Kommentar
08:49 Uhr, 02.08.2022

Wirtschaftswachstum: So lässt es sich schönrechnen

Deutschland stagniert, die USA sind in einer technischen Rezession. Dennoch erscheint niemand ernsthaft besorgt. Das hat gut Gründe.

Auf den ersten Blick sind die Wachstumszahlen in den USA und Deutschland ernüchternd. Der Börse haben die Zahlen aber nicht geschadet. Das ist nicht intuitiv nachvollziehbar, schon gar nicht, wenn die Wachstumsschwäche erst der Anfang war. Zudem können Unternehmensgewinne kaum wachsen, wenn die Wirtschaft nicht wächst. Die Kurse müssten also eigentlich nachgeben. Dass sie nicht nachgaben, hat mehrere Gründe. Zum einen waren die Zahlen keine Überraschung. Die Daten zum Wirtschaftswachstum gehören zu jenen mit der längsten Verzögerung. Sie werden einmal im Quartal mit vier Wochen Verzögerung veröffentlicht. Sind sie endlich da, sind sie veraltet und sind keine Überraschung. Viele hochfrequentere Datensätze zeigen den aktuellen Zustand der Wirtschaft schneller. Zum anderen waren die Wachstumszahlen nicht so schlecht wie befürchtet. Man kann sie nämlich schönrechnen. In den USA lag das Wachstum im zweiten Quartal im negativen Bereich, weil Unternehmen weniger Waren bestellten und den hohen Lagerbestand abbauten. Ende 2021 war es umgekehrt. Die Lager wurden gefüllt und das Wachstum war aus diesem Grund besonders hoch (Grafik 1). Nun hat ein Ausgleich stattgefunden.


Der wichtige Privatkonsum fällt gemischt aus. Die Güternachfrage fiel, der Dienstleistungskonsum stieg weiter an. Angesichts der sehr hohen Inflation im zweiten Quartal ist es positiv, dass der Konsum weiter ansteigen konnte. Im dritten Quartal deutet sich eine Trendumkehr bei der Inflation in den USA an. Das dürfte die Konsumlaune wieder verbessern. Positives Wachstum im dritten Quartal wäre nach derzeitigem Stand nicht überraschend.

In Deutschland stagnierte die Wirtschaft und somit erging es ihr besser als der amerikanischen. Im Vergleich zur Eurozone oder Spanien und Italien war das Wachstum jedoch enttäuschend (Grafik 2). Auch hier gibt es gute Gründe, weshalb das Wachstum nicht positiv war.


Hohe Importpreise bei Energierohstoffen haben zu höheren Importwerten geführt. Wird gleichzeitig nicht mehr exportiert, drückt dies die Wirtschaftsleistung. Wie in den USA kann man Sonderfaktoren für das schwache Wachstum verantwortlich machen.

Man kann sich die Werte aber noch weiter schönrechnen. Das Bruttoinlandsprodukt ist nur ein Maßstab für die Wirtschaftsleistung und gerade bei Lagerbestandsveränderungen ist die Frage berechtigt, ob man sie betrachten sollte. Wird der Lagerbestand aufgestockt, erhöht dies die Wirtschaftsleistung, egal, ob diese Produkte am Ende wirklich verkauft werden.

Daher setzt sich die Meinung immer mehr durch, dass die tatsächlichen Verkäufe ein besserer Maßstab sind. Hier gibt es mehrere Berechnungsweisen. Eine berechnet das BIP ohne Lagerbestandsveränderungen, andere messen nur die Verkäufe an Inländer oder Inländer ohne staatlichen Konsum. Je nach Berechnung ist die Wirtschaftsleistung in den USA im zweiten Quartal also nicht unbedingt geschrumpft (Grafik 3).


Will man wissen, wie es der inländischen Wirtschaft geht (und darauf kommt es am Ende an), betrachtet man die Verkäufe an private inländische Käufer (Grafik 4, BIP weniger Lagerbestandsveränderungen, private inländische Käufer). Dieser Wert stieg im ersten Quartal noch deutlich an und stagnierte im zweiten Quartal.

Damit boomt die US-Wirtschaft nicht, aber sie fällt auch nicht in ein tiefes Loch. Einen gewissen Rückenwind gibt es aufgrund nachlassender Inflation im dritten Quartal. Was danach kommt, steht auf einem anderen Blatt und der Zeitpunkt wird kommen, zu dem sich Anleger darüber wieder besorgt zeigen werden.

Clemens Schmale


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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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