Kommentar
14:00 Uhr, 13.05.2014

Wie teuer sind Aktien wirklich?

Die meisten Aktienmärkte sind nach der Rekordjagd in einen nervenzehrenden Seitwärtstrend übergegangen. Wie geht es jetzt weiter? Kommt die große Korrektur, wie immer mehr Analysten meinen? Sind Aktien zu teuer, um weiter steigen zu können?

Sind Aktien zu teuer?

Der relative Preis von Aktien lässt sich auf viele Arten bestimmen. Besonders einfach und praktisch ist aber vor allem das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Der Aktienkurs wird durch den Gewinn pro Aktie dividiert. Das resultierende Verhältnis zeigt an, wie viele Jahre lang derselbe Gewinn erwirtschaftet werden muss, um den Aktienpreis tatsächlich zu verdienen. Liegt ein Aktienkurs bei 100 und beträgt der Gewinn 10, dann ist das KGV 10. In 10 Jahren hat ein Anleger 100 verdient (sieht man mal von Steuern ab und lässt Barwertüberlegungen außen vor). Tendenziell bedeutet ein niedriges KGV, dass Aktien günstig sind. Als Anleger kann man den Kaufpreis der Aktie schneller verdienen. Bei einem hohen KGV dauert es länger. Aktien werden tendenziell als teurer empfunden.

Jetzt ist immer wieder zu hören, dass das aktuelle Bewertungsniveau eher hoch ist. Aktien werden vermehrt als teuer empfunden, weil das KGV seit dem letzten Bärenmarkt deutlich gestiegen ist. Betrachtet man das KGV des S&P 500 (Werte vor Einführung des S&P sind berechnet), dann zeigt sich tatsächlich ein erhöhtes Niveau. Vor den 1990er Jahren stieg das KGV immer nur kurzzeitig über die Marke von 20. Selbst vor der Großen Depression und der spektakulären Übertreibung hielt sich der Exzess eigentlich in Grenzen.

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Die Langzeithistorie zeigt eine gewisse Systematik. Das KGV schwankt in mehr oder minder regelmäßigen Zyklen zwischen 10 und 20 Punkten. Betrachtet man nicht die jährlichen, sondern die monatlichen Daten, dann lässt sich das noch präzisieren: Das KGV schwankt zwischen 24 und 7. Auffällig ist, dass selbst nach Platzen der Internetblase und 2009 das KGV vergleichsweise hoch blieb. Inzwischen steht es bei ca. 17.

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Ein durchschnittliches KGV von 17 ist noch nicht bedenklich. Historisch betrachtet ist noch Luft nach oben. Um das historische Korrekturniveau von 24 wieder zu erreichen, müsste der S&P bei stagnierenden Gewinnen noch 40% steigen. So gesehen sind Aktien alles andere als teuer. Wie die beiden Grafiken aber auch zeigen ist das KGV ziemlich zyklisch. Und noch etwas fällt auf: Seit 1980 scheint das KGV systematisch anzusteigen. Für beides gibt es einen Grund. Kennt man diesen Grund, dann lässt sich besser einschätzen, ob ein KGV von 17 hoch oder niedrig ist. Letztlich hängt es mehr von der Marktphase ab als vom absoluten Wert des KGV, ob Aktien als teuer oder billig empfunden werden. In den 70er Jahren konnten KGVs unter 10 keinen Anleger hervorlocken. Anders wiederum griffen Anleger Ende der 90er Jahre auch noch bei KGVs deutlich jenseits der 20er Grenze herzhaft zu. Woran liegt das?

Der Preis von Aktien ist relativ

Wie die KGV-Historie zeigt, werden Aktien je nach Marktphase unterschiedlich bewertet. Das Empfinden von teuer und billig ist also von bestimmten Faktoren abhängig. Bevor ich auf diese Faktoren zu sprechen komme, möchte ich noch eine aufschlussreiche Variante des KGV vorstellen: die Gewinnrendite. Die Gewinnrendite ist der Kehrwert des KGV. Man dividiert also nicht den Kurs durch den Gewinn, sondern den Gewinn durch den Kurs. Da es sich schlicht um den Kehrwert des KGV handelt ist die Gewinnrendite (oder GKV: Gewinn-Kurs Verhältnis) niedrig, wenn das KGV hoch ist.

