Kommentar
09:36 Uhr, 08.05.2020

Aktienmarkt: Warum Anleger immer noch auf einen Rücksetzer zählen können

Die Rally der letzten Wochen war schon fast unheimlich. Immer mehr Zweifel kamen auf, dass es die sonst typische zweite Verkaufswelle überhaupt geben wird. Es wird sie geben.

Vergangene Woche gab es einen Vorgeschmack auf tiefere Kurse. Das war man gar nicht mehr gewohnt. Fast sechs Wochen lang schien es so, als ob Kurse gar nicht mehr fallen könnten. Anleger hatten das Verkaufen verlernt. Dieses Bild ist für eine Bärenmarktrally nicht ungewöhnlich.

Ungewöhnlich ist das Ausmaß der Rally. Kurse können in Bärenmärkten problemlos 15 %, 20 % oder 25 % steigen. Der Dax stieg während dieser Rally 37 % an, der S&P 500 stieg 35 %. Das ließ Zweifel aufkommen, ob es überhaupt noch einmal nach unten gehen würde.

Für diese starken Rallybewegungen gibt es gute Gründe. In einem Abwärtstrend werden Aktien leerverkauft. Beginnen die Kurse erst wieder zu steigen (irgendwann erschöpft sich jeder Crash), weil Schnäppchenjäger einsteigen, müssen die Shortpositionen wieder geschlossen werden. Zusammen mit den ersten Käufen von Anlegern kann sich dieser Prozess in die Länge ziehen.

Ebenso wie Anleger im Abwärtstrend beim Verkaufen zögern, zögern sie auch beim Kaufen im Rebound. Wer Shortpositionen hat, wartet erst ab, um zu erkennen, ob die Kurse nicht doch weiter fallen. Tun sie es nicht, wird eingedeckt. Nicht jeder löst die Shortpositionen sofort auf. Bis sich alles wieder normalisiert hat, dauert es Wochen.

Das ist ganz normal. Unnormal war sicherlich die enorme Schützenhilfe der Notenbanken. Diese erklärt vermutlich, weshalb der Markt sehr viel weiter nach oben laufen konnte als ursprünglich zu erwarten war. Nun ist der Markt aber mit dem typischen Prozess durch. Damit beginnt nun die zweite Phase.

In der ersten Phase wird erst verkauft – aus guten Gründen. Die Wirtschaft bricht ja ein. In der Rallyephase bewegen vor allem technische Gründe den Markt (Schnäppchenjäger, Shortpositionen werden aufgelöst). In der zweiten Phase haben Anleger wieder die Ruhe auf die Fundamentaldaten zu blicken und erkennen dabei, dass der Markt zu hoch bewertet ist. Es kommt wieder zu Verkäufen.

Die Schlussfolgerung, dass der Markt zu hoch bewertet ist, muss fast zwingend erfolgen. Im besten Fall erreicht die Wirtschaftsleistung Ende 2022 wieder das Niveau aus 2019 (Grafik 1). Das setzt voraus, dass sich die Wirtschaft schnell normalisiert und es keine zweite Infektionswelle gibt. Die Risiken für diese Prognose sind also hoch. Es ist der bestmögliche Fall.


Für die Wirtschaft ist der Einbruch eine Katastrophe, weil viele Arbeitsplätze verlorengehen. Die Gewinne von Unternehmen und die Arbeitslosenzahlen verlaufen parallel (Grafik 2). Da sich die Wirtschaft nur langsam erholen wird und damit auch die Arbeitslosenzahlen für lange Zeit hoch bleiben werden, ist für Unternehmen nicht mit einer schnellen Rückkehr zu den Rekordgewinnen aus 2019 zu rechnen.

In den USA geht das Congressional Budget Office sogar Ende 2021 noch von einer Arbeitslosenquote von knapp 10 % aus. Die Rekordgewinne wurden bei einer Arbeitslosenquote von 3,5 % erwirtschaftet. Es ist vollkommen illusorisch davon auszugehen, dass der Dax bei 11.000 oder der S&P 500 bei 3.000 Punkten fair bewertet ist. Dieser Wert ist vermutlich erst im kommenden Jahr ansatzweise fair.

Anleger blicken für gewöhnlich 6 Monate in die Zukunft. Das, was Ende 2021 fair ist, spielt heute keine Rolle. Wenn Anleger ihren Zeithorizont nicht spontan auf anderthalb bis zwei Jahre ausgedehnt haben, ist von einem neuerlichen Rücksetzer auszugehen. Von alleine beginnt dieser aber nicht. Es braucht einen Auslöser, z.B. wieder steigende Infektionszahlen nach der Öffnung der Wirtschaft. Kurz gesagt: Rücksetzer ja, aber nicht jetzt.


