Fundamentale Nachricht
14:09 Uhr, 18.10.2023

2024 wird das Jahr der Anleihe

Nach dem größten Renditeanstieg seit 2020 sollte 2023 das Jahr der Anleihe werden. Aber dann ließ die Marktentwicklung die Zweifel nur noch größer werden. Dennoch ist sich Chris Iggo, CIO Core Investments bei AXA Investment Managers, sicher: 2024 ist es endlich so weit.

Für Anleihen waren die letzten drei Jahre nicht einfach. Nach dem größten Renditeanstieg seit 2020 sollte 2023 das Jahr der Anleihe werden. Aber dann ließ die Marktentwicklung die Zweifel nur noch größer werden. Dennoch bin ich mir sicher: 2024 ist es endlich so weit. Die Renditen sind so hoch wie lange nicht, und nach der zuletzt katastrophalen Wertentwicklung ist das Risiko-Ertrags-Profil von Anleihen heute so gut wie seit mindestens 20 Jahren nicht mehr. Die hohen Geldmarktzinsen bleiben zwar eine Herausforderung, doch sobald die Notenbanken zu lockern beginnen, werden die Erträge steigen. Nächstes Jahr wird alles besser …

(Noch) kein neues 1973: Bislang reagierten die Märkte kaum auf die Ereignisse im Nahen Osten. Ob das so bleibt, hängt von politischen Entscheidungen ab, über die wir hier nicht spekulieren wollen. Wenn sich der Krieg ausweitet und andere hineingezogen werden, dürften Dollar und Gold zulegen und die Anleihenrenditen fallen. Risiko­reichere Titel gerieten unter Druck. Bei einem wie auch immer gearteten Waffenstillstand oder Vermittlungsversuchen Dritter würden sich die Anleger sofort wieder ausschließlich auf die altbekannten Themen konzentrieren: Inflation, Zinsen und Wachstum. Ich will die menschliche Tragödie unter keinen Umständen kleinreden. Fest steht aber auch, dass kaum mit einem ähnlichen Ölpreisschock wie in den 1970ern zu rechnen ist – und selbst wenn, wäre die Weltwirtschaft heute sehr viel besser vorbereitet. Natürlich wäre ein Ölpreisschock nicht gut; gerade erst haben wir gesehen, was höhere Energiepreise anrichten können. Anders als in den Siebzigern spricht jetzt aber kaum etwas für eine jahrelange Stagflation mit miserablen Real­erträgen.

Auf und Ab: Anleihen sind noch immer volatil. Von Mai bis September verzeichneten internationale Staatsanleihen fünf Monate in Folge Verluste, und auch im Oktober liegen sie leicht im Minus. Seit Januar hat man jetzt 1,4% verloren, sodass ein noch nie dagewesenes drittes Verlustjahr in Folge möglich scheint. Der bislang aufgelaufene Dreijahresverlust der meisten Anleihenindizes ist der höchste seit ihrer Auflegung vor mehreren Jahrzehnten. Diese Woche schienen sich die Märkte zwar etwas zu stabilisieren, aber dann kam es erneut zu einem kurzen Ausverkauf: Im September waren die amerikanischen Verbraucherpreise etwas stärker gestiegen als erwartet. Die Renditen sind aber noch immer hoch, zumindest im Vergleich zu den letzten Jahren, und aus meiner Sicht auch noch immer attraktiv. Die Titel des ICE BofA Global Government Bond Index notieren im Schnitt bei 88,3, fast auf einem Allzeittief. Anfang 2020 betrug der Durchschnittskurs noch 117,4.

Rätsel: In vielen Gesprächen mit Kunden ging es zuletzt darum, weshalb Leitzinserhöhungen um 500 Basispunkte der Weltkonjunktur bislang kaum geschadet haben. Portfoliomanager können sich nicht einfach auf der Behauptung ausruhen, dass die Geldpolitik nun einmal spät und mit unterschiedlichen Verzögerungen wirkt – zumal das optimale Risiko-Ertrags-Profil auch vom Anlagehorizont abhängt. Ich bleibe dabei, dass Haushalte und Unternehmen immer mehr Geld für den Schuldendienst auf­wenden müssen, wenn die Zinsen nicht bald gesenkt werden. Schließlich haben sie hohe Kredite aufgenommen. Auch die Regierungen bekommen die höheren Zinsen allmählich zu spüren, müssen sie doch bei Neuemissionen sehr viel höhere Coupons bieten. Manche müssen außerdem die Verluste ihrer Notenbanken übernehmen. Sie fallen an, weil die Geschäftsbanken wegen des Quantitative Easing hohe Guthaben bei den Notenbanken halten und darauf Zinsen gezahlt werden müssen. Die Staatsfinanzen vieler Industrieländer dürften sich verschlechtern, sodass die Fiskalpolitik gestrafft werden muss. Vorbei sind die Zeiten, als großzügige Coronahilfen das Wachstum förderten.

