Kommentar
07:05 Uhr, 04.08.2014

Argentinien: Ein Ende mit Schrecken oder ein Schrecken ohne Ende?

Argentinien ist pleite. Wieder einmal. Das hat Konsequenzen. Beim letzten Bankrott ging das Bruttoinlandsprodukt um über 60% zurück. Große Teile der Bevölkerung rutschten in die Armut ab. Die Inflation stand bei 30%. Die Währung war nichts mehr wert.

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Bei solchen Erinnerungen fragt man sich, ob die argentinische Regierung völlig verantwortungslos gehandelt hat. Immerhin hätte sie eine Einigung mit den Gläubigern erzielen können. Trotz der jüngeren Geschichte und der schrecklichen Konsequenzen blieb die Regierung hart. Die Hintergründe dazu sind kompliziert. Wenn man sie versteht, dann wird schnell klar, dass die Lage gar nicht so schlimm ist wie sie aussieht und keine Gefahr einer Wiederholung von 2001/02 bevorsteht.

Wieso zahlt Argentinien nicht einfach seine Schulden?

Argentinien hat das Geld, um die Forderungen, um die es geht, zu begleichen. Dass die Regierung aber nicht einfach 1,5 Mrd. USD überweist hat gute Gründe. Diese gehen auf die Restrukturierung der Schulden 2001/02 und 2010 zurück. Bei der Restrukturierung machten nicht alle Gläubiger mit. Während ein überwältigender Großteil der Gläubiger auf einen Teil der Forderungen verzichtete, hielten einige Hedge Fonds die alten Anleihen einfach weiter und klagen nun eine Rückzahlung von 100 % plus Zinsen ein. Sie können das tun, weil in den Originalanleihebdingungen ein wichtiger Passus fehlte. In den meisten Verträgen findet sich eine Klausel, die alle Gläubiger dazu zwingt, bei einer Restrukturierung mitzumachen. Da die Klausel in den Bedingungen der Argentinienanleihen fehlt, konnten auch die Hedge Fonds nicht gezwungen werden, bei der Restrukturierung mitzumachen.

Das per se ist noch kein Beinbruch. Argentinien könnte einfach die Forderungen der Hedge Fonds ignorieren. Mehrere Jahre hat das auch funktioniert. Damit muss nun aber Schluss sein, denn in den Bedingungen gibt es auch die Pari Passu Klausel, derer nach alle Gläubiger gleich behandelt werden müssen. Argentinien kann also nicht die Hedge Fonds zu 100 % auszahlen, während alle anderen Gläubiger auf 70 % ihrer Forderungen verzichten mussten. Nachdem alle Gläubiger gleich behandelt werden müssen, durfte Argentinien die vor einem Monat fälligen Zinsen an die Gläubiger, die bei der Restrukturierung mitgemacht haben, nicht zahlen. Das hätte gegen die Klausel verstoßen.

Argentinien bleibt also nur die Wahl, alle gleich zu behandeln. Das können sie tun, indem sie entweder alle Gläubiger zu 100 % entschädigen oder keinen. Für letzteres hat sich Argentinien aktuell entschieden. Die Hedge Fonds argumentieren, dass Argentinien sie bezahlen könnte ohne die anderen Gläubiger ebenfalls entschädigen zu müssen. Das könnte evtl. vor Gericht durchgehen. Die anderen Gläubiger würden trotzdem klagen. Selbst wenn sie nicht Recht bekämen und nicht entschädigt werden müssten, dann würde sich der Prozess doch Jahre in die Länge ziehen und die Unsicherheit weiter hochhalten. Damit ist Argentinien nicht gedient.

Als wäre die Lage nicht schon kompliziert genug, gibt es in den restrukturierten Anleihebedingungen eine RUFO Klausel (Rights Upon Future Offers). Diese Klausel erlaubt es Argentinien nicht, sich mit Gläubigern wie den Hedge Fonds auf freiwilliger Basis zu einigen. Selbst wenn Argentinien zahlen wollte und würde, könnte das als freiwillige Zahlung interpretiert werden und gegen die Bedingungen der neuen Anleihen verstoßen. Dann wäre Argentinien erst recht dazu verpflichtet, den anderen Gläubigern ebenfalls 100 % zurückzuzahlen.

Auch hier argumentieren die Hedge Fonds, dass ein Gerichtsentscheid kaum als freiwillig interpretiert werden kann. Ganz so einfach ist die Sache allerdings nicht. Was wirklich freiwillig ist und was nicht, das müssten im Ernstfall wohl wieder die Gerichte feststellen – Ausgang ungewiss. Argentinien muss befürchten, dass sie in jedem Fall von den Altgläubigern auf 100 % Zahlung geklagt werden, wenn sie eine Zahlung an die Hedge Fonds leisten. Entweder wegen des Pari Passu oder wegen der RUFO Klausel. Eine Zahlung wäre in jedem Fall Anlass vor Gericht zu ziehen. Nicht nur ist der Ausgang ungewiss, auch ein jahrelanger Prozess verursacht indirekt hohe Kosten für Argentinien. So lange die Sache nicht vom Tisch ist, kann Argentinien kaum auf ausländische Investoren hoffen. Die Wirtschaft wäre auf Jahre gebremst. Unter diesen Umständen ist ein kurzer und schmerzloser Bankrott immer noch das kleinere Übel.








Befreiungsschlag in Kürze?

Trotz der etwas vertrackten Situation kann Argentinien das Blatt noch wenden. Solange Argentinien selbst das Geld nicht überweist, sondern eine dritte Partei, kann alles noch einmal gut gehen. Die RUFO Klausel läuft Ende 2014 aus. Bis dahin wäre es ein zu großes Risiko für die Regierung, die Schulden selbst zu begleichen. Es könnte allerdings ein Dritter (z.B. argentinische Banken) die Altanleihen den Hedge Fonds abkaufen. Die Hedge Fonds wären entschädigt. Der Gerichtsprozess wäre Geschichte. Argentinien könnte dann nach dem Jahreswechsel, wenn die RUFO Klausel nicht mehr gilt, wiederum die Banken entschädigen. Damit wäre die Sache dann endgültig gegessen.

Das ist mit Abstand die vernünftigste und wahrscheinlichste Lösung, die in den kommenden Tagen oder Wochen vorbereitet wird. Es sei denn, die Regierung schaltet wirklich auf stur und weigert sich aus Prinzip eine Lösung zu finden. Ich kann schwer einschätzen, ob die Regierung wirklich so stur sein kann. Letztlich wären die Mehrausgaben von 1,5 Mrd. ärgerlich, aber auch nicht die Welt. Keine Einigung in dem Streit würde dem Land mehr schaden als nützen. Zudem muss man den Hedge Fonds auch zugestehen, dass sie Recht haben. Es ist vielleicht subjektiv gesehen nicht gerecht, das Gesetz ist jedoch ziemlich deutlich. Darüber hinaus hat sich Argentinien bis zu einem gewissen Grad diese Situation selbst eingebrockt. In den Originalbedingungen fehlte eine wesentliche Klausel. Das hätte nicht passieren dürfen. Dann wird auch noch in den restrukturierten Anleihen einer RUFO Klausel zugestimmt. Das ist schon fahrlässig, wenigstens aber naiv.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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