Zehn Fragen zur Euro-Krise
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1. Der Euro steigt wieder, die Spreads sinken: Ist die Euro-Krise jetzt vorbei?
Die Märkte begrüßten die Strukturreformen in Spanien. Die erste Bondemission der EFSF, die von manchen als Vorläufer zu einem Euro-Bond gesehen wird, war ein großer Erfolg; und Spanien war in der Lage, sich ohne Liquiditätsprobleme zu finanzieren, wenn auch zu recht hohen Konditionen. Zudem deuten die Informationen, die systematisch über das umfassende, beim nächsten EU-Gipfel im März abzuschließende Reformpaket durchsickern, darauf hin, dass die Politik in puncto kurzfristiger Liquiditätssicherung für Staatshaushalte und langfristiger Reformierung der Regierungsstrukturen in der EWU einen Vorteil hat. Sollte jedoch das im März abgesegnete Paket den Markt enttäuschen und der Risikoappetit beispielsweise wegen der destabilisierenden politischen Ereignisse im Nahen Osten einbrechen, könnte sich die Euro-Krise zurückmelden.
2. Wie erklärt sich die Euro-Krise?
Als im Zuge der Krise die Liquidität versiegte, traten drei unangenehme Wahrheiten zutage: erstens die außerordentlich labile Finanzlage bestimmter Mitgliedstaaten (insbesondere Griechenland), zweitens das völlige Fehlen eines Instrumentariums zur Bewältigung der Krise und drittens die unzusammenhängenden Leitungsstrukturen in der Eurozone selbst. Im Gegensatz zu einer Fiskalunion ist die ursprüngliche Idee einer Währungsunion, die nicht vorsieht, dass die Mitgliedstaaten für die Schulden der anderen einspringen, mit dem Mangel an Sanktionen gegenüber haushaltspolitisch unverantwortlichen Regierungen unvereinbar. Durch Anhebung der Finanzierungskosten der schwächsten Banken sowie jener Staaten, die die höchste Auslandsverschuldung angehäuft hatten (Portugal, Irland, Spanien), hat die Liquiditätskrise ebenfalls gezeigt, dass eine Währungsunion zwischen Ländern, deren Leistungsbilanzen stark auseinanderlaufen, aber deren Bankensysteme eng miteinander verstrickt sind, im Prinzip nicht stabil ist. Von der konkreten Situation eines bestimmten Landes abgesehen, ist die Ausweitung der Spreads auf Staatsanleiherenditen, Ausdruck der Zweifel, die der Markt an der Regierung des Euroraums und damit an seiner langfristigen Tragfähigkeit hegt.
3. Wurden die Widersprüche im Euroraum bereits behoben?
Zum Teil. Die Entscheidung, zunächst Griechenland und dann Irland koordinierte Kredite zu gewähren, sowie die laufenden Gespräche zur Anhebung der Kreditkapazität des EFSF zumindest auf ihren Nominalwert (500 Milliarden Euro) indizieren klare Fortschritte bei der Lösung von Liquiditätsproblemen. Die im November 2010 getroffene historische Entscheidung, einen ab Juni 2013 gültigen permanenten Krisenmechanismus zu schaffen und sicherzustellen, dass Staatsanleiheemissionen künftig eine Klausel umfassen, wonach eine Umschuldung möglich ist, war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur langfristigen Überlebensfähigkeit des Euro. Aber es bleibt noch viel zu tun: Der Stabilitätspakt muss weitgehend in den nationalrechtlichen Rahmen der Mitgliedstaaten integriert werden, um seine Glaubwürdigkeit wiederherzustellen. Ferner muss der Krisenmechanismus eine klare und überzeugende Definition enthalten, bei welcher Art von Zahlungsunfähigkeit beziehungsweise Insolvenz er zum Einsatz kommt. Hinzu kommt, dass zur Vermeidung struktureller Ungleichgewichte die Einführung von Mechanismen erforderlich sein wird, die die staatliche Souveränität einschränken. Insofern ist unklar, ob mit der Verabschiedung des März-Pakets alle Fragen, die Investoren derzeit bewegen, beantwortet sein werden.
4. Ist eine Krise unvermeidlich, falls die angekündigte Reform scheitert?
Die Spannungen bei der Finanzierung von Banken und Regierungen in Ländern mit hoher Auslandsverschuldung könnten natürlich erneut aufflammen und die Lage auf der iberischen Halbinsel verschärfen. In solch einem Fall würden die führenden Instanzen in EU und EZB, unserer Einschätzung nach, für eine Strategie im Sinne einer Schockmethode optieren und sowohl Spanien als auch Portugal so lange von der Finanzierung über die Kapitalmärkte abkoppeln, bis der Reformprozess im Euroraum abgeschlossen ist. Dies würde wahrscheinlich in Form umfangreicher Darlehen und einer umfassenden Intervention durch die EZB stattfinden. Dieser Ansatz dürfte sich als außerordentlich erfolgreich erweisen, da die Rahmendaten der spanischen Wirtschaft (beispielsweise in puncto Wettbewerb) besser sind, als die Märkte gemeinhin annehmen.
