Kommentar
16:26 Uhr, 18.10.2018

Wie der Fiskus um 55 Mrd. Euro betrogen wurde

Durch sogenannte Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte haben Banken und Großanleger Deutschland und andere Staaten in Europa um mindestens 55,2 Milliarden Euro geprellt. Wie die "steuergetriebenen Aktiengeschäfte" funktioniert haben, erfahren Sie in diesem Artikel.

Die europäischen Steuerzahler sind über viele Jahre durch sogenannte "steuergetriebene Aktiengeschäfte" um einen Betrag von insgesamt 55,2 Milliarden Euro betrogen worden. Der Schaden durch die sogenannten Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte für die Steuerzahler ist damit noch deutlich größer als bisher bekannt war, wie Recherchen von insgesamt 19 Medien aus 12 Ländern unter Führung des Recherchezentrums CORRECTIV ergeben haben. Die Ergebnisse der Recherchen sind ab heute unter "The CumEx Files" im Internet abrufbar.

Bei den sogenannten Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäften haben sich Großanleger und Banken die bei Dividendenausschüttungen anfallende Kapitalertragssteuer zu Unrecht erstatten lassen. Dazu wurden milliardenschwere Aktienpakete rund um den Dividendenstichtag hin- und hergeschoben.

Wie haben die einzelnen Geschäfte konkret funktioniert?

  • Cum-Cum-Geschäfte: Werden Dividenden ausgeschüttet, so wird darauf Kapitalertragsteuer fällig. Inländische Anleger können sich diese Steuern allerdings unter bestimmten Bedingungen erstatten lassen, zum Beispiel da bei Unternehmen Kapitalerträge im Rahmen der Gewinn- und Verlustrechnung versteuert werden müssen und es ohne die Erstattung bzw. Anrechnung zu einer Doppelbesteuerung kommen würde. Um diese Doppelbesteuerung zu vermeiden, bekommen die inländischen Anleger eine entsprechende Bescheinigung für eine Steuergutschrift. Diese Bescheinigung steht nur inländischen Anlegern zu. Bei den Cum-Cum-Geschäften haben nun ausländische Anleger ihre Aktien kurz vor dem Dividendenstichtag an einen Finanzdienstleister in Deutschland verliehen. Dieser bekam die entsprechende Steuerbescheinigung, deren Wert sich anschließend der Finanzdienstleister mit dem ausländischen Anleger geteilt hat. Ob die Cum-Cum-Geschäfte illegal sind, ist umstritten. Die meisten Steuerexperten gehen aber davon aus, dass die Geschäfte illegal sind, wenn sie ausschließlich durchgeführt werden, um dadurch Steuern zu sparen.
  • Cum-Ex-Geschäfte: Bei den Cum-Ex-Geschäften haben Anleger sich eine einmal gezahlte Kapitalertragssteuer doppelt bescheinigen und in Form einer Steuergutschrift auszahlen lassen. Dies war möglich, weil bei gedeckten Leerverkäufen rund um den Dividendenstichtag sowohl der ursprüngliche Inhaber, der seine Aktie verliehen hat, als auch der Käufer des Leerverkäufers eine Bescheinigung über eine gezahlte Steuer bekommen konnten, obwohl die Steuer nur einmal bezahlt wurde. Cum-Ex-Geschäfte sind nach Auffassung der Bundesregierung illegal, einige Banken, die in diese Geschäfte verwickelt waren, halten sie aber durchaus für legal. Letztlich werden die Gerichte im Einzelfall entscheiden müssen, ob es sich bei den Cum-Ex-Geschäften um Straftaten gehandelt hat oder nicht.

Neben den oben beschriebenen Cum-Cum- und Cum-Ex-Geschäften in Reinform gibt es noch zahlreiche Mischformen und Varianten. Häufig wurden die Deals bewusst sehr komplex gestaltet, um die Tatsache zu verdecken, dass Steuerbescheinigungen zu Unrecht eingefordert wurden.