Diese Darstellung finde ich sehr praktisch, weil sie die Rendite von Aktien zeigt. Renditen kann man gut vergleichen. Durch das GKV kann man die Rendite von Aktien z.B. mit der Rendite von Anleihen besser vergleichen. Aktuell werfen US Aktien durchschnittlich 5,6% Rendite ab. Das ist historisch gesehen eher am unteren Ende. Absolut gesehen ist es aber gar nicht so schlecht. Kurzfristige Anleihen bringen momentan de facto keine Rendite. Langlaufende Anleihen stehen bei 2,5 bis 3%. Bei Unternehmensanleihen sieht es je nach Bonität nicht anders aus. Selbst Ramschanleihen bringen derzeit nicht mehr als Aktien.

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Durch diesen Vergleich der Gewinnrendite mit anderen Anlageformen kann man gut nachvollziehen, weshalb Aktien tendenziell immer noch steigen. Relativ gesehen ist die Rendite gut. Nun passieren aber gerade zwei Dinge: Einerseits steigt die US Notenbank aus den Quantitative Easing Programmen aus, andererseits ist das Gewinnwachstum zuletzt abgeflacht. Ersteres bedeutet langfristig, dass die Anleihenrenditen wieder steigen, letzteres besagt, dass die Gewinnrendite auf dem aktuellen Kursniveau kaum mehr wachsen wird. Die Differenz zwischen der Gewinn- und Anleihenrendite wird kleiner. Das muss jetzt noch nicht der Todesstoß für Aktien sein. Es gibt ja durchaus nicht wenige, die sogar einen neuen, ganz großen Bullenmarkt vermuten.

Einen neuen Bullenmarkt wie zuletzt von 1980 bis 2000 gibt es sicherlich nicht ohne entsprechende Gewinnsteigerungen bei Aktien. Die Kurse von Aktien steigen nur, wenn Anleger das Gefühl haben, dass sich ihr Investment auch lohnt. Es lohnt sich letztlich nur, wenn Unternehmen auch entsprechende Gewinne ausweisen können. Bei einer Gewinnrendite von 5% kaufe ich nur, wenn ich davon ausgehe, dass der Gewinn des Unternehmens in Zukunft wachsen wird. Alles andere wäre einfach nur fahrlässig.

Nun hat sich in den vergangenen Monaten eines immer deutlicher gezeigt: Die Gewinne der Unternehmen wachsen langsamer und langsamer, die Kurse sind aber in der Zwischenzeit weiter kräftig gestiegen. Irgendjemand irrt sich da gehörig, möchte man meinen. Vergleicht man die heutige Situation mit der letzten Stagnation der 70er Jahre, dann darf man aber wieder Hoffnung schöpfen. Die Aktienkurse brachen Jahre früher nach oben aus als die Unternehmensgewinne (in der Grafik als EPS dargestellt: Earnings Per Share, Gewinn je Aktie). Die momentanen Kurssteigerungen lassen sich also mit der Zuversicht begründen, dass die Unternehmensgewinne innerhalb der nächsten Jahre kräftig zu wachsen beginnen.

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Das Gewinnwachstum darf jedoch nicht zu knapp sein. Man darf schließlich nicht vergessen, dass sich die Situation heute von damals grundlegend unterscheidet. Das Zinsniveau in den USA erreichte 1980 einen Hochpunkt. Heute erreicht es einen Tiefpunkt. Während also die Aktiengewinne noch stagnierten, sanken die Zinsen. Damit wurden Aktien relativ gesehen attraktiver, weil der Renditespread von Anleihen- zur Aktiengewinnrendite geringer wurde.

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Heute verhält es sich genau umgekehrt. Die Gewinnrendite ist bereits relativ niedrig und Renditen alternativer Anlageklassen werden attraktiver. Wenn Unternehmensgewinne weiterhin mit einem Tempo von 2 oder 3% pro Jahr wachsen, dann ist das zu wenig, um weiter steigende Kurse zu unterstützen.

Bedeutet die Zinswende eine neue Baisse?

