Kommentar
19:00 Uhr, 05.11.2021

Wovor Notenbanken wirklich Angst haben

Notenbanken haben keine Angst vor Inflation, auch wenn es gerne vereinfacht so dargestellt wird.

Inflation an sich ist für Notenbanken kein Angstauslöser, sofern es sich nicht um unkontrolliert hohe Inflation handelt. Von unkontrolliert hoher Inflation sind wir noch weit entfernt. Trotzdem wird Inflation ein immer wichtigeres Thema und mehr und mehr Notenbanken heben die Zinsen an oder haben es vor. Preisstabilität ist ein Mandat der Notenbanken. Definiert wird dies in den meisten Ländern als ungefähr 2 % Inflation pro Jahr. In den USA sollen es im Durchschnitt 2 % sein. Ein kurzfristiges Überschießen des Ziels wie in diesen Monaten ist noch kein Problem. Höhere Werte werden benötigt, um den Durchschnitt zu erreichen. Höhere Inflation kommt auch gelegen, da es bei der Entschuldung hilft. Regierungen haben in der Krise viel Geld ausgegeben. Die Schuldenberge sind enorm gewachsen. Ist die Inflation jedoch hoch, wächst zumindest die nominale Wirtschaftsleistung kräftig. Das senkt die Verschuldung relativ zur Wirtschaftsleistung und Schulden sind tragbarer. Grundsätzlich also müssten sich Notenbanken und Politiker über die hohe Inflation freuen. Sie löst zumindest das Schuldenproblem. Anstatt Freude kommt jedoch Sorge auf. Wieso?

Höhere Inflation ist so lange kein Problem, solange sie nicht außer Kontrolle gerät. Bisher waren sich Notenbanken sicher, dass es nicht soweit kommen würde. Sie gingen von einem kurzen Inflationsschub aus. Aus dem vorübergehenden Schub wird nun langsam ein Dauerzustand. Das beeinflusst das, was für die Notenbanken wirklich zählt: Die Inflationserwartungen.

In Europa stiegen die Erwartungen auf den höchsten Stand seit Anfang der 90er Jahre (Grafik 1). Die Erwartungen sind deutlich höher als vor bzw. direkt nach der Finanzkrise. Damals war die Inflation ebenfalls erhöht. Vor Beginn der Finanzkrise lag die Inflation bei 4 %, kurz danach bei 3 %.


Es handelte sich allerdings nur um ein kurzes Aufflackern der Inflation. Nachhaltig war der Anstieg nicht. Dafür sorgten die damaligen Umstände. Europa schlitterte in die Eurokrise. Die Arbeitslosigkeit war hoch und das Angebot insgesamt war alles andere als knapp, ganz im Gegensatz zu heute.

Die Umstände sind dieses Mal andere. Das macht es unwahrscheinlicher, dass die Inflationsrate schnell wieder unter die Zielmarke von 2 % sinkt. Regierungen begannen nach der Finanzkrise schnell zu sparen. Heute ist davon keine Rede. In den USA rücken weitere Mehrausgaben von fast 3 Billionen Dollar in greifbare Nähe.

Haushalte reagieren nicht direkt auf Staatsausgaben, sondern auf das, was sie erleben. Das ist momentan hohe Inflation. Ist diese vorübergehend, ändert sich am Verhalten wenig. Wird die hohe Inflation hingegen als dauerhaft wahrgenommen, verändert sich das Verhalten.

Wird höhere Inflation erwartet, geht man ganz anders in eine Lohnrunde. In den USA wird aktuell so viel gestreikt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Ähnlich sieht es in Großbritannien aus. Das Verhalten scheint sich also zu verändern. Konkret kann man es an den Kündigungsraten und den Inflationserwartungen in den USA sehen (Grafik 2).


Damit drängt sich der Verdacht auf, dass genau das geschieht, wovor Notenbanken Angst haben. Das Verhalten verändert sich, weil Inflationserwartungen nicht mehr gut verankert sind. Das ist eine Stufe vor unkontrollierter Inflation. Noch ist diese nicht da und sie muss nicht kommen. Die Umstände dafür sind jedoch gegeben. Notenbanken und Regierungen können noch gegensteuern. Zu spät ist es noch nicht.

Clemens Schmale


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Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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