5. Geht es letztendlich in Richtung Fiskalunion?
Das ist - selbst mittelfristig - äußerst unwahrscheinlich, da die Bürger aller EWU-Länder die Zumutung, für die Bürger anderer Staaten Steuern zu zahlen, weit von sich weisen. Sowohl die EU als auch die EWU sind im demokratischen Prozess entstanden, der in manchen Ländern (wie Frankreich) der Kontrolle durch die Wähler unterliegt und in anderen (wie Deutschland) der Überprüfung durch eine unabhängige Gerichtsbarkeit. Insofern könnte jeglicher indirekte oder verhohlene Versuch, sich in Richtung Fiskalunion zu bewegen, bei den Bürgern bestimmter Länder auf erbitterten Widerstand stoßen. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass das Bundesverfassungsgericht den Maastrichter Vertrag nur insoweit als grundgesetzkonform erachtet, als dass die Unabhängigkeit der EZB garantiert und Fiskaltransfers ausgeschlossen sind. Wir halten es für riskant, darauf zu setzen, dass die Bürger eines Landes ihre Haltung zur Verwendung ihrer Steuern in absehbarer Zeit ändern werden.
6. Bedeutet die Ablehnung der Fiskalunion auch die Ablehnung von Eurobonds?
Nicht notwendigerweise. Während der Weg in den haushaltspolitischen Föderalismus verschlossen ist, hat sich der in einen versicherungsartigen Föderalismus bereits geöffnet - denn mit der impliziten Anerkennung eines Zahlungsausfallrisikos basiert der Kreditmechanismus des EFSF auf Versicherungsprinzipien. Damit kann der Fonds als Vorläufer einer supranationalen Finanzierungsbehörde gesehen werden. Es ist vorstellbar und sogar erstrebenswert, dass die von EWU-Mitgliedstaaten ausgegebenen Staatsanleihen letztlich zum Teil in Eurobonds aufgehen, sofern dadurch nicht gegen das Verbot fiskalischer Transfers verstoßen wird. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird die Reform der Eurozone in ein duales System der Staatsschuldenfinanzierung münden. Ein gemeinsamer Erstranganteil wäre mit werthaltigen Sicherheitsleistungen verbunden, während eine nationale Nachrangtranche je nach hauspolitischer Tragfähigkeit des betreffenden Mitgliedstaats mit einem geringeren beziehungsweise höheren Risiko behaftet wäre. Dabei würde dieser Dualismus gleichzeitig die Währungshoheit der EZB stärken, indem die Liquiditätsprämie auf die Erstrangtranche der Emission gesenkt wird. Zugleich würde die Marktdisziplin im Hinblick auf die einzelstaatliche Haushaltspolitik gefestigt.
7. Kann ein EWU-Mitglied "pleitegehen"?
Rechtlich spricht nichts dagegen. Aber, wie bereits ausgeführt, gibt es derzeit keinen Mechanismus, um einen etwaigen Staatsbankrott im Euroraum abzuwickeln. Für nach dem 30. Juni 2012 aufgelegte Emissionen wird sich diese Situation anders darstellen. Ab dann erfolgen neue Staatsanleiheemissionen nur noch unter dem Vorbehalt, dass bei Insolvenz eine Umstrukturierung erzwungen werden kann. Der Krisenmechanismus ESM (European Stabilisation Mechanism), der den EFSF ab Mitte 2013 ersetzen wird, soll bei Zahlungsunfähigkeit beziehungsweise Insolvenz mit strikten Auflagen verbundene Darlehen vergeben. Im letzteren Fall (der indes nicht klar definiert ist) würde eine Umschuldungsklausel (Collective Action Clause, "CAC") zur Anwendung kommen. Danach käme es unter der Leitung von ESM und IWF zu zwingenden Verhandlungen mit den Gläubigern der betreffenden Anleihe, um den aktuellen Schuldenstand zu reduzieren. Sofern Umschuldungen überhaupt nötig sind, ist damit, unserer Ansicht nach, erst nach 2012 zu rechnen. Das liegt vor allem daran, dass die politischen Entscheidungsträger bei Einzelstaaten und EZB einen Dominoeffekt fürchten, solange ein gemeinsamer institutioneller Rahmen noch nicht fest verankert ist. Doch die Möglichkeit voreiliger Umschuldungen ist nicht auszuschließen.
