Kommentar
08:05 Uhr, 06.11.2021

An der Geldpolitik wird die Eurozone niemals scheitern

So viele verschiedene Länder in der Eurozone, da kann eine Geldpolitik für alle doch gar nicht funktionieren…

Es ist ein Argument, welches man immer wieder hören kann. Das Argument macht intuitiv auch sofort Sinn. Wie kann es sein, dass eine einzige Geldpolitik für so unterschiedliche Länder wie Griechenland und Deutschland funktioniert? Das kann nicht sein. Die Bedürfnisse sind vollkommen unterschiedliche. Ein Land steckt seit Jahren in der Deflation und hat nach Japan die zweithöchste Staatsverschuldung in der Welt. Ohne Rettungsprogramme wäre Griechenland schon lange bankrott. Das andere Land boomt. Trotzdem haben beide den gleichen Zinssatz. Auf Dauer kann das nicht funktionieren. Es droht die Eurozone zu zerreißen, ganz logisch. Es ist nur eine Frage der Zeit. Das Problem an der Argumentation: Es wird davon ausgegangen, dass die EZB zwischen Ländern nicht differenzieren kann. Das ist ein Trugschluss. Die EZB kann den Leitzins für Deutschland nicht bei 2 % festlegen und für Griechenland bei 0 %. Das ist richtig. Sie hat aber andere Instrumente, um zu differenzieren. Die Instrumente wurden in den vergangenen Jahren erst entdeckt und wie so vieles in der Geldpolitik geht es auf die Finanzkrise zurück.

Bis zur Finanzkrise mussten sich Banken kurzfristig Geld bei der Notenbank leihen. Dies geschah über Refinanzierungsgeschäfte mit einem Tag oder wenigen Tagen Laufzeit. Nach der Finanzkrise wurde dies auf zwei Arten verändert. Zum einen erhält jede Bank den Betrag, den sie will. Zum anderen werden die Refinanzierungsgeschäfte immer länger. Die längsten haben eine Laufzeit von drei Jahren (LTROs und TLTROs).

Langfristrefinanzierungsgeschäfte (LTROs, long term refinancing operations) und gezielte Langfristrefinanzierungsgeschäfte (TLTROs, targeted long term refinancing operations) haben die täglichen und wöchentlichen Refinanzierungen vollständig ersetzt (Grafik 1). Banken leihen sich einmalig sehr viel Geld und sitzen dann auf diesem Berg an Geld.


Das größte Refinanzierungsgeschäft gab es im Juni 2020. Banken liehen sich über 1,3 Billionen Dollar bei der Notenbank – auf einen Schlag. Das ist eine unglaubliche Menge. Die Konditionen waren aber einfach zu attraktiv, um nicht zuzuschlagen.

Wenn Banken mehr Geld haben, als sie an Reserven halten müssen, wird das überschüssige Geld bei der EZB geparkt. Hier fällt der Einlagensatz von -0,5 % an. Banken zahlen Negativzinsen und die Marge wird so immer kleiner. Bei den Pandemie-TLTROs gab es Konditionen, die ebenfalls einen negativen Zinssatz haben. Der negative Einlagensatz wurde so durch die Hintertür wieder ausgehebelt.

Durch die Festlegung von Konditionen für LTROs und TLTROs kann die EZB bestimmte Probleme angehen. Zuletzt war es der negative Einlagensatz. Davon sind alle betroffen, jedoch Banken in Ländern wie Deutschland besonders. In der Krise wurde viel Geld aus Ländern wie Italien in Länder wie Deutschland überwiesen. Deutsche Banken hatten besonders viel überschüssiges Geld, welches sie bei der EZB parken mussten.

Deutsche Banken griffen bei den jüngsten Refinanzierungen entsprechend zu. Bei früheren war das nicht der Fall. Deutsche Banken liehen sich viel weniger als man anhand der Wirtschaftsleistung und Bevölkerung erwarten würde. Das war auch so gewollt. Frühere TLTROs sollten die Finanzierungsbedingungen in Eurokrisenländern verbessern. Entsprechend nahmen Banken in diesen Ländern sehr viel mehr Geld auf.

So erklärt sich, dass Italien z.B. im Jahr 2019 gegenüber dem Kapitalschlüssel sehr viel mehr Geld aufnahm und 2021 die Differenz kleiner geworden ist, weil sich deutsche Banken mehr Geld leihen. Die EZB kann über die Konditionen ihre Geldpolitik auf einzelne Länder ausrichten. Das ist kompliziert, erfüllt aber seinen Zweck. Die Differenzierung ist auch noch lange nicht ausgereizt. Es ist gut möglich, dass der einheitliche Leitzins zur Makulatur wird und die wahre Geldpolitik über die Konditionen von Refinanzierungsgeschäften differenziert.

Clemens Schmale


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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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