Kommentar
18:20 Uhr, 06.01.2022

Wieso Deutschland das wirtschaftliche Schlusslicht Europas ist

Ob Italien, Frankreich oder Spanien, sie alle haben eines gemeinsam: Sie wachsen schneller als Deutschland.

Deutschlands Ruf als Konjunkturlokomotive Europas war einmal Realität. Inzwischen ist es nur noch ein Ruf. Die Fakten sprechen eine eindeutige Sprache. Vor allem in der wichtigen Industrie läuft es nicht rund. Die Produktion schrumpft. In anderen Ländern wie Italien wächst die Produktion munter weiter.

Das Problem sind nicht die Auftragsbücher. Diese sind noch gut gefüllt. Der Auftragsbestand kann jedoch nicht abgearbeitet werden. Viele sprechen daher von einer Flaschenhalsrezession. Lieferengpässe begrenzten die Produktion, nicht die Nachfrage.

Tatsächlich sind Lieferengpässe in Deutschland ein besonders großes Problem. Über 80 % der Unternehmen geben an, dass sie aufgrund von Materialmangel nicht so viel produzieren können, wie sie gerne möchten (Grafik 1). Auch in anderen Ländern gibt Mangel, allerdings deutlich weniger gravierenden.

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Mangelwirtschaft ist ein neues Phänomen. Die Umfrage der Europäischen Kommission gibt es seit Mitte der 80er Jahre. Mangel gab es in dieser Zeit nicht. In allen Ländern bewegte sich der Prozentsatz an Unternehmen zwischen 0 % und 30 %. Werte von 80 % wie in Deutschland sind nicht nur neu, sondern provozieren auch eine Rezession.

Auch ohne neue Coronamaßnahmen sieht es in diesem Winter für die deutsche Wirtschaft schlecht aus. Der Mangel betrifft dabei nicht nur die bekannten Branchen wie die Autoindustrie (Grafik 2). Selbst fast die Hälfte der Unternehmen in der Getränkeherstellung berichten von Engpässen.

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Das Problem ist kein isoliertes. Es betrifft die ganze Wirtschaft. Das führt zu einer Situation, die seit Ausbruch der Pandemie nicht mehr so klar war. Die Wahrscheinlichkeit, dass die deutsche Wirtschaft derzeit wächst, liegt gerundet bei 0 % (Grafik 3). Selbst zum Jahreswechsel 2020/21, als großflächige Lockdowns die Wirtschaft bremsten, war die Lage besser.

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Die Lage ist schlecht und es gibt einen klaren Schuldigen. Lieferengpässe sind teils unverschuldet. Viele machen sich daher auch keine Sorgen um die Wirtschaft und tun die drohende Rezession als Flaschenhalsrezession ab. Da die Nachfrage nicht das Problem ist, so die Annahme, wir die Wirtschaft schon wieder boomen, wenn die Vorleistungsgüter erst verfügbar sind.

Das klingt gut, greift aber zu kurz. Es ist schon auffällig, dass ein Land besonders stark betroffen ist. Deutschland ist in der globalen Wirtschaft stark integriert. Man könnte also meinen, dass diese Integration das Problem ist. Das ist sie nicht. Länder wie die Niederlande sind noch stärker integriert und zeigen geringeren Mangel.

Man könnte das Problem auch auf einzelne Branchen schieben. Die Autoindustrie ist vom Chipmangel besonders betroffen. In einigen anderen Ländern ging die Autoproduktion weniger stark zurück als in Deutschland. Hersteller produzieren lieber in Mexiko als in Deutschland.

Krisen rütteln Unternehmen wach. Als Wirtschaftsstandort schneidet Deutschland nicht mehr gut ab. Die Infrastruktur muss modernisiert werden und die digitale Infrastruktur hat großen Nachholbedarf. Die Steuern sind zudem hoch und die Lohnkosten inzwischen deutlich weniger wettbewerbsfähig.

Noch sind die Auftragsbücher voll. Der Auftragseingang geht jedoch zurück. Z.B. Italien hat dieses Problem nicht. Hinter den Problemen der Industrie steckt mehr als nur Materialmangel. Deutschland mag aktuell unverschuldetes Schlusslicht sein. Es ist jedoch zu befürchten, dass sich die Position so schnell nicht ändert. Das ist keineswegs unverschuldet.


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1 Kommentar

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  • angola_murksel
    angola_murksel

    Kann gar nicht sein. Wir sind die Größten und Besten. Deswegen muß uns auch die ganze Welt als Vorbild nehmen. Hab ich heute erst gelesen. Und in der Tagesschau kommts auch jeden Tag. Ach ja: unverschuldet ist niemand Letzter, zumindest nicht, wenn er vorher Lokomotive war. Die Kanzlerschaft einer bestimmten im Volke so beliebten Dame hat das Land an diese letzte Stelle gebracht. Aber wen juckt das schon............

    22:17 Uhr, 06.01.2022

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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