Kommentar
19:42 Uhr, 22.04.2020

Aktien: Schon wieder teuer oder immer noch billig?

Die wenigsten waren bei der Rallye der letzten Wochen dabei. Kann man jetzt noch einsteigen oder sind Aktien schon wieder viel zu teuer?

Wo die Kurse am nächsten Tag stehen ist manchmal schwerer vorherzusagen als langfristige Kursziele zu nennen. Die Schwankungsbreite war in den letzten Wochen so hoch, dass es manchmal nur Stunden dauerte bis Indizes 5 % höher oder tiefer standen. Die Volatilität ist inzwischen wieder niedriger als Ende März, im historischen Vergleich aber immer noch hoch.

Viele erwarten eine zweite Abwärtsbewegung. Es wäre typisch und ist auch wahrscheinlich. Kurse entstehen, weil sich Menschen zum Kauf oder Verkauf zu einem bestimmten Preis entscheiden und Menschen verhalten sich in ähnlichen Situation auch ähnlich. So kommt es, dass man zu Beginn eines Abverkaufs tapfer durchhält. Man hat ja eine langfristige Perspektive.

Jeder Prozentpunkt, den es abwärts geht, ist eine Nervenprobe. Irgendwann wird man schwach und verkauft oder sichert durch Optionen ab. Dann kommt die Rally wie jetzt. Man denkt sich: das geht noch einmal nach unten. Tag für Tag, den die erwartete Bewegung nicht kommt wird es schwerer, nicht zu kaufen. Am Ende wird man schwach und kauft. Dann geht es wieder abwärts...

Kurzfristiges Timing gelingt den wenigsten Anlegern. Es ist schwierig, weil eben Emotionen eine große Rolle spielen. Die langfristige Perspektive ist manchmal einfacher. Keiner weiß, ob der aktuelle Punktestand des Dax oder S&P 500 von Anlegern morgen noch als interessant empfunden wird und sie weiter kaufen oder neue Angst entwickeln und verkaufen.

Wir wissen aber mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit, dass auf Sicht von 5 oder 10 Jahren Unternehmen wieder gutes Geld verdienen werden und Aktien zulegen können. Dabei müssen nicht einmal neue Rekordgewinne erzielt werden. In den letzten zwei Monaten hat sich nämlich viel verändert.


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Global wurde ein neues Zinstief erreicht. Seit 2012 versuchten sich die US-Zinsen immer wieder am Tief, das schon einmal zur Zeit des Zweiten Weltkriegs erreicht wurde (Grafik 1). Dieses Tief wurde nun ganz klar aus dem Markt genommen. US-Zinsen stehen heute 50 % tiefer. Wer das Anfang des Jahres vorhergesagt hätte, wäre für verrückt erklärt worden.


Das alte Mantra, dass die Zinsen für längere Zeit tief bleiben, ist nun ein neues: tiefer für immer. Das Zinsniveau spielt eine wichtige Rolle für Aktien. Aktien sind riskanter als Anleihen. Kauft man heute eine zehnjährige US-Anleihe ist relativ sicher, dass man jedes Jahr 0,65 % gewinnt. Bei Aktien gibt es 1,8 % Dividendenrendite, also mehr, dafür aber auch Kursschwankungen. Keiner kann garantieren, dass man den Einsatz zurückerhält.

Je tiefer die Zinsen sind, desto attraktiver sind Aktien. Bis vor kurzem habe ich dieses Argument nicht gelten lassen. Der Markt war gemessen an den Zinsen zu hoch bewertet. Und heute? Heute sind Aktien im Verhältnis zu Anleihen so billig wie selten zuvor (Grafik 2).

Langfristig sind die Perspektiven für Aktien gut. Kurzfristig mögen die Kurse wieder fallen. Jeder muss selbst entscheiden, ob er sich am Timing versuchen möchte. Wer den Blick auf den Horizont gerichtet hat, dem kann das eigentlich egal sein.


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2 Kommentare

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  • mariahellwig
    mariahellwig

    "Je tiefer die Zinsen sind, desto attraktiver sind Aktien."

    Diese Logik gilt nur, solange die Kurse steigen. Bei fallenden Kursen ist sie wertlos.

    18:44 Uhr, 23.04.2020
  • Dr. Bull
    Dr. Bull

    Guter und interessanter Bericht.

    19:54 Uhr, 22.04.2020

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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