Kommentar
17:24 Uhr, 09.12.2005

2006: Kapitalmärkte zwischen Abwehr und Sturm

Wie viel sparen die Deutschen eigentlich? Wie hoch ist ihr Nettoeinkommen von dem sie etwas zurück legen können? Stimmt die „Lebenszyklushypothese“?

Ob Bulle oder Bär - eines ist sicher: 2006 wird das Jahr der Fußballweltmeisterschaft. Und während sich die deutsche Nationalelf in der Vorrunde mehr oder weniger bravourös schlägt, suchen die Anleger die Kapitalmärkte nach Abseitsfallen und Torchancen ab, um ihre Assets zwischen Abwehr und Sturm für das kommende Jahr zu positionieren. Dabei verlief die Vorrunde an den Aktienmärkten deutlich weniger durchwachsen als bei der Nationalelf: Die meisten Märkte stellen in sattem Grün da, allen voran Osteuropa, Japan und Lateinamerika. Aber auch der deutsche wie der europäische Aktienmarkt konnten zweistellig zulegen.

Auch die Anleiheinvestoren konnten sich freuen: Die Staatsanleihen im Euroland erreichten ein neues, historisches Renditetief und erzielten damit Kursgewinne. Gleichzeitig schmolzen die Renditeaufschläge von Emerging Markets- und Unternehmensanleihen weiter zusammen. Erst in den Herbst hinein kam dann Nervosität bezüglich der künftigen Geldpolitik von EZB und Fed auf, die durch einen, vom Ölpreis getriebenen, latenten Inflationsdruck genährt wurde. Was die amerikanischen „Treasuries“, vor dem Hintergrund der US-Konjunkturdaten, Monate zuvor begonnen hatten, vollzogen die Euro-Anleihen vorsichtig nach: Die Renditen stiegen leicht an. Was erwartet den Anleger aber im kommenden Jahr?

Wachstumsausblick: Ballvorlage für die Aktienmärkte

Die wichtigste Ballvorlage bietet der für 2006 nach wie vor gute, wenn auch nicht ungetrübte, Wachstumsausblick, wobei die Entwicklung regional sehr unterschiedlich ausfallen dürfte.

USA: Zurück zum Trendwachstum

In den USA stehen die Zeichen weiter auf Expansion, wenn auch „nur“ noch in Höhe des Potenzialwachstums. Die Erwartung stützt sich auf eine leichte Beruhigung beim privaten Konsum, wobei die Binnennachfrage unverändert den wichtigsten Wachstumsbeitrag liefert. Die Produktionskapazitäten sind gut ausgelastet, die Produktivität der Firmen hat sich über die 90er Jahre hinweg kräftig entwickelt und dabei noch das Lohnwachstum beflügelt. Investitionen in Ausrüstungen bleiben vor diesem Hintergrund attraktiv. Gleichzeitig kann sich die Beschäftigung weiterhin dynamisch entwickeln, wobei noch Spielraum bei den Löhnen besteht. Beide Faktoren stärken den privaten Konsum.

Japan: Land of the rising sun

In Japan tragen die Reformanstrengungen der letzten Jahre Früchte: Die Deflation nähert sich ihrem Ende. Die Konjunktur wird dabei verstärkt von der Binnennachfrage getragen. Nach den Restrukturierungserfolgen der Unternehmen wachsen die Kapitalausrüstungen weiter. Gesunde Bilanzen bei hoher Profitabilität und anhaltendem Wachstum sollten auch weiterhin die Investitionsneigung beflügeln.

Auch die privaten Verbraucher melden sich zurück. Während des ersten Halbjahrs 2005 legte der Konsum das stärkste Wachstum während der letzten zehn Jahre hin. Löhne und Beschäftigung profitieren von der gestiegenen Produktivität der Firmen und deren zunehmenden Bereitschaft zu Neueinstellungen.

Deutschland: Überraschungskandidat?

