Kommentar
17:17 Uhr, 25.04.2006

Zucker: Rohstoff-Favorit des Jahres 2006

Im Februar dieses Jahres war es soweit: Die Agrarminister der EU haben die Reform des europäischen Zuckermarktes beschlossen. Mit ihr wird ein nahezu seit 40 Jahren unverändertes System in die generelle „Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik“ einbezogen. Die Reform sieht eine Senkung der garantierten Mindestpreise für Zucker, der innerhalb der staatlichen Quoten produziert wird, um 36 Prozent vor. Mit dieser drastischen Maßnahme sollen jene Zuckerproduzenten aus dem Markt gedrängt werden, die besonders wettbewerbsschwach sind und sich nur durch teure Subventionen und Ausgleichszahlungen über Wasser halten können. Das Ergebnis der Senkung der garantierten Mindestpreise wird ein Rückgang der EU-Jahreszuckerproduktion von 19-20 Millionen Tonnen auf voraussichtlich 13-14 Millionen Tonnen sein. Die EU-Zuckerreform ist eine direkte Folge der Niedrigpreise auf dem Weltmarkt, nachdem vornehmlich Brasilien mit der aus Zuckerrohr gewonnenen Süße die Weltmärkte überschwemmte. Die Reform des europäischen Zuckermarktes, die eigentlich eine Art Ohnmachtserklärung ist, war nötig geworden, da die europäischen Zuckerpreise durch die hohen Lohn- und Produktionskosten und die auskömmlichen Ausgleichszahlungen der Landwirte mit Steuergeldern auf das fast dreifache der Preise auf dem Weltmarkt angestiegen waren. Auch wenn die Agrarminister der EU wettbewerbsschwache und kleine Zuckerproduzenten „bei der Entwicklung alternativer Einkommensquellen“ unterstützen will, womit Umschulungsmaßnahmen für Landwirte und Direktzahlungen zum Ausgleich von Einkommensverlusten gemeint sind, ist das offensichtliche Ergebnis jahrzehntelanger Subventionen mit wertvollen Steuergeldern erschütternd: Tausende Landwirte stehen vor dem Aus, die EU wird jetzt vom Nettoexporteur zum Nettoimporteur von Zucker und damit zunehmend abhängig von den Weltmarktpreisen und von Importen aus dem Ausland. Diese werden sich primär auf Zuckerimporte aus Brasilien und Mittelamerika stützen müssen, wo auch Chinesen und Inder als Einkäufer tätig sind und Jahr für Jahr größere Mengen nachfragen. Ganze Heerscharen von Analysten rätseln inzwischen, bei welchem Zuckerpreis Brasilien überhaupt noch zum Export von Zucker bereit ist. Denn im Zuge der weiter steigenden Ölpreise produziert Brasilien aus dem billig herstellten Zuckerrohr Ethanol. Umso weiter die Ölpreise steigen, desto mehr Zucker wird Brasilien für die Produktion des Benzinsubstituts Ethanol verwenden. Dadurch wird sich die für den Exportmarkt verfügbare Zuckermenge tendenziell verringern. Für die verbleibenden Exportmengen werden außerdem die Preise weiter steigen, da die Einkäufer aus der Nahrungsmittelindustrie mit den Ethanolbrennereien um das zur Verfügung stehende Angebot konkurrieren müssen. Die Frage ist also, bis zu welchem, für nicht ausreichend empfundenen Preis für Zucker Brasilien die gesamte Zuckerrohrernte in die Ethanolerzeugung steckt und deshalb als Zuckerexporteur ganz ausfällt. Ein solches Ereignis kann voll umfassend freilich erst in einigen Jahren eintreten, wenn die nötigen Ethanolbrennereien fertig gestellt sind. Denn zurzeit arbeiten die Brennereien am Kapazitätslimit.

