Kommentar
16:16 Uhr, 02.06.2023

Wie die Wall Street eine Rezession austrickst

Schrumpft die Wirtschaft, schrumpfen auch Unternehmensgewinne und damit die Kurse. Dieses Mal könnte es anders sein.

Ob die USA noch in diesem Jahr in eine Rezession rutschen, bleibt abzuwarten. Vieles deutet darauf hin. Ein Hinweis ist die Entwicklung der Unternehmensgewinne. Diese erreichten in den USA vor einem Jahr ein Hoch bei 3,04 Billionen USD. Im ersten Quartal 2022 sind sie weiter zurückgegangen und stehen nun bei 2,66 Billionen.

Die Gewinnmarge aller Unternehmen in den USA ist stark gefallen. Während die Gewinne fielen, stiegen die Umsätze. Die hohe Inflation machte dies möglich. Auf der Kehrseite der höheren Umsätze steht nicht nur die tiefere Gewinnmarge, sondern auch das Kernproblem, welches mit hoher Inflation assoziiert wird. Viele Unternehmen können die höheren Kosten nicht weitergeben, sodass die Margen eben sinken.

So schnell wie die Margen in den vergangenen Quartalen gefallen sind, sollte eine Rezession in der Theorie kurz bevorstehen. Fallende Margen deuten Rezessionen an und Rückgänge wie den aktuellen gibt es praktisch ausnahmslos während eines Abschwungs (Grafik 1).

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Trotz allem steigen die Kurse an den Börsen. Das passt auf den ersten Blick nicht zusammen. Es gibt aber zwei Gründe, weshalb die Kurse steigen können, obwohl Ungemach droht. Zum einen sind die Prognosen optimistisch. Nachdem die Gewinne von S&P 500 Unternehmen mehrere Quartale gefallen sind, zeigt der Trend inzwischen wieder nach oben. Die Prognosen sehen eine Beschleunigung des Gewinnwachstums vor. Ich bezweifle, dass es eine Beschleunigung gibt. Die Vorhersagen sind systematisch zu optimistisch. Dafür ist es nicht unplausibel, dass sich der positive Trend seit Ende 2022 fortsetzt (Grafik 2).

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Die Gesamtwirtschaft steckt noch inmitten einer Gewinnrezession. Große, börsennotierte Unternehmen tun dies nicht. Das zeigt sich anhand des Vergleichs der Margenentwicklung. Diese fällt in der Gesamtwirtschaft, bei börsennotierten Unternehmen steigt sie wieder an (Grafik 3).

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Große Unternehmen haben mehr Preissetzungsmacht. Schrumpfende Gewinne in der Gesamtwirtschaft gehen zu Lasten der kleineren Unternehmen. Die Wall Street (börsennotierte Unternehmen) hat zudem den Rotstift früh angesetzt. Seit mehreren Quartalen werden allein bei Technologieunternehmen hunderttausende Stellen gestrichen.

Im Normalfall führt so etwas zu einem Teufelskreis. Erst flacht das Wirtschaftswachstum ab und die Margen sinken. Um die Margen zu stärken, wird gespart. Die Arbeitslosigkeit steigt und mit ihr sinkt die Nachfrage. Unternehmen verdienen weniger und sparen noch mehr usw.

Bisher hat der Teufelskreis nicht begonnen. Arbeitskräftemangel in vielen Bereichen und dazu hohe Rücklagen aus den Pandemiejahren hebeln die normale Entwicklung teilweise aus. So können börsennotierte Unternehmen ihre Margen wieder steigern, ohne einen Teufelskreis in Gang zu setzen. Dies kann in diesem Konjunkturzyklus sogar funktionieren, wenn die Wirtschaft insgesamt stagniert oder leicht schrumpft. Börsennotierte Unternehmen könnten eine Rezession dieses Mal austricksen, sprich, ohne Gewinneinbruch davonkommen.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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