Kommentar
13:55 Uhr, 11.10.2011

Wird Griechenland es schaffen?

Zentrale Punkte

• Nachdem sich die Verhandlungen zur fünften Prüfung des wirtschaftlichen Anpassungsprogramms festgefahren haben, ist die Wahrscheinlichkeit einer Staatspleite Griechenlands vor Jahresende beträchtlich gestiegen.

• Sofern die acht Milliarden Euro schwere Kredittranche nicht ausgezahlt wird, könnte dem griechischen Staat bis Ende Oktober das Geld ausgehen.

• Falls nur der Internationale Währungsfond (IWF) seinen Anteil an der Tranche verweigert, dann würde sich die Staatspleite noch bis Ende Dezember verzögern.

• In diesem Fall würde Griechenland die Zahlung von Renten, Löhnen und Gehältern einstellen, seine Staatsschulden aber weiterhin bedienen, um einerseits den Zusammenbruch des griechischen Bankensystems zu verhindern und sich andererseits die Möglichkeit einer Rückkehr an die internationalen Kapitalmärkte offenzuhalten.

• Nach unserer Einschätzung wird Griechenland die Eurozone nur dann verlassen, wenn die anderen Staaten der Europäischen Währungsunion (EWU) ihm die Mitgliedschaft aufkündigen.

• Der „Eureca“-Plan hört sich interessant an, ist aber mit erheblichen Umsetzungs- und politischen Risiken verbunden.

1. Was ist der aktuelle Verhandlungsstand im Hinblick auf die offiziellen Auszahlungen an Griechenland?

Am 3. Oktober gab Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker bekannt, die Euro-Gruppe werde am 13. Oktober nicht über die Auszahlung der nächsten Kredittranche an Griechenland entscheiden, da die Prüfung der Sparmaßnahmen durch EU-Kontrolleure (im Zuge der Finanzhilfen) erst Ende Oktober abgeschlossen sein werde. Das würde bedeuten, dass Griechenland die sechste Tranche frühestens in der ersten November-Hälfte in Anspruch nehmen kann.

2. Wie hoch ist die Barreserve der griechischen Zentralregierung?

Nach offiziellen Angaben Griechenlands belief sich die Barreserve des Landes im Juni auf 2,09 Milliarden Euro. Im Juli 2011 erhielt Griechenland die fünfte Auszahlung (12 Milliarden Euro) des ursprünglich 110 Milliarden Euro schweren Darlehenspakets. Damit belief sich die Barreserve der Zentralregierung auf 14,1 Milliarden Euro. Davon verwendete die Regierung Ende Juli 2,9 Milliarden Euro zur Deckung ihres Kassendefizits, so dass sich die Barreserve auf 11,2 Milliarden Euro verringerte (Tabelle 2). Um einzuschätzen, inwieweit die Barreserve der Zentralregierung ausreichen wird, haben wir eine optimistische und eine pessimistische Szenario-Analyse für die Monate August bis Dezember 2011 durchgeführt. Im Rahmen des optimistischen Szenarios entspricht das monatliche Defizit dem durchschnittlichen Kassendefizit der ersten sieben Monate des Jahres (2,8 Milliarden Euro). Wir haben den Stand der Barreserve am Ende eines jeden Monats (von August bis Dezember 2011) berechnet, indem wir den Kassenbestand des Staatshaushaltes zum Bestand der Barreserven am Ende des Vormonats addiert haben. Im Rahmen des optimistischen Szenarios (wie in Tabelle 2 dargestellt), betrug die Barreserve der griechischen Zentralregierung Ende August 8,4 Milliarden Euro und Ende September 5,6 Milliarden Euro und soll weiter fallen: von 2,8 Milliarden Euro Ende Oktober auf null Ende November. Dieses Szenario ist natürlich vergleichsweise wohlwollend und optimistisch, denn die Rezession wird sich im Laufe dieses Jahres noch verschärfen und die Haushaltslage weiter eskalieren. Daher haben wir auch einen ungünstigeren Verlauf analysiert, bei dem das monatliche Kassendefizit 3,9 Milliarden Euro betragen wird, der höchste Stand in den sieben Monaten seit Juli 2011. Bei diesem Szenario weist die Zentralregierung bereits Ende Oktober ein Kassendefizit von einer halben Milliarde Euro auf. Angesichts der trüben Konjunkturaussichten ist ein solches Szenario sehr viel wahrscheinlicher als die optimistische Variante.