Es ist schon eine bestechende Logik: Anleihenrenditen steigen, Gewinnrenditen stagnieren, also werden Anleihen relativ gesehen attraktiver, Aktien werden tendenziell verkauft. Das ist nicht nur logisch, sondern auch der Lauf der Dinge. Das heißt jetzt aber auch nicht, dass man das sinkende Schiff sofort verlassen muss. Die Rechnung ist letztlich dann doch ein klein wenig komplizierter. Es kommt nämlich nicht nur auf das Renditeniveau von langlaufenden Anleihen an, sondern auf die Zinskurve. Die Zinskurve zeigt die Differenz von langfristigem zum kurzfristigen Zinsniveau.

Die nächste Grafik zeigt den Zusammenhang von Zinskurve (hier: 10 jährige minus 1 jährige Zinsen) und KGV. Hier zeigen sich nun auch wunderschön die oben angesprochenen Zyklen. Ein negativer Wert der grünen Linie entspricht einer inversen Zinskurve. In einem solchen Fall sind die kurzfristigen Zinsen höher als die langfristigen. So etwas deutet sich meist vor einer Rezession an. Die Leitzinsen sind hoch und damit auch das kurzfristige Zinsniveau. Die Märkte erwarten aber zukünftig Zinssenkungen, womit sich das lange Ende der Zinskurve nach unten bewegt und es kommt zur Inversion. Inverse Zinskurven gingen Bärenmärkten recht zuverlässig voraus.

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Im Bärenmarkt bzw. einer Rezession werden die Zinsen gesenkt. Das kurzfristige Zinsniveau geht zurück, während die langfristigen Zinsen wenig nach unten gehen. Die Zinskurve ist dann sehr steil. Im Aufschwung flacht sie dann wieder ab. Zur Zeit dieser Abflachung sehen wir die größten Rallyebewegungen an den Aktienmärkten – zumindest seit 1980. Aktuell ist von einer relativ stabilen Kurve auszugehen, die sich einfach nur nach oben schiebt und weiterhin eine positive Steigung zeigt. Es gibt aber auch erste Andeutungen, dass die Renditen für langläufige Anleihen wieder fallen und die Kurve abflacht. Das wäre ein sehr negatives Signal – unter normalen Umständen. Invertieren wird die Kurve nicht, dafür sind die kurzfristigen Zinsen zu niedrig. Die Abflachung der Zinskurve, ohne die Möglichkeit zu invertieren (weil von der Notenbank so gesteuert), ist mittel- bis langfristig ein gutes Signal.

Längerfristig kommt ein anderer Faktor hinzu. Steigen die kurzfristigen Zinsen deutlich an, dann werden Aktien relativ gesehen wieder unattraktiver. Aktien bergen ja ein höheres Risiko als kurzlaufende Anleihen. Bei einer niedrigen Gewinnrendite braucht es keinen großen Zinsanstieg und Aktien erscheinen weniger interessant. Es könnte dann eine Phase wie in den 70er Jahren folgen, also Stagnation an den Aktienmärkten.

Als Fazit kann man sagen: in den USA steht eine extrem schwierige Gratwanderung an. Aktien können langfristig bei steigenden Zinsen vom aktuellen Niveau nur weiter gewinnen, wenn das Gewinnwachstum der Unternehmen deutlich zulegt. Andernfalls wird es wirklich schwierig. In Europa sieht das übrigens ganz anders aus. Kommt es wirklich zu weiterer Lockerung, dann könnten wir in Europa noch einige Jahre lang das sehen, was wir in den USA gesehen haben: eine lange Rallye, ganz besonders in den Krisenstaaten.

In den USA stehen wir, wenn es rein nach den Zinsen geht, vor einer Bewegung wie Anfang der 70er Jahre und nicht wie Ende der 70er bzw. Anfang der 80er Jahre. Die Hoffnung auf einen jahrzehntelangen neuen Bullenmarkt könnte wirklich zu früh sein. Einschränkend muss ich dazu allerdings sagen, dass die Zinswende in den USA sehr langsam verläuft. Es kann also durchaus noch 2 Jahre weitergehen wie bisher. In Europa entsprechend länger.

Beste Grüße

Clemens Schmale

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1 Kommentar

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  • oneEXITnoRETURN
    oneEXITnoRETURN

    klasse Beitrag!

    21:46 Uhr, 13.05. 2014

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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