Kommentar
12:21 Uhr, 01.07.2022

Wieso Optimismus am Aktienmarkt gerechtfertigt ist

Kurzfristig wird es schlimmer, bevor es besser wird. Mittelfristig gibt es erste positive Signale. Eine Trendwende nach dem Sommer lässt sich erahnen.

Die Parallelen zur letzten Hochinflationsphase der 70er Jahre werden nicht nur immer offensichtlicher, sie werden auch zahlreicher. Obwohl Notenbanken und Ökonomen viel Energie aufgewendet haben, um zu verstehen, was damals schiefging, konnten die Fehler nicht vermieden werden. Zugegeben, nicht alle Fehler wurden von Notenbanken wiederholt. So reagiert etwa auch die Politik ähnlich wie damals. Es gibt auch Unterschiede zu den 70er Jahren, doch das Resultat ist das gleiche. Entsprechend ist die Entwicklung von damals ein guter Anhaltspunkt für heute. Zunächst lässt sich feststellen, dass die Inflation heute niedriger ist als zum Höhepunkt der Stagflation 1974/75.

Das ist nur ein geringer Trost und kein relevanter Unterschied. Die Inflation ist heute genauso breit angelegt wie damals (Grafik 2). Das Phänomen ist global und hat ähnliche Ursachen wie in den 70er Jahren.


Vergleicht man den Inflationsanstieg direkt miteinander (Grafik 3), sind die Parallelen gut zu erkennen. Die Teuerungsrate stieg in den vergangenen zwei Jahren sogar schneller an als vor 50 Jahren. Der grobe Ablauf ist derselbe. Die rasche Beschleunigung dauerte damals zwei Jahre. Diesen Zeitraum haben wir fast erreicht. In einem anderen Artikel hatte ich bereits darauf hingewiesen, dass die Inflationserwartungen für die USA das Hoch im August/September andeuten.

Dass ein rascher Inflationsanstieg ungefähr zwei Jahre dauert, ist ebenfalls kein Zufall. Preisschocks bei Rohstoffen wie Öl und auch Lieferengpässe benötigen eine gewisse Zeit, um sich durch die Wertschöpfungskette zu bewegen und von Gütern auf Dienstleistungen überzuschwappen. Ist dies erst geschehen, flacht der Basiseffekt (niedriger Vergleichswert aus dem Vorjahr) ab. Damit die Inflation in den kommenden Jahren so hoch bleibt wie jetzt, benötigt es immer wieder neue Schocks. Sofern diese ausbleiben, wird die Inflationsrate ähnlich wie damals zurückgehen.

Damit kommt es auch zu einer ähnlichen Zinspolitik und wirtschaftlichen Entwicklung. Bereits jetzt ist ersichtlich, dass Notenbanken die Zinserhöhungen mit hoher Wahrscheinlichkeit ab 2023 pausieren werden. Auch eine Rezession ist greifbar, sodass Zinsen sogar wieder sinken könnten. Alles deutet daraufhin, dass wir eine sehr ähnliche Entwicklung zu der Zeit 1972 bis 1982 erleben werden.

Für den Aktienmarkt bedeutet dies, dass das Schlimmste vorüber ist. Das klingt gut und ist besser als ein längerer Bärenmarkt. Der Aktienmarkt stand 1982 jedoch nicht höher als zum Jahreswechsel 1972/73. Ebenso blieb die Inflation hoch, sodass die Realrendite von Aktien negativ war.


Mein Zutrauen, dass sich die heutige Entwicklung ähnlich gestaltet wie damals, wird mit jedem Tag größer. Ein gewisser Optimismus ist angebracht. Zum Feiern gibt es dennoch nichts. Das nächste Jahrzehnt wird schwierig und die Realrendite wird mit hoher Wahrscheinlichkeit negativ sein.

Clemens Schmale


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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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