3. Wie wahrscheinlich ist es, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) seinen Anteil (30 Prozent der gesamten Tranche) im November nicht auszahlen wird?

Das ist sehr wahrscheinlich. Wirtschaftsanalysten und Kommentatoren zur griechischen Schuldenkrise neigen dazu, ganz selbstverständlich eine Bereitschaft aufseiten des IWF zur Finanzhilfe für Griechenland vorauszusetzen. Der Fonds ist jedoch auch seinen Schwellenländermitgliedern rechenschaftspflichtig und diese werden keine Blankovollmacht für die Griechenlandfinanzierung erteilen, wenn die Hellenen immer wieder gegen die Kreditauflagen verstoßen. Zudem wird der IWF sich gegen eine Auszahlung seines Anteils entscheiden, falls die EWU-Parlamente einer Beteiligung der Privatwirtschaft an der Umschuldung Griechenlands nicht zustimmen. Der IWF kann nämlich nur dann einem Staat finanziell zur Seite springen, wenn dessen Finanzbedarf über die nächsten zwölf Monate vollständig gedeckt ist. Im Rahmen unseres pessimistischen Szenarios für das monatliche Kassendefizit würde Griechenland Ende Dezember das Geld ausgehen, sofern der IWF seinen Anteil im November nicht auszahlt (Tabelle 2, letzte Spalte).

4. Wie wird die griechische Regierung bis zur Auszahlung der sechsten Tranche ihren Finanzbedarf decken?

Das Finanzministerium wird zunächst auf die Emission kurzfristiger Staatsanleihen zurückgreifen, um den staatlichen Finanzbedarf zu decken. Schlägt dies fehl, dann kann die Regierung ihre Zahlungsverpflichtungen nicht mehr erfüllen.

5. Wird Griechenland Pleite gehen? Wie würde ein Staatsbankrott aussehen?

Eine Staatspleite ist eine ernst zu nehmende Gefahr, da nahezu 90 Prozent der griechischen Staatsanleihen nach griechischem Recht ausgegeben wurden und die griechische Regierung danach einseitig über die Zahlungseinstellung entscheiden kann. Aber auch dann wäre die griechische Regierung immer noch zur Rückzahlung ihrer Schulden an den IWF verpflichtet, der vor allen anderen Gläubigern Vorrang hat. Die von den EWU-Ländern bereitgestellte Finanzhilfe würde dann von politischen Verhandlungen á la Pariser Club abhängen, die in der Regel langwierig und machtpolitisch geprägt sind. Wenn auch eine Pleite mittelfristig nicht auszuschließen ist, so ist kurzfristig nicht damit zu rechnen. Das Primärdefizit beträgt immerhin drei Prozent des BIP (Stand: Juli 2011). Sofern Griechenland tatsächlich zahlungsunfähig wird, würde das Land seinen Primärhaushalt (Staatsbudget ohne Zinszahlungen) umgehend ausgleichen müssen, da es sein Defizit nicht mehr über die internationalen Kapitalmärkte refinanzieren könnte. Der Prozess, das gesamte Haushaltsdefizit sozusagen über Nacht zu korrigieren, wäre indes weitaus schmerzhafter als die Umsetzung des von der Troika verordneten Sparprogramms. Der Zahlungsausfall würde zunächst die innenpolitische Lage betreffen, da die Gehaltszahlungen an öffentliche Bedienstete sowie die Rentenzahlungen verschoben würden. Nach unserer Einschätzung wird die EWU sich aus zwei Gründen für eine teilweise Auszahlung der sechsten Tranche an Griechenland entscheiden: 1. um die griechische Regierung zur Durchsetzung der notwendigen Strukturreformen anzuhalten und 2. um einen Zusammenbruch des griechischen Bankensystems abzuwenden, indem Teilauszahlungen von Mitteln vorgenommen werden, die zur Tilgung der griechischen Staatsschulden erforderlich sind.

