Kommentar
06:23 Uhr, 13.05.2016

Zinswende schon am Ende?

Nachdem die US-Zinswende wegen der Turbulenzen zu Jahresbeginn ausgesetzt wurde, ist es nun vermutlich Zeit, sie endgültig zu begraben. Zu viele Argumente sprechen gegen Zinsanhebungen.

Kurz zusammengefasst kann man die Herangehensweise der US-Notenbank zum nächsten Zinsschritt folgendermaßen bezeichnen: Es ist doch immer etwas! Dass es im Dezember 2015 überhaupt zu einer Zinsanhebung kam, ist aus heutiger Sicht absolut bemerkenswert. Vergleicht man diesen Schritt mit dem Verhalten der Notenbanker in den letzten Monaten, dann kann man sich kaum vorstellen, dass es tatsächlich passiert ist.

Bei den kommenden Notenbanksitzungen ist erst einmal nicht mit einer Zinsanhebung zu rechnen. Die nächste Sitzung findet Mitte Juni statt. Kurz darauf findet in Großbritannien die Brexit-Abstimmung statt. Nur drei Tage später wird in Spanien gewählt. Beides sind Faktoren, die weltweit für große Unsicherheit sorgen können. Eine Zinsanhebung wird es daher nicht geben, wenn sich die Fed nicht sicher sein kann, dass es zu keinem unvorhergesehenen Ergebnis kommt.

Das übernächste Meeting findet im Juli statt. Auch hier ist nicht mit einem Zinsschritt zu rechnen. Beobachter halten es für unwahrscheinlich, dass die Notenbank einen Zinsschritt wagt, ohne die Möglichkeit zu haben, im Nachhinein bei einer Pressekonferenz die Situation zu erklären. Der Markt ist selbst mit Pressekonferenzen sehr nervös. Zudem fällt die Sommersitzung in die Ferienzeit. Das Handelsvolumen ist an den Märkten dünn. Jegliche Marktreaktion dürfte dadurch verstärkt werden.

Im September könnte es zu einer Zinsanhebung kommen. Es gibt bisher keine Wahlen oder ähnliche Ereignisse, die dies unmöglich machen würden. Im vergangenen Jahr sah die Fed im September jedoch von einer Änderung der Geldpolitik ab, da die Märkte sehr unruhig waren. Der Augustcrash lag nur wenige Wochen zurück.

Marktturbulenzen hielten die Notenbank auch zu Jahresbeginn davon ab, das Zinsniveau zu verändern. Der September ist für gewöhnlich ein schwieriger Monat. Oftmals kommt es im September oder Anfang Oktober zu größeren Abverkäufen. Die Notenbank wird sich hüten diese zu verstärken.

Im November tagt die Notenbank nur kurz vor den Präsidentschaftswahlen. Sie wird von einem Zinsschritt absehen, um keinen Einfluss auf die Wahl zu nehmen. Hebt sie die Zinsen an und stürzen die Börsen deswegen in den Keller, dann wirkt sich das möglicherweise auf die Wahl aus. Nehmen Wähler das allgemeine Umfeld positiv wahr, dann hat die Partei, die sich an der Macht befindet, gute Chancen. Wird die Situation als negativ wahrgenommen, dann stehen die Chancen für einen politischen Wechsel gut.

Was als realistischster Termin für die nächste Zinsanhebung bleibt, ist der Dezember. Auf diesen Termin tippt auch der Markt. Die Leitzinsfutures geben der nächsten Zinsanhebung erst im Dezember reale Chancen.

Was bei diesen Überlegungen, die vor allem durch Termine geprägt sind, vollkommen fehlt: Ist eine Zinsanhebung für die Wirtschaft richtig oder nicht? Bei den meisten Diskussionen kommt diese Frage zu kurz. Es geht vielmehr um Termine und Befindlichkeiten des Marktes. Die Fed macht ihre Politik jedoch nicht (allein) für Aktionäre, sondern für die Wirtschaft. Ihr Mandat ist auf 2 % Inflation und Vollbeschäftigung ausgelegt.

Offiziell gibt es nur diese zwei Mandate. Inoffiziell ist die Notenbank dazu übergegangen, auch die Finanzmarktstabilität sehr genau zu beobachten. Eine Momentaufnahme der Wirtschaft mag zwar eine Zinsanhebung rechtfertigen, doch das hilft wenig, wenn danach ganze Sektoren zusammenbrechen.

Die Kerninflation ist in den USA in der Nähe des Zielbereichs von 2 %. Auch bei der Beschäftigung kann man wenig meckern. Trotzdem muss die Notenbank nicht unbedingt agieren, sondern kann abwarten. Es zeigen sich derzeit keine wirtschaftlichen Überhitzungserscheinungen. Solange die Wirtschaft keine Anzeichen für eine Überhitzung gibt, gibt es auch keinen Grund, die Wirtschaft durch Zinserhöhungen abzukühlen.

Der Finanzmarkt erscheint momentan stabil, doch das kann sich schnell ändern. Zu Jahresbeginn stiegen die Zinsen für Unternehmensanleihen massiv an. Eine Fortsetzung dieses Anstiegs hätte zu einer Kreditkrise geführt. Viele Unternehmen hätten sich nicht mehr zu angemessenen Zinsen finanzieren können. Eine Zinsanhebung zu Jahresbeginn wäre unter diesen Umständen problematisch gewesen.

Solange die Inflation nicht dynamisch über 2 % ansteigt, hat die Notenbank vor allem den Kreditmarkt im Blick. Die Lage hat sich seit Jahresbeginn wieder entspannt, doch die Bedingungen sind nach wie vor deutlich schlechter als 2015. Eine Zinsanhebung macht in diesem Umfeld aus wirtschaftlicher Sicht keinen Sinn.

Die derzeitige Situation lässt im Prinzip so zusammenfassen: Eine Fortführung der Zinswende geht aus terminlichen Gründen nicht vor Dezember. Wirtschaftlich besteht ebenfalls überhaupt kein Druck. Persönlich sehe ich die Chance, dass der nächste Zinsschritt nicht nach oben, sondern nach unten gerichtet ist, inzwischen bei 50 %.

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1 Kommentar

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  • Peter Zumdeick
    Peter Zumdeick

    ... das wäre ein Hammer ... der nächste Zinsschritt nach unten ...

    07:39 Uhr, 13.05. 2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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