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18 Kommentare

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  • mkronen
    mkronen

    Wir sind noch völlig im Verlaufsplan von Herrn Weygand:

    Bullkeil - done

    Linke Schulter mit DAX deutlich über 11000 - done

    rechte Schulter kommt die Tage

    -> danach zweite Maihälft abwärts.

    Je höher das jetzt gepumpt wurde und ggf noch etwas wird (Nasdaq), desto härter wird der Aufschlag.

    Man beachte: Das ganze Notenbankgeld der Anleihekäufe fliesst in den Aktienmarkt, der dann stark abwertet. Kreditausfälle -> reale Inflation.

    -> QE4ever -> Schuldenschnitt !!!

    20:50 Uhr, 09.05. 2020
  • Torstenx
    Torstenx

    Hallo Herr Schmale, vielen Dank für den guten Artikel. Insbesondere die Grafik zu den Unternehmensgewinnen im Zusammenhang mit der Arbeitslosenzahl ist überzeugend. Es herrscht schon wieder zuviel Glauben an das viele Geld der Notenbanken. Die Notenbanken werden den Unternehmen die Verluste nicht ersetzen! Es wird sich lohnen, an charttechnisch entscheidenden Punkten Stop Sell Orders zu setzen. Ich wünsche Ihnen ein schönes WE und bleiben auch Sie gesund.

    19:21 Uhr, 09.05. 2020
  • mariahellwig
    mariahellwig

    Der Börse ist Corona eigentlich egal. Am Ende zählen die wirtschaftlichen Auswirkungen. Die Unternehmensnachrichten in den nächsten Monaten werden fürchterlich. Ein gewisses Maß ist sicherlich eingepreist. Bringen die aktuell beschlossenen Öffnungen nicht die erhoffte Belebung oder kommt eine Gewinnwarung zu viel, kann der Markt schnell Richtung Süden drehen.

    Amazon z.B. gilt als Gewinner der Krise. Ich bin auf die Reaktion gespannt, wenn man erkennt , dass die Konsumenten den Gürtel enger schnellen müssen. Halte ich für einen Kipppunkt

    11:14 Uhr, 08.05. 2020
    1 Antwort anzeigen
  • Trival
    Trival

    Hallo Herr Schmale,
    Ich glaube mit Ihrem letzten Abschnitt „Anleger blicken für gewöhnlich 6 Monate in die Zukunft...“ ist wirklich alles gesagt. Kommt keine neue Katastrophe, dann sind die Verluste bereis eingepreist und der Markt wird mehr oder weniger wieder wachsen. Ist Corona in 1-2 Monaten wieder auf dem Tisch, wird es an der Börse „brennen“ und zwar richtig, denn das dürften so einige Firmen dann nicht mehr überleben. Hier kommt es also darauf an in der nächsten Zeit auf das „richtige Pferd“ bzw. die „richtigen Pferde“ zu setzen.

    10:17 Uhr, 08.05. 2020
    1 Antwort anzeigen
  • tschak
    tschak

    Achtung Herr Schmale. Alle Analysen von Ihnen bisher haben eine sehr gute Qualität.
    Aber wie es auch schon Warren Buffet öfters angemerkt hat: die ZINSEN.
    Oder wie es Kostolany sagen würde: Eines der 4 G = LIQUIDITÄT.
    Durch den Klapperstorch Greenspan kennen wir ja bereits seit Dekaden den "Famous FED-Put"
    Well, there u go: TINA
    Aktien sind bei "de-facto ZIRP" alternativlos, so meine Meinung.
    Daher habe ich auch -spätestens- beim Anzeichen einer FED-Balance Sheet von USD 10 Billionen und mehr auf AKTIEN wieder gesetzt , von damals 15% Aktienquote auf nun 65% Aktienquote.
    Gut, ich bin schon immer AKTIENINVESTOR gewesen, aber ich sehe absolute keine Alternative zu Microsoft, Google & Co. (Food, Drinks, Health, etc.)
    Somit sind Gewinne sehr wichtig, aber NICHT, ob diese schon in 6 Monaten oder in 12 MOnaten EXTREM raufschnalzen...
    Danke auf jeden Fall für ihre fundierten Kurz-Analysen. Sie sind immer sehr erhellend und regen zum Reflektieren an!

    09:47 Uhr, 08.05. 2020

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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