Wissensartikel
15:20 Uhr, 10.11.2014

Die relative Stärke - Hoher Nutzen für Investoren und Trader

Was auch immer ihr Investitions- oder Tradingansatz ist, die Analyse der relativen Stärke ist eine zusätzliche wichtige Informationsquelle: Denn es werden nicht allein die Preis- oder Volumendaten eines Wertes betrachtet, sondern die Analyse wird in Relation zu einem weiteren Referenzwert betrachtet.

In diesem Artikel geht es um das Prinzip der relativen Stärke und deren Anwendung. Nach einer Erläuterung der Grundlagen betrachten wir den praktischen Einsatz unter Betrachtung von Index-, Sektor- und Aktiencharts. Die relative Stärke ist für langfristig orientierte Investoren ebenso von großer Bedeutung wie für den kurzfristig orientierten Positionshändler.

Definition der relativen Stärke

Unter relativer Stärke verstehen wir die Entwicklung eines Wertes A im Verhältnis zu einem Referenzwert B. Dies kann beispielsweise eine Aktie (A) zu ihrem Index (B) sein. Zeigt die Aktie A eine überdurchschnittliche Entwicklung im Vergleich zu B? Oder umgekehrt? Die relative Stärke ist der Quotient zweier Werte: A/B. Dieses Verhältnis wird auch Ratio genannt. Daher ist neben dem Begriff relative Stärke Chart auch die Bezeichnung Ratio-Chart üblich.

Ein relative Stärke Chart lässt sich vor allem in Hinblick auf das Trendverhalten analysieren: Seit wann zeigt der Wert A Stärke? Setzt sich diese trendkonform fort? Wo liegen Wendepunkte?

Nicht zu verwechseln ist das relative-Stärke Diagramm mit dem einfachen Vergleichsdiagramm (auch Differenzdiagramm oder engl. spread chart genannt), der üblichen Darstellung von mehreren Werten in einem Chart-Fenster. Eigentlich alle Chart-Programme erlauben die Erstellung von Vergleichsdiagrammen. Die Überlagerung zweiter Kurslinien gibt bereits einen ersten Eindruck – aber es lässt sich nicht direkt die relative Stärke ablesen.

Typische Anwendungen der relativen Stärke sind die Vergleiche von:

  • Index zu Index
  • Sektor zu seinem Index
  • Aktie zu Index oder Aktie zu Sektor
  • Spezielle Verhältnisse wie Silber zu Gold oder WTI-Öl zu Brent-Öl.

Beispiel einer Analyse mittels der relativen Stärke bei SMI versus IBEX35

Betrachten wir das Gesagte an einem ersten Beispiel: Wir interessieren uns für die Entwicklung zweier Leitindizes und zwar des SMI und des spanischen IBEX35 im Zeitraum eines Jahres (Liniengrafiken mit Tageschlusskursen, Stand 7. September 2012):

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Im oberen Teilfenster sehen wir ein Vergleichsdiagramm welches die beiden Kurskurven übereinanderlegt. Sinnvollerweise erfolgt eine Normierung um an der vertikalen Skala die Entwicklung direkt ablesen zu können. Die Aussage in diesem Beispiel ist einfach: Auf Sicht von 12 Monaten zeigt der SMI eine Performance von +23,27 % und der IBEX35 eine Performance von +3,17 %. Das Charting Programm führt die Normierung (auf 100) automatisch immer am Startpunkt (links) des gewählten Zeitabschnittes durch.

Im unteren Teilfenster sehen wir nun das relative Stärke Diagramm (in Guidants gelingt dies durch die Auswahl eines Indikators namens „Ratio“).

Aktuell notiert die relative Stärke bei 19,49. Auf Jahressicht zeigt der SMI also eine Outperformance von 19,49 % (oder umgekehrt der IBEX zeigt sich entsprechend schwächer auf das Jahr gesehen). Das relative Stärke Diagramm zeigt also die relative Entwicklung [in %] von einem Wert A im Vergleich zu einem anderen Referenzwert B.

