Kommentar
08:20 Uhr, 21.10.2016

Wirtschaftliche Stabilität: unerwünscht?

Alle Welt sehnt sich nach mehr Dynamik, obwohl wir eine ungewöhnliche Zeit der Stabilität erleben. Bei so viel Sehnsucht nach Veränderung fragt man sich schon, ob Stabilität überhaupt erwünscht ist?

Es ist schon merkwürdig. In dynamischen Zeiten – im Guten wie im Schlechten – sprechen alle davon, dass sie sich mehr Ruhe und Stabilität wünschen. Ist die Stabilität da, dann sehnen sich alle plötzlich nach mehr Dynamik, auch zu Lasten der Stabilität.

Genau das kann man seit vielen Quartalen in den USA beobachten. Die US-Wirtschaft liegt wie ein Öltanker stabil im Hafen. Die Notenbank wartet darauf, dass der Tanker endlich den Anker lichtet und losfährt. Bei jedem Zinsentscheid, bei dem wieder nicht gehandelt wurde, fällt das Argument, dass die Notenbank gerne eine Beschleunigung sehen möchte, bevor sie etwas ändert.

Die Beschleunigung findet und findet einfach nicht statt. Das macht die Notenbanker nervös und Politiker schlachten es für den Wahlkampf aus. Donald Trump behauptet gleich, die US-Wirtschaft läge am Boden. Hillary Clinton ist diplomatischer, aber auch sie sieht dringenden Handlungsbedarf. Am besten wird gleich nach der Wahl ein Konjunkturpaket aufgelegt – bei 5 % Arbeitslosigkeit.

Ein Konjunkturpaket braucht die US-Wirtschaft nicht. Auch die deutsche Wirtschaft muss aktuell wohl kaum angeschoben werden, auch wenn sich dies der Internationale Währungsform sehnlichst wünscht. In Deutschland ist die Lage ähnlich wie in den USA. Die Wirtschaft wächst gemütlich vor sich hin und die Arbeitslosigkeit ist niedrig.

In den USA kann man die Stabilität anhand des Beschäftigungswachstums einzelner Branchen gut erkennen. Grafik 1 zeigt die Jahreswachstumsrate der Beschäftigung in verschiedenen Sektoren. Derzeit bewegt sich das Wachstum in einer extrem engen Bandbreite von 0 % (Produktion) bis gut 3 % (Bau, Bildung, Gesundheit). Es gibt dazu nur eine Ausnahme, die nicht in der Grafik abgebildet ist (Rohstoffsektor, hier sinkt die Beschäftigung im zweistelligen Bereich; allerdings ist der Sektor für die Gesamtwirtschaft mit wenigen Angestellten weniger wichtig). Die Dynamik ist teilweise leicht nachlassend. Bedrohlich ist das nicht. Seit mehreren Jahren bewegt sich das Jobwachstum in einer engen Bandbreite. Ausnahme bilden die Hilfsjobs. Sie werden in einer Rezession am schnellsten abgebaut, aber im Aufschwung auch wieder schnell aufgebaut.

In den letzten 30 Jahren war der US-Arbeitsmarkt kein einziges Mal so stabil wie in diesem. Insbesondere im Vergleich zum Aufschwung von 2002 bis 2007, als in vielen Branchen sogar zu Hochkonjunkturzeiten Jobs abgebaut wurden, ist die aktuelle Phase ein Geschenk des Himmels. Das reicht vielen nicht. Dabei realisieren sie gar nicht, was die Alternative ist.

Mit mehr Dynamik kommt auch mehr Volatilität. Man stelle sich vor, Unternehmen würden rekordhohe Investitionen durchwinken und Arbeitsplätze aufbauen, bis die Büroräume platzen. Ein solches Szenario wünschen sich viele, doch was bedeutet das überhaupt? Es bedeutet, dass die Wirtschaft unter Hochdruck läuft und überhitzt. Eine Beschleunigung vom aktuellen Niveau aus würde an die Überhitzung der späten 90er Jahre erinnern.

Je näher die Wirtschaft an ihrer Kapazität operiert, desto anfälliger ist sie für Schocks. Eine unter Volldampf stehende Wirtschaft kann bereits durch moderate Unsicherheiten aus der Bahn geworfen werden. Bei der Stabilität, die wir derzeit sehen, ist das weniger der Fall. Persönlich halte ich daher den Wunsch nach einer Beschleunigung für unsinnig und eine Einladung für den Beginn des nächsten Abschwungs.

Vielmehr sollte allen daran gelegen sein die Stabilität nicht zu gefährden. Dazu mag auch ein nächster, kleiner Zinsschritt zählen, muss es aber nicht unbedingt, denn es gibt etwas, das den Hauch von Instabilität signalisiert. Grafik 2 zeigt die Steuereinnahmen der USA. Seit Anfang 2016 sinken die Steuereinnahmen. Arbeitslosenrate und Steuereinnahmen laufen für gewöhnlich parallel. Läuft die Wirtschaft rund, sprudeln auch die Steuereinnahmen.

Nun sinken die Steuereinnahmen. Das liegt nicht an mangelnden Einkommenssteuern. Diese entwickeln sich nach wie vor positiv. Die Beschäftigung wächst ja nach wie vor. Dafür sinken die Unternehmenssteuern. US-Unternehmen schrieben zuletzt immer weniger Gewinn. Entsprechend sanken die Steuerreinnahmen. Geht das so weiter, dann ist auch mit dem Beschäftigungsaufbau bald Schluss. Wer weniger verdient, stellt auch nicht mehr ein.

Das nächste Quartal wird aus diesem Grund kritisch. Man darf mit Zuversicht davon ausgehen, dass die Gewinnrezession der US-Unternehmen in Q3 oder Q4 ein Ende findet. Dafür wird es allerhöchste Zeit, denn irgendwann hören Unternehmen auf, Stellen zu schaffen, wenn die Gewinne sinken. Dann ist die Stabilität schnell dahin. Das gilt es dringend zu verhindern, aber nicht, indem man die Wirtschaft in die Überhitzung treibt. Das wäre fatal. Die derzeitige Stabilität ist das Beste, was der Wirtschaft passieren kann. Es ist nicht sehr aufregend, aber besser als jede Alternative.

Clemens Schmale

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Über den Experten

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Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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