Kommentar
10:30 Uhr, 22.07.2016

Wie tief fallen die Zinsen noch?

Inzwischen sind immer mehr Investoren überzeugt: Die Rally bei Anleihen geht zu weit. Die Preise sind zu hoch gestiegen und die Renditen sind zu niedrig. Der Markt befindet sich eindeutig in der Übertreibung.

Man muss keine aufwändigen Analysen anstellen, um zu erkennen, dass die Rally bei Anleihen (=fallende Renditen) ungesund ist. Grafik 1 zeigt die Entwicklung der Futures für Anleihen mit 30 Jahren Laufzeit für die USA, Großbritannien und Japan. Für Deutschland ist der Verlauf der 10-jährigen Anleihen dargestellt.

Die Tabelle in der Grafik zeigt die Performance der Anleihen und der dazugehörigen Leitzindizes. In den USA halten sich die Aktien- und Anleiheperformance ungefähr die Waage. In allen anderen Ländern ist man mit Anleihen deutlich besser gefahren als mit Aktien. Ganz besonders deutlich wird dies in Japan. In den vergangenen 10 Jahren war mit Anleihen eine Performance von 110 % zu erzielen. Dies beinhaltet nur den Kursanstieg und keine allfälligen Zinszahlungen.

Die Performance von Anleihen ist absolut einmalig

So erfreulich die Kurssteigerungen sind, sie sind wohl nicht besonders nachhaltig. Bei japanischen und britischen Anleihen sieht man auf den ersten Blick, dass die Preise fast senkrecht ansteigen. Es ist praktisch unmöglich, dass sich das ewig fortsetzt.

Eine sofortige Trendumkehr sollte man trotz des senkrechten Kursanstieges nicht erwarten. In vielen Ländern sind die Zinsen zwar negativ, aber sie haben immer noch Luft nach unten. Das zeigt das Beispiel Schweiz. Grafik 2 zeigt die dortige Zinskurve. Anleihen mit Laufzeiten bis 48 Jahre rentieren im negativen Bereich oder bei 0 %.


Potenzial für weiter fallende Renditen in Japan und der Eurozone gibt es noch...

...wenn man die Schweiz als Maßstab nimmt. Es können sowohl Anleihen mit längeren Laufzeiten noch in den negativen Bereich fallen, als auch kürzer laufende Anleihen mit ihren Renditen nachgeben. In der Schweiz funktionieren Renditen von -1 %, ohne dass Investoren zur Bank gehen und ihr Geld in Scheinen ausbezahlt haben wollen.
Noch vor wenigen Monaten gab es eine heiße Diskussion darüber, ob Anleger nicht in Scharen auf Bargeld umsteigen würden, wenn die Zinsen weiter fallen. Nun, was soll man sagen, außer „Nein, sie steigen nicht um.“ Die Schmerzgrenze, um auf Bargeld umzusteigen, ist anscheinend auch bei -1 % noch nicht erreicht. Zinsen können also noch weiter fallen ohne ihre Wirkung vollkommen zu verfehlen, weil Anleger Alternativen suchen.

Nach der Rally der letzten Monate ist vollkommen klar, dass die Volatilität der Renditen steigen wird. Liegt die Rendite z.B. bei 0,1 % und steigt auf 0,2 %, dann ist das ein Anstieg von 100 %. Der relative Anstieg ist gewaltig, der absolute ist mit 0,1 Prozentpunkte kaum der Rede wert. Steigende Volatilität muss jedoch nicht das Ende der immer tiefer fallenden Zinsen sein.

Ohne Zinswende, die weder in Europa noch Japan absehbar ist, fehlen die Argumente, weshalb Anleger jetzt aussteigen sollten. Vielmehr verfestigt sich die Erwartung, dass Notenbanken bei der kleinsten Unsicherheit weiter lockern, im Gegenzug in guten Zeiten jedoch die Geldpolitik kaum straffen.


Notenbanken können die Geldpolitik zumindest in Europa und Japan nicht substanziell straffen

Die Schulden sind zu hoch. Die niedrigen Zinsen sollen zwar helfen die Schulden abzubauen, doch praktisch werden die Schulden nicht reduziert, sondern steigen munter weiter.

Das einzige, was auf Sicht von Monaten bis zu zwei Jahren einen massiven Sell-off auslösen könnte, ist ein Inflationsanstieg. Dieser käme wirklich für alle – Anleger wie Notenbanken – sehr überraschend. Kommt es dazu, dann hat ein solcher Sell-off das Potential große Schockwellen um den Globus zu senden. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist minimal. Solange das so bleibt muss man sich auf weiter fallende Zinsen einstellen. Der Boden ist noch nicht erreicht.

Clemens Schmale

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Über den Experten

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Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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