6. Würde Griechenland bei einer Pleite die Eurozone verlassen?

Nicht unbedingt. Würde das Land aus der EWU austreten, hätte es die Möglichkeit, seine Wettbewerbsfähigkeit durch eine drastische Abwertung seiner Landeswährung wiederherzustellen. Zudem könnte es seine Schulden monetarisieren und damit ihren tatsächlichen Wert reduzieren. Doch ein solcher Schritt würde die Inflation antreiben und damit zu höheren Gehältern und Löhnen führen. Dies würde wiederum den Versuchen, durch eine Entwertung die internationale Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen, zuwiderlaufen. Ferner ist der Übergang auf eine neue Währung mit erheblichen Umstellungskosten verbunden. Hinzu kommen die politischen Kosten eines erzwungenen Ausstiegs aus der Eurozone. Nicht zuletzt würde die Entwertung der Landeswährung zu einer dramatischen Verschlechterung der „Terms of Trade“ (Austauschverhältnis zwischen Export und Import) und damit des Lebensstandards in Griechenland führen. Außer der Kommunistischen Partei, die nur 21 der 300 Sitze im griechischen Parlament hält, gibt es in Griechenland keine politische Kraft, die den Ausstieg aus der Eurozone fordert.

7. Wie hoch ist der Kapitalisierungsbedarf der griechischen Banken?

Nach unseren Berechnungen benötigen die griechischen Banken frisches Kapital in Höhe von 5,2 Milliarden Euro, um ihre Verluste durch den Einbezug der Privatwirtschaft in die Lastenverteilung wettzumachen. Dieser Bedarf könnte sogar noch höher ausfallen, falls sich ihre Risikovorsorge laut der von der griechischen Zentralbank bei BlackRock in Auftrag gegebenen aufsichtsrechtlichen Studie als unzureichend erweist. Sofern sich die Rückstellungen – wie in Irland – als ungenügend erweisen, müssten griechische Geschäftsbanken unseren Berechnungen zufolge insgesamt zwölf Milliarden Euro aufbringen, um sowohl ihre Verluste aus dem Einbezug privater Gläubiger als auch die höhere Risikovorsorge zu decken. Dieser Betrag würde sogar auf 20 Milliarden Euro steigen, falls griechische Banken notleidende Kredite zu 50 Prozent abschreiben müssten. 8. Welche haushaltspolitischen Maßnahmen sieht der Etat für 2012 vor?

Vorgesehen sind Maßnahmen, die das Haushaltsdefizit 2012 auf 6,8 Prozent des BIP senken sollen (gegenüber dem angepassten Haushaltsziel von 8,5 Prozent des BIP für 2011). Zu diesen Maßnahmen zählen:
• Weitere Kürzung der öffentlichen Gehälter um 20 Prozent (zusätzlich zur bereits erfolgten Kürzung um 15 Prozent im öffentlichen Dienst und um 25 Prozent bei Bediensteten von Staatsunternehmen).
• Weitere Kürzung der Renten um vier Prozent (zusätzlich zu der bereits erfolgten Kürzung um zehn Prozent).
• Freisetzung von 30.000 öffentlichen Bediensteten in Form einer sogenannten Arbeitsreserve bis Jahresende.
• Die Anwendung der Regel bei einer Neueinstellung die Pensionszahlung im öffentlichen Dienst auf zehn Jahre zu begrenzen.
• Rückwirkende Kürzung bzw. Wegfall von Steueranrechnungen ab Januar 2011 in einem Umfang von 0,6 Prozent des BIP.
• Einführung einer Grundsteuer, die für die Dauer der mittelfristigen Fiskalstrategie zusammen mit der Stromrechnung erhoben wird und jährlich einen Beitrag von 1,1 Prozent des BIP leisten soll.
• Beschleunigter Privatisierungsprozeß.