Bei einem voraussichtlichen Wachstum des Welthandels von rund 7 % im kommenden Jahr bleiben die Exporte Hauptwachstumstreiber für die deutsche Wirtschaft. Die gesunkenen Lohnstückkosten bei entsprechend gestiegener Produktivität liefern eine gute Ausgangsbasis bei zunehmendem Konkurrenzdruck aus dem Ausland. Während sich die Lage am Bau nur langsam stabilisiert, versprechen die Ausrüstungsinvestitionen gute Zuwächse. Die Kapazitätsauslastung liegt im Schnitt nahe am langfristigen Mittel, die Rendite der Finanzanlagen ist gering, was Investitionen in Sachkapital fördert, die Auftragslage hat sich belebt, was sich auch in den nach oben drehenden Stimmungsindikatoren widerspiegelt. Kommt es zu einer Stabilisierung oder gar Belebung am Arbeitsmarkt, dürften auch die Verbraucher wieder zuversichtlicher werden und von ihrem „Angstsparen“ (die Sparquote liegt bei knapp 11%, trotz verhaltener Entwicklung der verfügbaren Einkommen) abrücken. Bei stabilen, wenn auch moderaten Wachstumsaussichten könnte Deutschland im Falle schneller Reformen (z.B. am Arbeitsmarkt) sogar noch ein echter Überraschungskandidat werden. Für das Euroland zeigen wichtige Stimmungsindikatoren ebenfalls eine Verbesserung an. Triebfeder sind auch hier die Exporte. Die Verbesserung wird dabei sowohl von der Konsumenten- als auch von der Industrieseite getragen. Die Ausweitung der Konsumenten- und Firmenkredite verhält sich je nach Region noch sehr unterschiedlich. Während die Nettokreditvergabe in Deutschland praktisch nicht wächst, boomt der Kreditmarkt in anderen Ländern des gemeinsamen Währungsgebietes (allen voran Spanien).

Emerging Markets: Wachstumstreiber

Neben den Ökonomien aus der „alten Welt“ sollte den Emerging Markets auch im kommenden Jahr die Rolle von Wachstumstreibern zukommen. Strukturell gestärkt wird diese Ländergruppe durch im Durchschnitt hohe Devisenreserven, historisch niedrige Budgetdefizite und Überschüsse in der Leistungsbilanz. In China scheint es, als würde es der Zentralbank gelingen, mittels einer Verteuerung der Kreditvergabe die Wirtschaft zu zügeln, ohne einen Wachstumseinbruch herbeizuführen. Die Expansion der Geldmenge wurde gestoppt und die Industrieproduktion zeigt eine Beruhigung auf hohem Niveau an.

Preisentwicklung

Der Wettbewerbsdruck hält die Überwälzungsspielräume für die hohen Energiepreise gering – und von Seiten des Öls kann für das kommende Jahr sogar eine Entlastung erwartet werden. Ein Basiseffekt bei den Verbraucherpreisen, der von dem Anstieg in 2005 herrührt, sollte zusätzlich zu einem leichten Rückgang der Inflationsraten im Jahresdurchschnitt führen.

Abseitsfallen

Neben den guten Ballvorlagen, welche der Konjunkturausblick den Aktienmärkten gibt, dürfen im kommenden Jahr einige potenzielle Abseitsfallen nicht übersehen werden, zu denen vornehmlich der Ölpreis, der US-Immobilienmarkt und tendenziell die Geldpolitik der EZB gehören.

Der hohe Ölpreis saugt Kaufkraft ab und schmälert die Unternehmensgewinne. Der vom Erdöl herrührende Preisdruck heute kann von seiner Wirkung her allerdings nicht verglichen werden mit dem Druck Mitte der 80er oder Anfang der 90er. Als „Abseitsfalle“ muss Öl dennoch im kommenden Jahr berücksichtigt werden. Allerdings dürfte sich der Ölpreis auf einem etwas niedrigeren Niveau einpendeln als dies im Jahr 2005 der Fall war. Vor allem folgende Gründe führen zu dieser Annahme: Steigende Ölpreise führen zu einer Verringerung der Nachfrage; die Energieintensität bei der Erstellung des Bruttoinlandsproduktes dürfte weiter abnehmen; gleichzeitig sollte der allmähliche Ausbau der Förder- und Raffineriekapazitäten dazu führen, dass im kommenden Jahr das Angebot mit rund 2,5% stärker ausgeweitet wird als die Nachfrage (knapp 2 %).

Für die USA besteht das größte Wachstumsrisiko im Immobilienmarkt. Da Hypotheken in Höhe von ca. 600 Mrd. US-Dollar (das entspricht 7 % des verfügbaren Einkommens) alleine im vergangenen Jahr für den Konsum genutzt wurden, könnte ein Crash am Immobilienmarkt die Kreditvergabe einschränken und die Konsumenten zum Sparen zwingen. Auffällig ist, dass die Hypothekenkredite der jüngsten Zeit überwiegend tilgungsfrei und mit einem hohen durchschnittlichen Beleihungswert vergeben wurden. Ein zunehmender Teil wird dabei mit variablem Zins refinanziert, obwohl die für die Hypothekenzinsen so wichtigen Geldmarktzinsen durch die Zentralbank nach oben geschleust werden.

