbeziehungen sowie der anstehenden US-Präsidentschaftswahlen wird es im kommenden Jahr nicht anders aussehen. Anleger müssen sich dieser kurzfristigen Risiken bewusst sein und sich geschickt an ihnen vorbei manövrieren. Wir sind der Ansicht, dass Aktien angemessen bewertet bleiben – und für Unternehmen, die auf die wichtigsten Treiber und Wachstumstrends ausgerichtet sind, weiterhin ein erhebliches langfristiges Potenzial besteht. Das gilt insbesondere für Unternehmen, die drei miteinander verknüpfte Megatrends ins Visier genommen haben:

- Der exponentielle Anstieg des technologischen Fortschritts und disruptiver Technologien.

- Soziodemografische Veränderungen, wie die wirtschaftliche Stärkung von Frauen und dem fortschreitenden Bedeutungswachstum der Millennials als Konsumenten.

- Ökologie und Nachhaltigkeit.

Traditionelle Industrien unter Druck

Unseres Erachtens sind ein Drittel der börsennotierten US-Unternehmen sehr anfällig für technologische Disruption. Sie folgen keinem eindeutigen Wachstumspfad. Einige Branchen sind besonders betroffen. Traditionelle Einzelhändler ohne Handelsplattformen oder Autohersteller ohne ausgereifte Strategien für Elektrofahrzeuge werden im kommenden Jahr vor großen Herausforderungen stehen. Unternehmen, die den technologischen Umbruch und Fortschritt annehmen, werden auch dementsprechend davon profitieren.

Neue Verbraucheransprüche – geänderte Wirtschaftspotenziale

Die Millennials sind die weltweit größte und damit eine immer wichtigere Generation. Ihre Kaufkraft ist immens. Als Digital Natives sind sie eher erlebnisorientierte Verbraucher und legen weniger Wert auf materielle Güter, wodurch die veränderten Präferenzen und Anforderungen dieser Altersgruppe wichtige Impulsgeber für den gesellschaftlichen Wandel sind. Eine ähnliche demografische Verschiebung wird durch die Stärkung der Rolle der Frau vorangetrieben, wobei die Kaufkraft der Frauen weltweit bereits bei rund 40 Billionen US-Dollar liegt. Der Einsatz für mehr Gleichstellung der Geschlechter, die wachsende Zahl von Frauen in normalen Arbeitsverhältnissen sowie höher bezahlten Positionen und technologischer Fortschritt, etwa die Verbreitung elektronischer Zahlungssysteme: Sie alle tragen zu langfristigen Veränderungen des Konsumverhaltens bei. Eine Kernkomponente für den zukünftigen Erfolg von Unternehmen – und letztendlich für deren Bewertung – wird ihre Fähigkeit sein, Produkte, Dienstleistungen und Einkaufserlebnisse auf die Bedürfnisse von Frauen und jüngeren Generationen anzupassen.

Insbesondere für die Millennials und die Folgegeneration wird es unumgänglich sein, dass Unternehmen sowie ihre Produkte, Dienstleistungen und Lieferketten umweltverträglicher werden. Diejenigen, die langfristig beim Thema Umweltschutz hinter den Mitbewerbern zurückfallen, verlieren schließlich auch ihre Akzeptanz in der Gesellschaft. Unternehmen sind dazu verpflichtet, ihre Umweltauswirkungen offenzulegen – ebenso wie die Investoren und Pensionsfonds, die letztendlich in diese investieren. Auch wenn die einzelnen Branchen nach unterschiedlichen Maßstäben beurteilt werden: Tritt man in Sachen Umweltbewusstsein als Nachzügler auf, führt diese Wahrnehmung früher oder später zu höheren Kapitalkosten, eingeschränktem Zugang zu Finanzmitteln und einem Vertrauensverlust der Verbraucher. Im Gegensatz dazu werden Unternehmen mit den erforderlichen Lösungen für eine kohlenstoffarme Wirtschaft vom Rückenwind eines anhaltenden Nachfragewachstums profitieren.

Aktienmärkte 2020 generell im Aufwind

Trotz der schwachen Wachstumsaussichten sind wir weiterhin davon überzeugt, dass es noch Potenzial für die Aktienmärkte gibt und signifikantes Alpha generiert werden kann. In die Kapitalmärkte strömten riesige Geldmengen, insbesondere ins Venture Capital und die Early-Stage-Finanzierungen, was bereits zu alarmierenden Bewertungslücken geführt hat. Dagegen erscheinen die Bewertungen an den Aktienmärkten attraktiver – insbesondere, wenn Anleger bereit sind, Kaufgelegenheiten im KMU-Bereich zu nutzen oder gezielt ihre Allokation in Schwellenländern erhöhen.

