Kommentar
09:48 Uhr, 25.01.2017

6 Monate nach Volksentscheid: Wie steht es um Großbritannien?

Wo steht eigentlich die britische Wirtschaft ein halbes Jahr nach dem Brexit-Votum? Nun, keiner weiß das so richtig.

Nach dem Referendum war der Schock schnell verdaut und es kam zu einem regelrechten Boom. Der Konsum sprang an, Konsumenten waren in bester Laune und das Wirtschaftswachstum blieb einigermaßen robust. Das hatte niemand erwartet. Die meisten Vorhersagen gingen von einem abrupten Einbruch des Wachstums aus.

Der Einbruch kam ganz offensichtlich nicht. Als das klar wurde, wurden die Vorhersagen revidiert. Sie sehen noch immer einen Dämpfer, aber eben nicht direkt im Anschluss an das Referendum, sondern später, konkret 2017. Nun ist es 2017. Es wird Zeit, dass sich – sofern es überhaupt dazu kommt – der Dämpfer zeigt. Andernfalls gibt es eine neue Revisionswelle der Prognosen.

Derzeit kann noch niemand sagen, wohin die Reise tatsächlich geht. Obwohl 6 Monate mehr an Daten zur Verfügung stehen, ist die Lage nicht gut einzuschätzen. Man kann jedoch einen bedenklichen Trend feststellen: der Konsument will nicht mehr so recht. Die Partylaune ist irgendwie vorbei.

Grafik 1 zeigt das Wachstum der privaten Konsumausgaben. Es erreichte im dritten Quartal 2016 ca. 4 %. Das beinhaltet die Partylaune nach dem Referendum. Ende 2016 scheint sich das Blatt nun zu wenden. Der Einzelhandel vermeldet einen Umsatzrückgang von 1,9 % im Vergleich zum Vormonat. Das ist ein starker Dämpfer.

Konsumenten können natürlich auch Geld jenseits des Einzelhandels ausgeben. Die Konsumausgaben müssen nicht zwangsläufig eingebrochen sein. Wirklich wissen werden wir das erst später. Die Daten für das vierte Quartal sind noch nicht verfügbar. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass die persönlichen Konsumausgaben von 4 % Wachstum Richtung 2 % Wachstum fallen und vielleicht auch kurzzeitig darunter sinken.

Den starken Anstieg der Ausgaben finanzierten die Briten über Konsumkredite. Das Lohnwachstum liegt bei deutlich weniger als den 4 % Ausgabenwachstum. Die Konsumkredite stiegen auf Jahressicht um ca. 10 % und nähern sich dem Rekord kurz vor Ausbruch der Finanzkrise. Die Luft für kreditfinanzierten Konsum wird so langsam dünner.

Für den Arbeitsmarkt ist das keine gute Nachricht, denn das Beschäftigungsniveau ist stark vom Privatkonsum abhängig. Der Zusammenhang ist in Grafik 1 gut zu erkennen. Schon jetzt verlangsamt sich das Stellenwachstum auf den niedrigsten Stand seit drei Jahren. Panik muss man da noch nicht bekommen, denn die Arbeitslosenrate ist weiter rückläufig.

Zuletzt fiel die Arbeitslosenrate jedoch nicht mehr, weil immer mehr Menschen Jobs finden, sondern weil mehr Personen aus dem Arbeitsmarkt ausschieden als eintraten. Die Beschäftigungsquote ist auf sehr hohem Niveau, scheint nun aber langsam zu sinken. Das ist kein Alarmzeichen. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, in denen die Beschäftigungsquoten sinken, stieg sie in Großbritannien nach der Krise auf neue Hochs.

Was man zum aktuellen Zeitpunkt über die britische Wirtschaft sagen kann, ist Folgendes: die Konsumdynamik lässt nach und mit ihr auch die Dynamik auf dem Arbeitsmarkt. Eine Verlangsamung des Wachstums ist unter diesen Voraussetzungen vorprogrammiert, zumal britische Haushalte inzwischen wieder sehr hoch verschuldet sind.

Die Regierung stört das alles nicht. Unter den gegebenen Umständen macht sie allerdings das einzig Richtige. Sie will nun rasch den Brexit durchziehen. Das beseitigt Unsicherheit. Die Währung hilft dabei. Die Abwertung des Pfunds sollte dem produzierenden Sektor langfristig helfen. Das passiert jedoch nur, wenn Großbritannien einen Freihandelsdeal mit der EU bekommt.

Auf Freihandel wirkt Großbritannien hin. Das machte Premier May deutlich. Ganz nebenbei erteilte sie damit Donald Trump indirekt eine Absage, der die Relevanz der EU herunterspielt und mit dem Freihandel so seine Probleme hat.

Die Unsicherheiten bleiben groß und die Pfundabwertung sorgt nun erst einmal für Inflation und damit geringere Kauflust der Konsumenten. Die Sparquote stieg zuletzt wieder an. Das war in der Vergangenheit immer wieder der Fall, wenn die Inflation stieg und die Währung abwertete. Die Korrelation ist hoch (Grafik 3).

Aktuell ist die britische Wirtschaft weder Fisch noch Fleisch. Es geht besser als gedacht, die Aussichten trüben sich jedoch ein. Bleibt es dabei, dann könnte das Pfund der Überraschungsgewinner des Jahres 2017 werden. Großbritannien importiert einen Großteil der Konsumgüter. Durch geringere Nachfrage nach Importen durch missgelaunte Konsumenten kann sich die Handelsbilanz verbessern und damit auch die Aussichten für das Pfund aufhellen.

Clemens Schmale

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Über den Experten

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Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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