Kommentar
14:19 Uhr, 09.12.2020

Zu viele Staats-Schulden: Gibt es das überhaupt?

Japan lebt seit vielen Jahren mit einer Rekordverschuldung. Inzwischen tun das auch Griechenland und Italien ganz gut. Sind Schulden daher wirklich nie ein Problem?

Man kann die Argumente, weshalb Schulden kein Problem sind, fast nicht mehr abschließend aufzählen. Inzwischen gibt es so viele Gründe für immer mehr Schulden, dass selbst der vernünftigste Ökonom geneigt ist, dem zuzustimmen. Es stellt zwar Jahrhunderte an Erfahrung und Theorie auf den Kopf, aber was soll’s; wir leben in einer neuen Welt. In dieser neuen Welt sind Schulden kein Problem. Die Notenbank kann ja Geld drucken. Das konnte sie allerdings schon immer. Was geschehen kann, wenn das passiert, wissen viele Länder nur allzu gut. Deutschland versuchte es einmal. Der Kurs der Mark zum Dollar stand 1918 noch bei 7,86. Fünf Jahre später waren es 4,2 Billionen Mark für einen Dollar. Man muss nicht in die 1920er Jahre zurückblicken, um zu erkennen, dass Hyperinflation möglich ist, wenn sich der Staat erst zu sehr der Notenpresse bedient. Simbabwe kennt Inflationsraten von Milliarden Prozent. Venezuela dürfte nach jahrelanger Geldentwertung ebenfalls noch im Bereich von mehreren Millionen Prozent pro Jahr sein.

Venezuela ist ein interessantes Beispiel. Es wiederlegt eine der Kernthesen der Anhänger der MMT (Modern Monetary Theory). Unter MMT kann sich der Staat so lange weiter verschulden solange die Wirtschaft ihre Kapazitätsgrenze nicht erreicht hat. Volle Kapazität heißt Vollbeschäftigung und volle Kapazitätsauslastung der Infrastruktur, der Fabriken usw.

Von Venezuela kann man nicht behaupten, dass es wirtschaftlich unter Volldampf steht. Trotzdem gibt es Hyperinflation. Inflation bedarf keiner vollen Kapazitätsnutzung. Es gibt auch andere Wege zur Inflation.

Inflation wie in Venezuela entsteht dann, wenn das Vertrauen in die Währung verlorengeht. Dies geschieht, wenn einfach zu viel Geld gedruckt wird. Schulden sind Geld. Zu viele Schulden bedeutet zu viel Geld und Vertrauensverlust. Dieser Verlust kommt zustande, wenn die Schulden und Einnahmen des Staates praktisch nichts mehr miteinander zu tun haben.

Rechnerisch muss es möglich sein, die Schulden zu bedienen. Wer Geld druckt und es verschenkt (wie es Venezuela getan hat), nimmt Schulden ohne Gegenwert auf. Wer das Geld investiert, in Bildung, Infrastruktur usw. hat immerhin eine Rendite und eine Chance, dass es sich rechnet.

Aktuell verschenken Regierungen viel Geld. Die Notenbank kauft die Schulden. Daher sehen viele in den Schulden kein Problem. Es ist aber ein Fehlschluss. Die zusätzliche Verschuldung ist nicht etwa deswegen kein Problem, weil die Notenbanken kaufen, sondern weil die Tragbarkeit noch nicht infrage gestellt wird.


Das gilt selbst für Griechenland und Italien. Die Schulden wurden mehr oder minder sozialisiert und auf die Eurozone und zukünftig die EU verteilt. Man geht von gemeinsamer Haftung aus. Ohne diese Haftung sähe es anders aus.

Es gibt ein Zuviel an Schulden. An diesem Punkt sind wir noch nicht angelangt. Die Verschuldung der Welt schreitet jedoch munter voran. Irgendwann sind die Schulden nicht mehr tragbar. Dann geht das Vertrauen verloren. Inflation entsteht dann aus einem von zwei (oder beiden Gründen). Geld wird in Sicherheit gebracht, indem Sachwerte gekauft werden und dadurch der Preis steigt. Da niemand mehr an die Tragbarkeit der Schulden glaubt, bleibt nur noch die Notenbank übrig. Sie kann die Schulden zwar kaufen, muss dafür aber immer mehr Geld drucken. Das Geld entwertet ja bereits.

Wo ist da der Unterschied zu heute? Heute ist Zentralbankgeld noch etwas wert. Wäre nun Deutschland mit 300 % der Wirtschaftsleistung verschuldet und wäre dauerhaft auf die Notenbank zur Finanzierung angewiesen, ist das Vertrauen in Zentralbankgeld wohl nicht mehr sehr tief.

Genau dieses Szenario (der Schuldenberg wird zu groß) verängstigt viele. Noch ist es nicht soweit. Eine oder zwei Krisen übersteht das Geldsystem noch.

Clemens Schmale


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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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