Analyse
14:30 Uhr, 15.07.2024

Wissen wir, wie "Baisse" geht?

Betrachten wir den Dow Jones im ultralangfristigen Kontext. Verwöhnt von jahrelang steigenden Kursen stellt sich die Frage, wann der nächste Bärenmarkt startet.

Erwähnte Instrumente

  • Dow Jones
    ISIN: US2605661048Kopiert
    Kursstand: 40.000,90 $ (NYSE) - Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung
  • Dow Jones - WKN: 969420 - ISIN: US2605661048 - Kurs: 40.000,90 $ (NYSE)

Vor 11 Jahren fragte ich an dieser Stelle, ob wir noch wissen, wie ein Bullenmarkt funktioniert: "Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise der Industrienationen mag einer der Gründe sein, warum man jetzt nicht so recht an den Start einer mehrjährigen Rally glauben mag. Ein anderer könnte einfach die Tatsache sein, dass viele der Marktteilnehmer vergessen haben, wie sich langfristige Haussen "anfühlen". Oder aber sie haben diese Erfahrung in ihrem Leben einfach noch nicht gemacht, mich eingeschlossen."

Der Dow Jones Index kletterte damals gerade über das Allzeithoch aus dem Jahr 2007 und stand bei 15.118 Punkten. Die Börsen hatte einen vierjährigen Kursanstieg hinter sich - und die allgemeine Stimmung in der Wirtschaft war schlecht. Der britische Guardian beschrieb die Situation in einem Artikel vom 23. Mai 2013 folgendermaßen: "Im vergangenen Jahr waren die Finanzmärkte in Aufwärtsstimmung – die Kurse von Aktien, Anleihen und Immobilien stiegen, obwohl Europa in einer anhaltenden Doppelrezession steckt, die Erholung in den USA im historischen Vergleich schwach ausfiel und China an Schwung verliert. [...] Der Grund für den Anstieg der Märkte hat natürlich nichts mit den realwirtschaftlichen Bedingungen zu tun, sondern einzig und allein mit der Bereitschaft der Notenbanken, Geld zu drucken. [...] Die Zentralbanken könnten durchaus die größte Finanzblase aller Zeiten aufblasen, deren Platzen eine zweite globale Rezession auslösen würde, aber sie sind überzeugt, dass sie wissen, was sie tun. [...] Dem Beispiel seines Vorgängers Alan Greenspan folgend wird der derzeitige Fed-Vorsitzende jedes Mal, wenn die Finanzmärkte einen größeren Einbruch erleiden, für zusätzliche Liquidität sorgen."

Die Bullen haben geliefert!

Der Rest ist Geschichte. Die Zentralbanken fluteten auch in den folgenden Jahren mittels expansiver Geldpolitik ("quantitative easing") die Märkte mit billigem Geld. Und die Drogen wirkten gut, die Aktienmärkte legten eine gewaltige Rally aufs Parkett. Sämtliche Krisen wurden schnell weggebügelt, seit mittlerweile 15 Jahren läuft der große Bullenmarkt.

In meinem damaligen Artikel bezifferte ich langfristige Kursziele im Dow Jones bei 40.000 - 45.000 Punkten und schrieb zu folgendem Chart: "Noch favorisiere ich die bullische Variante, sogar die sehr bullische Variante (rot gestrichelt) würde ich dem Markt zutrauen." Der rote Fahrplan wurde perfekt abgespult.


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Die Stimmung kippt langsam

Nun stehen zwar die Aktienmärkte erneut auf Rekordhochs, doch ist die allgemeine Stimmung angesichts schwelender Multikrisen weiterhin nicht besonders prickelnd. Die Nachwehen der Corona-Krise, der russische Angriffskrieg und das neue Wettrüsten, eine holprige Energiewende, der weltweite Rechtsruck und neue Blockbildungen sowie die hohe Inflation - Gründe für Skepsis und Sorgen gibt es mehr als genug. Nur die Aktienmärkte juckt das bislang nicht im Geringsten.

