Kommentar
15:01 Uhr, 24.05.2012

Zunehmendes Interesse an Staatsanleihen durch griechisches Patt

In den letzten Wochen sank erneut der Risikoappetit infolge der Eskalation der Staatsschuldenkrise in der EWU. Die Situation hat inzwischen eine starke Eigendynamik entwickelt und wie und wann die Entscheidungsträger darauf reagieren werden, ist unklar. Wahrscheinlich werden die Märkte zumindest bis Mitte Juni, wenn in Griechenland erneut gewählt wird, wachsende Unsicherheit verkraften müssen. Für uns ist das Grund für eine vorsichtige Positionierung mit Fokus auf Staatsanleihen aus Kerneuropa.

Hohe politische Risiken
Nach den jüngsten Entwicklungen ist klar, dass Europa sich auf ein weiteres Tauziehen zwischen Nord und Süd gefasst machen muss. Hier wird um hohe Einsätze gespielt. Die Risiken (Anarchie in Griechenland, soziale Unruhen, Ansturm auf die Finanzinstitute und Kapitalflucht auch in anderen Teilen Südeuropas) sind für alle Spieler so hoch, dass ein politischer Kompromiss als sinnvolle Lösung erscheint, wenn sich die Aufregung um die nächsten Wahlen in Griechenland erst einmal gelegt hat.

Insofern könnten manche Experten die Wahrscheinlichkeit eines baldigen EWU-Austritts der Hellenen überschätzen. Andererseits hat die Krise längst die Schwelle überschritten, bei der das politische Kalkül noch rational bestimmt wird. Emotionale oder populistische Entscheidungen könnten daher zu einer weniger kooperativen Balance führen. Die sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen (griechische Pleite mit oder ohne Ausstieg aus dem Euro) sowie die Wahrscheinlichkeit dieser Szenarien sind nur sehr schwer einzuschätzen.

Ausgang der Wahlen in Griechenland könnte tief greifende Folgen haben
Die jüngsten Wahlen in Griechenland haben deutlich gemacht, dass ein Austritt aus der EWU durchaus vorstellbar ist, da das Land die Last der Anpassung strukturell nicht bewältigen kann. Mitte Juni stehen Neuwahlen an, die wohl eine Volksabstimmung über den Euro darstellen werden.

Für alle politischen Parteien in Griechenland steht das Memorandum of Understanding (MoU) für das Rettungsprogramm – in unterschiedlichem Maße – zur Disposition. Die traditionellen Parteien in der Mitte des Spektrums würden moderatere Sparmaßnahmen vorziehen und das wäre u. U. sogar machbar, denn den EU-Entscheidungsträgern ist mittlerweile bewusst, dass der Sparkurs an der EWU-Peripherie zur kontraproduktiven Sparfalle entartet ist.

Die Parteien an beiden Enden des politischen Spektrums wollen auf das MoU verzichten und den Zahlungsausfall des privaten und öffentlichen Sektors riskieren. Dann wäre mit weiterer Unterstützung durch die Troika aus EU/IWF/EZB nicht mehr zu rechnen; dem Land bliebe nur die Rückkehr zur Drachme, um einen völligen Zusammenbruch seines Finanzsystems abzuwenden. Insofern ist die Motivation für ein Arrangement zwischen Griechenland und dem Rest der EWU groß. Unklar ist jedoch, ob das für den politischen Willen zum Kompromiss reicht.

Chancen für Wachstumsimpulse steigen
Das Lager der Befürworter von Konjunkturförderung in der EWU wächst. Der neue französische Präsident François Hollande weiß, dass ein rigoroser EWU-weiter Sparkurs letztlich kontraproduktiv ist, da er das Wachstum und somit die Steuereinnahmen drosselt. Daher setzt er sich für Maßnahmen zur Wachstumsförderung ein. Damit ist er in guter Gesellschaft, denn auch der IWF und EZB-Präsident Draghi befürworten einen Wachstumspakt zur Ergänzung des fiskalpolitischen Pakts.

Erneuter Schuldenstress

Doch was unter Wachstum genau zu verstehen ist, darüber sind sich die Politiker durchaus nicht einig. Während Draghi vom Bedarf an Strukturreformen spricht, denkt Hollande wohl eher an Maßnahmen, um die Gesamtnachfrage in der Region anzukurbeln. Zu diesem Zweck schlägt er vor, dass die europäische Investmentbank und EU-Strukturfonds zur Förderung der Investitionsausgaben eingesetzt werden. Zudem wünscht er sich eine aktivere Rolle für die EZB, die seiner Meinung nach – wie die Fed – neben Preisstabilität auch Wachstum verfolgen sollte. Inwieweit das möglich ist, bleibt abzuwarten, da Kanzlerin Merkel einen solchen Schritt ablehnt.

EZB in der Warteschleife
Die EZB wird wohl vorerst bei ihrer abwartenden Haltung bleiben. Draghi muss einen Mittelweg finden zwischen dem Wunsch der Zentralbanker einiger Kernländer einerseits, die Exit-Strategie bereits genau durchzuplanen, und den zunehmenden Wachstumsrisiken andererseits. Die momentane Untätigkeit scheint daran zu liegen, dass die EZB meint, in der zweiten Jahreshälfte werde sicherlich eine allmähliche Erholung einsetzen. Überdies betont Draghi, dass es seine Zeit brauche, bis die beiden LTROs sich in Form eines verstärkten Kreditflusses in der Realwirtschaft auswirken. Wir sehen hier ein klares Risiko, dass die EZB in beiderlei Hinsicht enttäuscht wird. Der Index der Einkaufsmanager (ISM) für die Eurozone ist bereits wieder auf den niedrigen Stand von Q4 2011 gefallen, während die Banken erneut an der Kreditschraube drehen, wenn auch behutsamer als im letzten Quartal 2011. Die hemmende Wirkung von fiskalischer Straffung, strikterer Kreditvergabe und sinkender Zuversicht könnte daher stärker sein, als die EZB annimmt.

Optimistischer bei Staatsanleihen
Aus Investmentperspektive sind Unwägbarkeiten und Risiken jetzt größer. Das bedeutet zwar nicht, dass wir unsere Positionierung an den Rentenmärkten auf einen möglichen Ausstieg Griechenlands ausrichten, aber wir betrachten Spread-Produkte jetzt mit etwas mehr Vorsicht und Staatsanleihen der Kernländer optimistischer. Ein Ausstieg der Hellenen ist nicht ausgeschlossen und die Folgen wären gravierend. Davon abgesehen, dass Staatsanleihen vom Absichern der Tail Risks profitieren dürften, wächst auch das allgemeine Anlegerinteresse an diesen Papieren. Das Anlegervertrauen sinkt weiter, kurz- und mittelfristig steigt die Dynamik und die Anlagekapitalströme bleiben robust. Und nicht zuletzt lassen negative Wirtschaftsmeldungen weitere Rückgänge bei den Staatsanleiherenditen vermuten.

Quelle: ING Investment Management

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