Das Angebot

Die Struktur des Weltangebots hat sich in den letzten 20 bis 30 Jahren gewaltig verändert. Spielte damals Brasilien noch eine untergeordnete Rolle, während die Industrienationen die Hauptproduzenten waren, haben sich die Gewichte heute ins krasse Gegenteil verwandelt. Brasilien hat aus den fallenden Zuckerpreisen eine Tugend gemacht. Es konnte sich ja auch nie leisten, Bauern und Raffinerien durch hohe Subventionen am Leben zu halten. So wurden schon ab Mitte der siebziger Jahre Überschussmengen in die Ethanolproduktion gesteckt und damit das inländische Zuckerangebot verknappt. Heute ist Brasilien mit einem Weltmarktanteil, der deutlich über 25% liegt, mit Abstand der größte Zucker- und Ethanolproduzent, zunehmend aber auch der nahezu einzige Exporteur. Während die Europäer durch den Abbau der Subventionen den Export gerade drosseln und wegen der hohen Preise in der Vergangenheit nie eine Rolle in der Ethanolerzeugung spielten, decken Japan, Korea und China nahezu ihren gesamten Ethanolbedarf in Brasilien ein. Erst in mittelfristiger Zukunft wird das Unternehmen Südzucker, die größte europäische Raffinerie, auch Ethanol produzieren. Die Firma Nordzucker, die nicht an der Börse gelistet ist, hat bereits die ersten Pläne für den Bau einer Ethanolfabrik erstellt. Ob Zucker in Deutschland allerdings aus Zuckerrüben, aus Roggen oder beiden Grundstoffen hergestellt werden soll, ist noch nicht bekannt. Vorgabe der EU ist es jedenfalls, bis zum Jahr 2010 unverbleitem Benzin 5,75% Ethanol beizumischen. In Brasilien gilt hingegen primär Zuckerrohr als Basisstoff für Ethanol. Grund sind die niedrigen Kosten für die Ernte und Weiterverarbeitung des Zuckerrohrs. Die Erntehelfer sind meist Saisonarbeiter, die bereit sind, zu widrigsten Bedingungen bei unerträglicher Hitze 13 Stunden oder mehr auf den Feldern zu arbeiten – zu einem Mindestlohn. Teuer sind hingegen die Zuckerrüben, die vornehmlich in den Industrienationen angebaut werden. Das gilt auch für Nordamerika. Dort werden, wie in Europa, die Anbauflächen heruntergefahren. Russland, China und Indien werden zunehmend zu Importeuren. Benzin wird in rasantem Wachstum durch Ethanol ersetzt, und Brasilien wird zunehmend zum Monopolisten. Das sind schöne Aussichten.

Die Zuckerhausse legt den nächsten Gang ein

Der auf dem Weltmarkt gehandelte Zucker ist so genannter C-Zucker. Dieser Zucker ist im Gegensatz zu A- und B-Zucker nicht in Quoten- und Subventionsprogrammen staatlich unterstützt, sondern muss von den Produzenten zu variablen und nicht garantierten Weltmarktpreisen verkauft werden. Und genau diese Preise befinden sich in einer starken Aufwärtsbewegung. Seit unserer letzten Besprechung von Zucker im Oktober 2005 stieg der Preis für ein amerikanisches Pfund (454 Gramm) an der New Yorker Warenterminbörse Nybot um 50%. Seit dem Tief im Frühjahr 2005 stieg der Preis gar um 115% an. Nicht ohne Grund, denn Zucker ist weiterhin knapp. Das zeigt nicht zuletzt die Entscheidung der brasilianischen Regierung, Normalbenzin an den Tankstellen zunächst nur noch mit 20% und nicht mehr wie bisher zu 25% mit dem aus Zucker hergestellten Ethanol vermengen zu wollen. Außerdem gab die chinesische Regierung die Freigabe strategischer Zuckerreserven Anfang des Jahres bekannt, um dem rasanten Anstieg der Preise Einhalt zu gebieten. All dies wird die Situation nur temporär entlasten. Die Ethanolnachfrage ist in Brasilien so stark gestiegen, das die Regierung sich um die Aufrechterhaltung der Ethanolversorgung Sorgen macht. In wie fern sich die Umstellung US-amerikanischer Ölraffinerien bei der Benzinherstellung von dem giftigen Benzinzusatz MTBE auf Ethanol in einem stärkeren Import von brasilianischen Ethanol niederschlagen wird, ist zunächst nicht abzusehen. Festzuhalten gilt, dass auch in den USA durch die stark gestiegenen Benzinpreise und das neue Energiegesetz der Regierung ein wahrer Goldrausch bei allem ausgebrochen ist, was mit dem günstigen Ethanol zu tun hat. In einigen Bundesstaaten gibt es bereits Tankstellen, die Ethanolbenzin (E15) verkaufen. E15 besteht aus 15% Ethanol und 85% Benzin, wozu speziell vorbereitete Fahrzeuge benötigt werden. An einigen heißen Tagen in diesem Jahr war der Preis für unverbleites Benzin bereits deutlich über den Preis von E15 angestiegen. Wir rechnen in diesem Sommer mit neuen Rekordpreisen an den Tankstellen. Sollte sich der Preisvorteil von E15 herumsprechen, so wird es zu einer drastischen Verknappung von Ethanol auch in den USA und somit zu einem Anstieg des US-amerikanischen Imports von brasilianischem Ethanol kommen. Außerdem steigt die asiatische Nachfrage von Jahr zu Jahr weiter an. Alles hat dort süß zu sein. Süße wird gleichgestellt mit Wohlstand, da sie als Luxusgut eingestuft und mit steigendem Einkommen stärker nachgefragt wird. In Indien nimmt das Angebotsdefizit jährlich zu, obwohl dieses Land zu den großen Zuckerproduzenten der Welt gehört. Die Zuckernachfrage Chinas, die jährlich zweistellig zu wachsen scheint, muss zunehmend durch Importe gedeckt werden, obwohl die chinesische Regierung immer wieder behauptet, Selbstversorger bleiben zu wollen, also entsprechend höhere Anbauflächen zur Verfügung zu stellen. Dem widerspricht die zunehmende Landflucht der chinesischen Bauern.

