Fundamentale Nachricht
18:35 Uhr, 04.09.2014

Analystenstimmen zu den heutigen EZB-Beschlüssen

Analysten sind sich weitgehend einig, dass die heute beschlossene Zinssenkung wirkungslos ist und die Kreditvergabe in Südeuropa nicht ankurbeln wird. Es handelt sich um einen symbolischen Schritt, um die TLTROs attraktiver zu machen. Die realwirtschaftlichen Folgen sind bescheiden.

Michael Hünseler, Leiter Credit Portfolio Management bei Assenagon

"Ein ABS-Kaufprogramm im Volumen von 500 Milliarden Euro erscheint ziemlich groß angelegt – vor allem angesichts der Tatsache, dass die Emissionstätigkeit in letzter Zeit eher verhalten war. Entscheidend wird sein, wie viel Risiko die EZB tatsächlich auf ihr Buch nimmt. Denn für die Banken dürfte es mitunter deutlich günstiger sein, sich im Rahmen des TLTRO Liquidität zu beschaffen anstatt durch den Verkauf von ABS."

Mario Gruppe, Analyst bei der Nord/LB

"Mit dem heutigen – nicht einstimmigen – Zinsschritt hat die Notenbank in erster Linie Zeit gekauft. Sie selbst hat offenbar keine Idee, in welcher Größenordnung die Banken Gebrauch von den beschlossenen Maßnahmen machen und ob die damit verfolgten Ziele erreicht werden. Als letzter großer Schritt bliebe dann nur noch 'echtes' QE, für das sich im Rat heute schon einige Notenbankpräsidenten ausgesprochen haben."

ifo-Präsident Hans-Werner Sinn

Die Entscheidung der EZB zur Zinssenkung von 0,15 auf 0,05 Prozent ist wirkungslos. "Die EZB hatte ihr Pulver schon viel zu früh verschossen und die Zinsen zu weit gesenkt. Jetzt ist sie in der Liquiditätsfalle. Sie kann an dieser Stelle kaum noch etwas tun. Bedauerlicherweise deutet sich auch der Kauf von Anleihen durch die EZB an. Damit würde sie das Investitionsrisiko der Anleger übernehmen, wozu sie nicht befugt ist, weil es sich dabei um eine fiskalische und keine geldpolitische Maßnahme handelt. Eine solche Politik ginge zu Lasten der Steuerzahler Europas, die für die Verluste der EZB aufkommen müssten."

Martin Harvey, Anleihen-Portfoliomanager bei Threadneedle Investments

"Im Zusammenspiel mit dem TLTRO-Programm könnten die heute beschlossenen Maßnahmen die Bilanz der EZB um bis zu eine Billion Euro aufblähen. Vorerst sollte diese Form der Geldpolitik risikoreicheren Vermögenswerten weiteren Auftrieb geben. Zudem dürfte sie dafür sorgen, dass die Jagd auf Rendite am Anleihenmarkt anhält – wenigstens so lange, bis sich zeigt, wie schnell die Bilanzverlängerung der EZB von statten geht."

Alexander Krüger, Chefvolkswirt Bankhaus Lampe

Das letzte Aufbäumen der EZB gegen die Krise hat begonnen. Ein breit angelegtes Wertpapierkaufprogramm ist nur eine Frage der Zeit. Es ist aber zu befürchten, dass diese Maßnahmen letztlich erst recht zu rezessiven Tendenzen führen.

Thilo Heidrich, volkswirtschaftlicher Analyst bei der Postbank

Die EZB hat sich mit den heute beschlossenen Maßnahmen noch weiter dem Rand ihrer Möglichkeiten genähert. Das Leitzinsniveau ist laut Draghis Aussage jetzt auf einem Niveau, das praktisch nicht mehr unterschritten werden kann. Bei den Sondermaßnahmen hat die Notenbank mit den beiden neuen Ankaufprogrammen ihr Spektrum nochmals ausgeweitet. Auf die Frage, inwieweit sich die Programme tatsächlich auf die Kreditvergabe auswirken können, werden erst die Detaildaten Auskunft geben. Mit Spannung dürfte auch die Durchführung des ersten TLTROs später in diesem Monat beobachtet werden. Wir rechnen damit, dass die EZB in den kommenden Monaten die Rolle eines kritischen Beobachters einnehmen wird. Gründe für weitere baldige Interventionen sehen wir derzeit nicht.

Jan Holthusen, Volkswirt bei der DZ Bank

Es ist zu bezweifeln, dass der erneut gesunkene Leitzins die Kreditvergabe in Südeuropa ankurbeln wird. Zudem macht ein Kaufprogramm von gedeckte Anleihen (Covererd Bonds) keinen Sinn, da der Markt schon sehr eng ist. Ob es der EZB daher gelingen kann, signifikante Beträge aufzukaufen, ist eher zweifelhaft.

Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbands BdB

Die ökonomischen Wirkungen der heutigen Zinssenkung sind vernachlässigbar. Die Gefahr, dass der Euro-Raum in eine gefährliche Deflationsspirale rutscht, ist nach wie vor gering. Auf der anderen Seite wächst mit den Aktivitäten der EZB die Gefahr, dass die in mehreren Euro-Ländern dringend erforderlichen Wirtschaftsreformen weiter verschleppt werden.

Marco Bargel, Chefvolkswirt bei der Postbank

Die EZB signalisiert mit ihrer Maßnahme, dass sie sehr weit zu gehen bereit ist. Das ist eher ein symbolischer Schritt. Die realwirtschaftlichen Folgen sind bescheiden.

Dr. Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt bei der HSH Nordbank

Die EZB verstrickt sich in Widersprüche. So sollen die TLTRO-Langfristtender explizit nicht dazu verwendet werden, mehr Hypothekenkredite zu vergeben. Durch diese Maßgabe sollte verhindert werden, dass die Liquidität der Notenbank für Investitionen im Immobilienmarkt genutzt werden und dort die Blasengefahr erhöht. Das Ankaufprogramm für Covered Bonds wird aber (und soll wohl auch) die Refinanzierung von Immobilienkrediten erleichtern. Gleiches gilt übrigens für verbriefte Hypothekenkredite, die in dem ABS-Ankaufprogramm enthalten sind. Was also möchte die EZB? Geht es ihr um ein "Credit Easing", wie Draghi auf der Sitzung betont hat, also eine Erleichterung bei der Refinanzierung von Banken? Oder geht es darum, mehr Liquidität in die Märkte zu pumpen, ohne den Weg über den Ankauf von Staatsanleihen zu nehmen – der offensichtlich (noch) nicht mehrheitsfähig war? Widersprüchlich bleibt der Beschluss der Notenbank in jedem Fall.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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