8. Welche Länder werden wohl so oder so in Verzug geraten?
Nach unserem Dafürhalten ist eine Umschuldung der Staatsschulden Griechenlands, die auf ihrem gegenwärtigen Niveau zweifelsohne unhaltbar sind, sehr wahrscheinlich: In diesem Jahr soll die öffentliche Verschuldung auf 150 Prozent des BIP ansteigen, während die Zahlungsbilanz des Landes tief in den roten Zahlen steckt (-11 Prozent des BIP Ende 2010). Die Frage ist nicht so sehr ob, sondern wann. Griechenlands Gläubiger (Frankreich, Deutschland, EZB) geben sich derzeit politisch unbeugsam, aber das könnte sich ändern. Irland ist das Land, bei dem die Wahrscheinlichkeit einer Umschuldung der Griechenlands kaum nachsteht. Dabei würde es aber wahrscheinlich eher um die Verschuldung irischer Banken als die Staatsverschuldung gehen. Aber auch die Solvenz Portugals und Italiens könnte auf dem Prüfstand stehen, wenn diese Länder keine nachhaltigen Wachstumsquellen erschließen können. Auf kurze Sicht sollte dies jedoch keine Gefahr darstellen.
9. Kann ein EWU-Mitglied die Währungsunion verlassen oder von ihr ausgeschlossen werden? Auch wenn dies nicht explizit in den Verträgen geregelt ist, gibt es keinen Grund, warum ein Land, das freiwillig in die EWU eingetreten ist, sie nicht auch freiwillig verlassen könnte. Ein Land, das aus der EWU austritt, würde aber
1. gegen den Vertrag über die Europäische Union verstoßen, der - von zwei Ausnahmen abgesehen (das Vereinigte Königreich und Dänemark) - vorbehaltlich der Erfüllung bestimmter volkswirtschaftlicher Voraussetzungen die Mitgliedschaft in der EWU erfordert;
2. gegen eines der Gründungsprinzipien der Europäischen Union verstoßen, da das betreffende Land auf ein System kontrollierter Wechselkurse zurückgreifen müsste, um Kapitalflucht zu erkennen und zu verhindern;
3. nahezu zwangsläufig mit der Tilgung seiner Staatsschulden in Verzug geraten, da diese weiterhin ganz oder teilweise auf Euro - und damit eine starke Währung - lauten würden. Aus praktischen Gründen kann man diese Möglichkeit wohl ausschließen - es sei denn, dass das betreffende finanziell angeschlagene Land auch eine politische Zerrüttung erfährt. Umgekehrt ist es unmöglich, ein Land zum Austritt aus der EWU zu zwingen. Deutschland hatte zunächst den Vorschlag der Einrichtung eines gütlichen Trennungsprozesses ins Spiel gebracht, diesen aber inzwischen verworfen.
10. Was könnte zum Zusammenbruch der Eurozone führen?
Falls Deutschland aus der EWU austreten sollte, würde der Euro in Windeseile von der Bildfläche verschwinden, da keine andere Volkswirtschaft imstande wäre, als sein wirtschaftlicher Anker zu fungieren. Wäre das also der Fall, dann würde jedes Land seine alte Währung zum vereinbarten und unmittelbaren Umrechnungskurs wieder einführen. Nach seiner Freigabe würden auch die Schulden automatisch in die neuen "alten" Währungen umgerechnet, da es den Euro dann nicht mehr gibt. Sodann würden die Wechselkursschwankungen wieder zum Faktor, der den Wert von Schulden maßgeblich bestimmt. Theoretisch sollte dies nicht zu Zahlungsausfällen führen, aber die von den Banken in Ländern mit starken Währungen erlittenen Verluste könnten Umschuldungen nach sich ziehen.
In Deutschland würde sich der Rückhalt für einen derart extremen Schritt aber wohl erst durchsetzen, wenn es einer politischen Partei gelänge, die Wählerschaft zu überzeugen, dass die Nachteile des Euro (potenzielle fiskalische Transfers) seine Vorteile (politische Stabilität in Europa, die als einer der wichtigsten Faktoren für den deutschen Wohlstand gilt) weitgehend überwiegen. Auch wenn man dies nicht ganz ausschließen kann, erscheint ein solches Szenario doch als äußerst unwahrscheinlich.
Quelle: AXA IM
AXA Investment Managers (AXA IM) ist ein Multi-Experten-Investmentmanager mit Niederlassungen in 23 Ländern und gut 2.500 Mitarbeitern, der institutionelle Investoren, Distributoren und die Versicherungsgesellschaften der AXA Group betreut. Derzeit verwaltet die Gesellschaft ein Vermögen von 522 Mrd. Euro (Stand: September 2010).
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