Zusammenfassung

Zucker ist auch nach dem deutlichen Anstieg im letzten Jahr weiterhin unser Favorit unter den Rohstoffen. Gerade nach der EU-Reform werden die Europäer stärker auf dem Weltmarkt nach Rohrzucker Ausschau halten müssen. Wegen der Mehrjährigkeit des Zuckerrohrs, dessen Anbauzyklus im Durchschnitt sechs Jahre beträgt, ist eine Anpassung des Angebots auf die gestiegene Nachfrage kurzfristig nicht ohne weiteres möglich. Gleichzeitig scheint die Ethanolnachfrage weiter zu steigen. Der Zuckerpreis konsolidiert seit Anfang Februar zwischen 16 und 18,50 US-Cent pro amerikanischem Pfund. Wir sehen auf dem aktuellen Niveau bei 17,21 Cent eine attraktive Einstiegsmarke für ein Engagement auf Sicht von mehreren Jahren.
Investieren in Zucker

Für eine langfristige Anlage in Zucker interessant ist ein währungsabgesichertes (Quanto) Open-End-Zertifikat für Nybot-Zucker, um gegen fallenden Dollarnotierungen gefeiht zu sein. Beispielsweise das Quanto-Open-End-Zertifikat mit der WKN „ABN3HV“ von der ABN Amro. Kurzfristige Spekulationen auf Preisveränderungen können auf der langen Seite (spekulieren auf steigende Kurse) mit dem Goldman Sachs Mini-Future-Zertifikat mit der WKN „GS0MVV“ gespielt werden. Es bildet Kursveränderungen im zeitnahen Nybot-Zuckerfuture mit dem Faktor 2,39 nach. Wer auf kurzfristig weiter fallende Preise spekulieren möchte, was im Falle eines, wenn auch zurzeit wenig wahrscheinlichen, Rückgangs des Ölpreises möglich wäre, greift zum Goldman Sachs Mini-Future-Short-Zertifikat mit der WKN „GS0MVZ“. Es hat einen leicht höheren Hebel als das Lond-Zertifikat und steigt um den Faktor 3,58, wenn der Zuckerpreis fällt.

Spekulieren auf...

Emittent

Zertifikat

WKN

Funktion

langfristig steigende Kurse

ABN AMRO

Quanto-Open-End

ABN3HV

bildet steigende Kurse im Nybot-Zucker linear (Eins-zu-Eins) nach, ist gegen Währungsschwankungen abgesichert

kurzfristig steigende Kurse

Goldman Sachs

Mini-Future-Long

GS0MVV

bildet steigende Kurse im Nybot-Zucker mit dem Faktor 2,39 nach

kurzfristig fallende Kurse

Goldman Sachs

Mini-Future-Short

GS0MVZ

bildet fallende Kurse im Nybot-Zucker mit dem Faktor 3,58 nach

Diese Analyse ist Teil des Rohstoff-Report. Wenn Sie Analysen dieser Art zeitnah per E-Mail erhalten möchten, können sich unter http://www.rohstoff-report.de kostenlos in den Verteiler für den Rohstoff-Report eintragen.

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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