Die Gefahr einer Überbewertung relativiert sich dabei vor dem Hintergrund gestiegener Mieten, Reallöhne und einer den Wohnungsmarkt stützenden Demographie. Sie dürfte sich auf ca. 12% belaufen. Fazit: Der US-Immobilienmarkt muss auch im kommenden Jahr auf der „watch list“ bleiben, ein wirklicher Crash ist aber eher unwahrscheinlich.

Zu den beiden potenziellen Abseitsfallen „Öl“ und „US-Immobilienmarkt“ gesellt sich noch die Geldpolitik. Über die Herbstmonate hinweg wurden die verbalen Auftaktspiele aus dem EZB-Turm immer deutlicher vernehmbar. Verständlich: Mit den langsam besser werdenden Konjunktursignalen bei latentem Preisdruck (wenn dieser auch nur ölpreisbedingt ist) haben die Euro-Geldhüter immer weniger Anlass zur vornehmen Zurückhaltung. Der gleitende Dreimonatsdurchschnitt des Wachstums des Geldmengenaggregats M 3 hat Mitte 2001 zum letzten Mal seinem Zielwert von 4,5 % entsprochen und entfernte sich seither immer weiter von diesem Richtwert. Um dem Vorwurf, sie würde die noch auf wackligen Füßen stehende Konjunkturerholung abwürgen, dürfte die EZB in ähnlicher Weise eine Zinstreppe wie die Fed bauen: Vorsichtig, vorher angekündigt und in kleinen Schritten. Der Konjunktur tut diesen kein Abbruch. Dennoch: An den Aktienmärkten kann dies immer wieder für schwache Tage sorgen.

Mannschaftsaufstellung: Abwehr, Mittelfeld, Sturm

Wie sieht also die Mannschaftsaufstellung für 2006 aus?

In der Gesamtsicht verspricht 2006 ein Jahr einer guten, wenn sich auch leicht beruhigenden Konjunktur zu werden, wobei die einzelnen Regionen im Konjunkturzyklus unterschiedlich weit fortgeschritten sind: Während die USA in Richtung ihres Potenzialwachstums leicht abkühlen, nähert sich die japanische Konjunktur langsam ihrem Peak und das Euroland lässt die Talsohle hinter sich. Frei von Risiken („Abseitsfallen“) bleibt das kommende Jahr zwar nicht, jedoch ist nicht zu erwarten, dass der Ölpreis, der US-Immobilienmarkt oder die Geldpolitik am Ende das Spiel bestimmen.

Aufgrund der attraktiven Bewertungen, insbesondere in Europa und Deutschland, guter Gewinnaussichten im Einklang mit einer sich nur geringfügig abschwächenden Konjunktur bei günstiger Kostenbasis, bleiben Aktien in der Mannschaftsaufstellung bevorzugt. Im „Mittelfeld“ des Depots stehen bevorzugt europäische Werte, gerne auch mit Trikot der deutschen Nationalelf. In den Sturm gehören u.a. die Energiewerte. Die Nachfrage nach Energie wird getrieben von einem wachsenden Bedarf in Asien. Für die Energiewerte gilt: Das Segment bleibt auch bei rückläufigen Ölpreisen attraktiv, denn die aktuellen KGVs spiegeln nur einen Preis von 40 Dollar je Barrel wieder, die Ölförderfirmen selbst rechnen weitestgehend noch mit einem Barrelpreis von 30 US-Dollar. Im Herbst 2004 wurden noch knapp 60 US-Dollar gezahlt.

In die Abwehr gehören unverändert die Anleihen mit einer deutlichen Übergewichtung europäischer Titel im Segment der Staatsanleihen. Die Inflationssorgen mit Blick vor allem auf die längeren Laufzeiten sollten dabei nicht übertrieben werden. Im Gegenteil: Von der Preisseite dürfte bei fallenden Ölpreisen eher eine Entlastung kommen.

Quelle: dit

Der dit (Deutscher Investment Trust) verfügt über fast 50 Jahre Fondsmanagement-Erfahrung in Deutschland und ist Teil einer der größten Vermögensverwalter der Welt – der Allianz Dresdner Asset Management. In über 100 Fonds verwaltet der dit mehr als 58 Mrd. Euro (Stand: Mitte Februar 2005).

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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