9. Kann der Etat für 2012 überzeugen?

Wohl eher nicht. Die Regierung hat ihre Prognosen für das Haushaltsdefizit im laufenden Jahr von 7,6 Prozent auf 8,5 Prozent nach oben angepasst und ihre Prognose für das Wachstum des realen BIP von minus 3,8 Prozent auf minus 5,5 Prozent. Ferner wurde das Defizitziel für 2012 von 6,5 Prozent auf 6,8 Prozent des BIP aufwärts revidiert und die Prognose für das Wachstum des realen BIP von 0,6 Prozent auf minus zwei Prozent. Überdies hat die Regierung ihre Prognose für den Primärüberschuss 2012 von 1,3 Prozent auf 1,5 Prozent angehoben, obwohl die Primärbilanz im Juli 2011 bereits ein Defizit von 3,1 Prozent auswies. Zudem wird die über die Stromrechnungen erhobene Grundsteuer nicht die erwarteten Einnahmen einbringen, da das öffentliche Energieversorgungsunternehmen mangels entsprechender Infrastruktur noch nicht einmal seine eigenen fälligen Forderungen eintreiben kann, geschweige denn fällige Steuern. Bereits jetzt kündigen viele Griechen die Stromversorgung zu ihren Ferienhäusern und Zweitwohnungen, um die Steuer zu vermeiden. Fraglich ist auch, ob die Freisetzung von 30.000 öffentlichen Bediensteten im Wege einer sogenannten Arbeitsreserve eine geeignete Maßnahme ist, denn 20.000 der Betroffenen gehen bereits aufs Rentenalter zu. Sollten diese Bediensteten sich für eine Verrentung entscheiden, um einer faktischen Entlassung zuvorzukommen, würde dies die öffentlichen Finanzen sogar noch stärker belasten, da ihre Renten das auf 60 Prozent des letzten Gehalts reduzierte Einkommen der Arbeitsreserve übersteigen würden.

10. Worum handelt es sich beim „Eureca“-Plan? Ist dieses Projekt glaubwürdig?

Der „Eureca“-Plan wurde vom Beratungsunternehmen Roland Berger erdacht und sieht die Schaffung einer Treuhandgesellschaft vor, die der von der deutschen Regierung eingerichteten Treuhandanstalt zur Privatisierung beziehungsweise Stilllegung ehemaliger ostdeutscher Staatsbetriebe vergleichbar ist. Die wesentlichen Elemente des „Eureca“-Plans sind:
• Zusammenführung griechischen Staatsbesitzes im Werte von 125 Milliarden Euro in einer zentralen Treuhandgesellschaft (Holding).
• Verkauf der gesamten Holding an die Europäische Union für 125 Milliarden Euro.
• Mit dieser Summe tilgt Griechenland dann seine Schulden bei der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Euro-Rettungsschirm (EFSF).
• Senkung der griechischen Verschuldung von 145 auf 88 Prozent des BIP.

Dieser Plan ist nur begrenzt plausibel. Die Eigentumsrechte des griechischen Staates sind vielfach nicht hinreichend nachgewiesen. So macht die Regierung Eigentum an zahlreichen Liegenschaften geltend. Zudem würde sich die öffentliche Meinung schnell gegen diesen Plan wenden, falls die Umstrukturierung der betreffenden Staatsunternehmen zu weiteren Entlassungen führen sollte. Im Gegensatz zur Treuhandanstalt wird Eureca Vermögen zum höchstmöglichen Preis veräußern müssen, um die Staatsschulden Griechenlands weitgehend abbauen zu können. Doch die Bewertungen auf dem internationalen Markt sind derzeit nicht besonders günstig. Unklar ist auch, ob dieser Plan der Billigung durch die europäischen Parlamente bedarf.

Quelle: AXA Investment Managers

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