Wichtiger Wohnimmobilienmarkt: Entscheidend für den Zinsausblick bleibt der Wohnimmobilienmarkt. In den USA beträgt der 30-jährige Hypothekenzins laut Bankrate.com im Schnitt 7,8% – so viel wie nur selten in den letzten 25 Jahren. Kredite kosten heute mehr als beim letzten Zinsplateau 2006/2007. In Großbritannien zahlt man für zweijährige Festzinshypotheken im Schnitt knapp 6%, nach 1,5% Ende 2021. Laut der Bank of England wurden dieses Jahr weniger Hypothekenkredite bewilligt. Im letzten Monat, für den Zahlen vorliegen, waren es nur 45.000, was deutlich unter dem Langfristdurchschnitt liegt. Offensichtlich ging die Nachfrage zurück. Die Nationwide Building Society schreibt, dass im Schnitt heute ein so großer Teil des Haushaltsnettoeinkommens auf den Schuldendienst für Hypothekenkredite entfällt wie zuletzt 2009. In den USA funktioniert der Hypothekenmarkt zwar anders als in Großbritannien, aber auch hier ist bei 8% Zinsen kaum mit einer hohen Nachfrage zu rechnen. Die Verkäufe neuer Immobilien nehmen daher langsam ab, auch wenn klare Anzeichen für fallende Hauspreise noch fehlen.

Das dicke Ende kommt noch: Ich halte es nur für eine Frage der Zeit, bis die Haushalte die höheren Kreditkosten zu spüren bekommen und dann weniger Geld für den Konsum ausgeben. Andererseits überrascht es mich nach meinen Gesprächen mit Kreditanalysten und Investoren nicht, dass die höheren Zinsen Unternehmen erst wenig geschadet haben. Viele waren klug genug, die niedrigen Zinsen für günstige Refinanzierungen zu nutzen. Ihre Kassen sind daher gut gefüllt, und das überschüssige Fremdkapital wird zu 5,5% am Geldmarkt angelegt. Neue Kredite werden aber teurer: Der Durchschnittscoupon des ICE BofA US 1–3 Year Corporate Bond Index beträgt zurzeit nur 3,4%, aber die Endfälligkeitsrendite liegt bei 6,1%. Wenn die Renditen nicht fallen, muss auslaufendes Fremdkapital zu fast doppelt so hohen Zinsen refinanziert werden, wie für Anleihen aus den letzten drei Jahren gezahlt werden muss.

Was wir wissen und womit wir rechnen: Es wird aber nicht plötzlich alles anders sein. 2023 ist nicht 2007, als in den USA sehr viele Hypothekenkredite variabel verzinslich waren und deren Zinsen dann schnell stiegen. Es gibt kaum Zahlen darüber, wie viele Unternehmen jetzt mit steigenden Zinsen konfrontiert sind, etwa für revolvierende Bankkredite, und wie sich die Nachfrage nach neuen Hypothekenkrediten entwickelt. Wir wissen aber, dass die Banken ihre Kreditbedingungen straffen und dass britische Hypothekenschuldner, die sich jetzt zu höheren Zinsen refinanzieren müssen, sehr viel mehr Geld für den monatlichen Schuldendienst brauchen. Außerdem wird neues Fremdkapital für Investitionen deutlich teurer sein als vor drei Jahren. All das kann nicht ohne Folgen bleiben und wird einen Abschwung beschleunigen, wenn nicht eine Rezession auslösen. Dann werden die Zinsen wieder gesenkt.

Die Hauspreise werden die Inflation dämpfen … irgendwann: Auch die Hauspreise beeinflussen den Inflationsausblick. Im September ist die US-Inflation zwar nicht gefallen – sie betrug unverändert 3,7% z.Vj –, doch war die Dienstleistungsinflation ohne Wohnungsmieten mit 2,8% z.Vj. (saisonbereinigt) sehr viel leichter zu akzeptieren. Im September 2022 hatte sie noch über 8% betragen. Nach den neuesten Daten steigen die Wohnkosten zwar noch immer um 5,6% z.Vj., doch verändern sich Hauspreise nur langsam – und die Wohnkostenkomponente des Verbraucherpreis­index damit auch. Alles in allem betrug die Inflation ohne Lebensmittel, Wohnkosten und Energie im September nur 2,0%. Der Zielwert wäre erreicht. 😉

Weiterhin höhere Risiken: Der Wohnimmobilienmarkt ist zinssensitiv, und die Hauspreisentwicklung kann Inflationsindikatoren verzerren. Es gleicht einem Regelkreis: Die höhere Inflation führt zu höheren Zinsen, die die Hauspreise irgendwann dämpfen, sodass die Inflation am Ende wieder fällt und dann auch die Zinsen gesenkt werden. Eine für Anleihen positive Interpretation der Daten wäre, dass die Inflation – wenn man die Wohnkosten herausrechnet – schon fast wieder auf ihren Zielwert gefallen ist und die Fed die Zinsen daher nicht noch einmal erhöhen muss. Der nächste Zinsschritt wäre eine Senkung – sobald die Gesamtinflation ebenfalls gefallen ist und es weitere Anzeichen für schwächeres Wachstum gibt. Nicht auszuschließen ist aber, dass die Konjunktur wegen der strafferen Geldpolitik einbricht und wir dies jetzt noch nicht erkennen. In den nächsten Wochen werden wir daher die Gewinne der US-Banken genau im Blick behalten. Meine Kollegen aus dem Anleihenteam registrieren bereits, dass sich die CDS-Spreads amerikanischer Banken in den letzten Wochen ausgeweitet haben. Der Renditeanstieg im Sommer könnte den Finanzen und Gewinnen der Banken schaden. Warten wir es ab.

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