Der spanische Leitindex zeigt sich durchgehend schwächer, wobei ab April/Mai eine erste Erholung gelang. Der entscheidende Wendepunkt ist Anfang August zu verzeichnen (pink farbiger Kreis und horizontale Linie). Auf Höhe des 36,1 % Niveaus bricht die relative Stärke nach unten durch und hat eine klassische Trendumkehr signalisiert (niedrigeres Hoch und tieferes Tief): Die Aufholjagd des IBEX35 hat nicht nur in absoluten Notierungen begonnen, sondern auch relativ zum SMI.

Nutzen der relative Stärke Betrachtung für den langfristig orientierten Investor

Der langfristige Investor kann sich hervorragend der relativen Stärke bedienen, sie ist ein essentielles Werkzeug zur Portfolio Bildung. Ein mögliches systematischen Vorgehen besteht im Vergleich von

1) Regionalen Märkten (Europa vs. USA vs Asien) und dort in einzelnen Ländern. Hierzu vergleichen wir die relative Stärke der Leitindizes verschiedener Länder.

2) Sektoren. Für Europa empfiehlt sich beispielsweise der EuroStoxx 600 der unter anderem in 19 Sektoren, sogenannte „Supersectors“, eingeteilt ist. Und diese sind übrigens auch via Hebel-Zertifikate handelbar. (www.stoxx.com).

3) Einzelwerten die innerhalb des favorisierten Sektors betrachtet und selektiert werden.

Im langfristigen Bild empfiehlt sich zumeist der trendfolgende Ansatz: Denn relative Stärke bleibt über längere Zeiträume erhalten.

Beispiel: Chemiesektor (Stoxx600 Chemicals) zu EuroStoxx 50

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Im unteren relativen Stärke Chart ist deutlich die langfristige Outperformance zu erkennen.

Nutzen der relative Stärke Betrachtung für den kurzfristig orientierten Trader

Der Trader interessiert sich hingegen für kürzere Zeiträume. Aber auch hier spielt die Selektion eine bedeutende Rolle. Geht ein Szenario beispielsweise von fallenden Kursen aus, so suchen wir nach Werten die idealerweise stärker als der Durchschnitt bzw. der Marktindex fallen. Die relative Stärke signalisiert dies.

Aber Vorsicht: Wendepunkte sind hier von großer Bedeutung. Beispielsweise werden gerade am Ende eine Hausse „Nachzügler“ gesucht, die optisch noch Aufholpotenzial haben. Auch dies lässt sich durch einen Blick auf die relative Stärke Charts der betroffenen Werte deutlich erkennen: Die Wendepunkte sind gut auszumachen.

Beispiel: Credit Suisse Group Aktie zu SMI.

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Hier ist zu erkennen wie die Underperformance der Aktie ihr Maximum Anfang August erreicht hat und dort einen Wendepunkt markiert. Als Bestätigung kann der Ausbruch über das eingezeichnete Niveau bei ca. -26 % (roter Kreis) gelten. Die „Aufholjagd“ hatte begonnen.

Abschließende Anmerkungen zur Einordnung relativen Stärke

  • Der sogenannte RSI (relative strength indicator) hat nichts mit dem vorgestellten Begriff der relativen Stärke zu tun.
  • Währungspaare sind nichts anderes als relative Stärke Diagramme A:B
  • Relative Stärke Diagramme sagen nichts darüber aus wohin die Werte absolut gesehen laufen (Beide können beispielsweise Verluste aufweisen. A stärker als B. So hätte A immer noch positiver relativer Stärke zu B auzuweisen).
  • Der Paarhandel (engl. Pair trading) - also das marktneutrale Handeln zweier gegenseitig gehedgter Werte - basiert ebenfalls auf dem Prinzip der relativen Stärke.

Was auch immer ihr Investitions- oder Tradingansatz ist, die Analyse der relativen Stärke bietet eine zusätzliche Informationsdimension, da hier nicht allein die Preisdaten einer Zeitreihe eines Wertes in sich selbst, sondern in Relation zu einem weiteren Referenzwert analysiert werden.

(geschrieben von Reinhard Scholl)

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