Teil 2: Anleihen

Es scheint, dass negative Renditen bei Festverzinslichem das Anlageumfeld noch lange beherrschen. Aber dies bedeutet nicht gleich, einem dauerhaften Risiko ausgesetzt sein zu müssen. Unserer Ansicht nach befinden wir uns auch nicht in unmittelbarer Gefahr einer Rezession. Aktuell sprechen die Bedingungen nicht für Kreditaufschläge oder einen Ausverkauf von Risikoaktiva.

Längere Haltedauern und Substanzwerte im Fokus

Institutionelle Anleger ziehen ähnliche Schlussfolgerungen und passen ihr Investitionsverhalten dementsprechend an. Um positive Renditen zu erzielen, ziehen bereits eine Vielzahl an Anlegern in Betracht, ihre Haltedauer zu verlängern, Liquidität abzubauen und in Unternehmen mit geringerer Bonität und gegebenenfalls in Hebelprodukte zu investieren. Dies treibt wiederum die Nachfrage nach Anlageklassen, die stabile, mit festverzinslichen Wertpapieren vergleichbare Renditen bieten können, aber eventuell außerhalb der klassischen Komfortzonen liegen oder mehr Einsatz und Risikomanagement erfordern. Dazu gehören Private Debts, also die Vergabe von Fremdkapital durch Nicht-Banken, Hochzinsanleihen, Schwellenmarktanleihen sowie die Segmente Infrastruktur und Immobilien.

Einige dieser Anlageklassen haben sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt – und sind nun für ein breiteres Spektrum von Anlegern zugänglich. In den derzeitigen Schwellenländer-Rentenindizes sind beispielsweise Länder mit stabilen und relativ ausgewogen strukturierten Volkswirtschaften wie Südkorea enthalten. Darüber hinaus emittieren viele Unternehmen in diesen Ländern zunehmend Anleihen in lokaler Währung. Sie sind dadurch besser vor Dollarschwankungen geschützt, gerade mit Beginn eines US-Wahljahres sowie eines Wendepunkts in der Geldpolitik der US-Notenbank.

Mehr Verschuldung in westlichen Volkswirtschaften

In entwickelten Märkten, in denen Zinsbewegungen in beide Richtungen gleichermaßen wahrscheinlich sind, gab es bereits eine Verlagerung auf fiskalpolitische Impulse. Mit Beginn von Christine Lagardes Amtszeit als EZB-Chefin scheint es ihr vorrangiges Ziel zu sein, die größten Volkswirtschaften der Eurozone zu ermutigen, mit Konjunkturprogrammen einen Wirtschaftsabschwung zu verhindern. Die USA und Großbritannien dürften ebenfalls ihre Staatsausgaben im Jahr 2020 erhöhen. Die Frage ist: Können diese Konjunkturprogramme das Wirtschaftswachstum tatsächlich ankurbeln? Die fiskalpolitischen Maßnahmen müssten dazu ein bedeutendes Ausmaß erreichen. Japan ist das beste Beispiel dafür, dass eine expansive Fiskalpolitik nicht unbedingt zu höheren Wachstums- und Inflationsraten führt.

Derzeit ist es wahrscheinlicher, dass die Weltkonjunktur an Schwung verliert und über einen längeren Zeitraum ein niedriges Wachstum verzeichnet, das sich auf rund drei Prozent einpendeln wird. Es ist kein erkennbarer Auslöser für eine signifikant steigende Inflation in Sicht – und für die Zentralbanken scheint keine Notwendigkeit zu bestehen, die Zinsen demnächst anzuheben

Umdenken und Portfolios gezielt anpassen

Für das Jahr 2020 halten wir eine Rezession für unwahrscheinlich, aber es wird dennoch ein Jahr wichtiger Entscheidungen für Anleger in festverzinsliche Wertpapiere. Ein Umfeld schwachen Wirtschaftswachstums, niedriger Inflation und geringer Renditen ist kein Grund zur Panik, es sollte institutionelle Anleger jedoch zu einem Umdenken über ihre Allokation in Anleihen veranlassen.

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