Getrieben von der Euphorie um Künstliche Intelligenz sind es aktuell vor allem die Big-Tech-Konzerne, die den Markt weiter nach oben ziehen. Und auch auf dem Papier sieht es bei vielen Unternehmen gar nicht so schlecht aus, die Gewinnmargen sind weiterhin auf hohem Niveau. Gleichzeitig ist die Lage in anderen Branchen schon ziemlich kritisch, z.B. sind die Auftragseingänge in einigen Bereichen wie in der Industrie, dem Maschinenbau oder der Bauwirtschaft besonders in Europa stark rückläufig.

Hoffnung auf Zinssenkungen? Jain!

Historische Vergleiche hinken in der Regel, da die Konstellation ökonomischer, technologischer, politischer und sozialer Rahmenbedingungen immer unterschiedlich ist und kleinste Abweichungen zu anderen Ergebnissen führen. Dennoch werden sie als Orientierung gerne zu Rate gezogen und haben durchaus ihre Berechtigung.

Nehmen wir z.B. das Thema Inflation und Leitzinsen, das derzeit die Märkte bewegt. Momentan sehnen die Marktteilnehmer die angekündigten Zinssenkungen herbei, in der Hoffnung auf eine Belebung der Wirtschaft. Legt man aber die Entwicklung der Leitzinsen in den USA seit der Jahrtausendwende auf die Kursverläufe der Aktienmärkte, bekommt man ein mulmiges Gefühl. Sowohl beim Platzen der Dotcom-Blase als auch in der Bankenkrise 2007/08 gingen mit fallenden Zinsen auch deutlich fallende Aktienmärkte einher.

Ganz anders war es Anfang der 90er-Jahre zu beobachten. Von 1989 bis 1993 sank der Leitzins in den USA ebenfalls deutlich, die Aktienmärkte hingegen befanden sich konstant in einem Aufwärtstrend. Die 80er- und 90er-Jahre waren einer der stärksten Bullenmärkte aller Zeiten. Doch zurück zum aktuellen Marktgeschehen.

Ein Bärenmarkt wird kommen, sicher...

Der Dow Jones hat also die 40.000er-Marke erreicht und befindet sich mittel- und langfristig im soliden Aufwärtstrend. Dieser könnte aus charttechnischer Sicht auch noch einige Monate oder wenige Jahre weiter fortgesetzt werden könnte.

Dabei wären sowohl eine weitere Rallybeschleunigung wie zum Finale Ende der 90er-Jahre als auch eine Abschwächung der Trenddynamik gut möglich. Idealziele lägen bei 49.000 - 50.000 und 55.000 - 58.000 Punkten. Anschließend könnte tatsächlich ein mehrjährigen Bärenmarkt starten, der den Index sogar wieder bis 30.000 Punkte zurückfallen lassen könnte.

Rücksetzer bis 37.000 oder 35.000 Punkte wären in den kommenden Monaten nicht auszuschließen, würden aber noch keinen großen Bärenmarkt auslösen. Erst unterhalb von 34.000 Punkten müsste direkt eine größere Korrektur eingeplant werden (roter Prognosepfeil). Unterhalb von 28.000 Punkten würden umfassende Verkaufssignale für eine ausgedehnte Abwärtskorrektur bis 18.300 oder 15.600 Punkte entstehen (graue Prognosepfeile).

Fazit: Im ultralangfristigen Kontext wird die Luft tatsächlich dünner. Allerdings fehlt noch eine Übertreibung nach oben. Von überschwänglicher Euphorie kann trotz neuer Rekordhochs keine Rede sein. Möglicherweise brauchen die Märkte aber genau das, einen finalen Hype in der Dynamik, wie wir sie momentan bei den KI-Aktien wie Nvidia sehen. Der laufende Bullenmarkt läuft seit 15 Jahren, die großen Haussephasen des 20. Jahrhunderts dauerten 23 (1942 - 1965) und 18 Jahre (1982 - 2000) an.

Ein längerer Bärenmarkt wird früher oder später starten, keine Frage. Idealerweise lassen sich die Aktienmärkte damit aber noch ein wenig Zeit und klettert in den kommenden 1-4 Jahren noch auf weitere Allzeithochs. Besonders mittelfristige Prognosen werden aus meiner Sicht ab jetzt immer schwammiger. Wie schon 2013 geschrieben, werde ich mich an kurzfristigen Signalen orientieren und in kleinen Schritten denken und traden.

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