Der Schaden für die europäischen Staaten ist jedenfalls riesig. Wie aus den "CumEx‐Files" hervorgeht, beläuft sich der Schaden europaweit auf 55,2 Milliarden Euro. Allein dem deutschen Fiskus sind zwischen 2001 und 2016 mindestens 31,8 Milliarden Euro entgangen, wie der renommierte Steuerprofessor Christoph Spengel von der Universität Mannheim berechnet hat. Laut "CumEx‐Files" kam es durch die "steuergetriebenen Aktiengeschäfte" in Frankreich zusätzlich zur Steuervermeidung in Höhe von 17 Milliarden Euro, in Italien in Höhe von 4,5 Milliarden Euro, in Dänemark in Höhe von 1,7 Milliarden Euro und in Belgien in Höhe von 201 Millionen Euro. Ein Teil der Steuern musste allerdings bereits nachgezahlt werden. Steuerexperte Spengel spricht in der Pressemitteilung zu den "CumEx‐Files" vom "größten Steuerraub in der Geschichte Europas". Besonders skandalös ist auch, dass die Bundesregierung spätestens seit 2002 über die Deals zur Steuervermeidung Bescheid wusste, die europäischen Nachbarländer aber erst 2015 über eine OECD-Datenbank vor Cum-Ex-Geschäften gewarnt hat.

Spätestens mit dem Inkrafttreten des Investmentsteuerreformgesetz am 1. Januar 2018 funktionieren Cum-Cum-Geschäfte nicht mehr, weil nun inländische und ausländische Anleger steuerlich gleich behandelt werden. Cum-Ex-Geschäfte sind schon seit mehreren Jahren nicht mehr möglich. Allerdings haben Finanzdienstleister und Beratungsunternehmen offenbar längst neue Steuerschlupflöcher gefunden. Nach den Recherchen von "CumEx‐Files" gehen die Geschäfte zulasten der europäischen Steuerzahler in Form neuer "steuergetriebener Aktiengeschäfte" munter weiter.


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12 Kommentare

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  • Lonzo
    Lonzo

    Na ja, diese Problematik war in der Politik über Jahre bekannt. Geschehen ist lange Zeit wenig bis nichts. "Allein dem deutschen Fiskus sind zwischen 2001 - 2016 min. 32 Mrd. Euro entgangen.

    Man könnte das auch als Untreue, bzw. Beihilfe bezeichnen. Wie soll da ein Strafmaß formuliert werden und für wen?

    10:12 Uhr, 19.10. 2018
    1 Antwort anzeigen
  • shark
    shark

    Das Krebsgeschwür unserer Zeit.insbesondere der letzten 20 Jahre, sind die Banken.

    Zum Einen muss man sie permanent retten zum Anderen betrügen sie den Staat und auch ihre Kunden wo es nur geht!

    Und Teile der Politik stehen ihnen dabei sogar hilfreich zur Seite !

    09:05 Uhr, 19.10. 2018
  • MrTight
    MrTight

    es ist halt nur ein Wurstvorrat ...

    ... und damit Gammelfleisch in Bälde

    22:20 Uhr, 18.10. 2018
  • Sideliner
    Sideliner

    Heute ist es ein tolles Recherche-Netzwerk welches die Dinge aufdeckt. Dabei hat Schäuble noch als Finanzminister zugegeben, daß es ein ungeregeltes Schlupfloch ist - und anschließend versäumt es zu stopfen.

    Bei Diesel ist es übrigens ähnlich. Die Verbrauchswerte waren jedermann als geschönt bekannt, also stimmten auch die Abgaswerte nicht. Getan hat der Staat dasselbe wie bei CumEx: Bewusst weggeschaut und laufenlassen.

    Die Nachrichtenlage ist leider sensationsheischend und oberflächlich und lenkt von denen ab, die rechtzeitig hätten einschreiten sollen und müssen. Diese Leute wiederum schreien nach EU-weiter Regelung. Das riecht danach, daß man dasselbe Spiel noch einmal, eine Nummer größer, weitertreiben möchte.

    20:36 Uhr, 18.10. 2018
  • Hajp
    Hajp

    Freut mich immer wieder zu lesen wie Leute diese "Robin-Hood" Mentalität unterstützen mit Märchen aus der Vergangenheit - so richtige Nibelungensagen. Nur mit einem markanten Unterschied: profitiert hat nicht die Mehrheit oder die Ärmsten wie damals... sondern mehrheitlich die Reichsten der Reichen.

    18:45 Uhr, 18.10. 2018
  • kingmidas
    kingmidas

    Und jetzt bitte noch einen Aufstand in den Medien wenn das Finanzamt das Geld der Steuerzahler an der Börse verspekuliert. Wird dann auch vom Betrug am Steuerzahler gesprochen?

    Der Staat Betrügt an allen Ecken und Enden, damit meine ich nicht die Steuern die für die Infrastruktur fällig sind, ohne diese funktioniert kein Staat, aber es gibt so viele kriminelle Projekte wo Geld verbrannt wird, dass man nur noch kotzen möchte. Der BER Flughafen ist das beste beispiel. Ursprünglich damals mit ca. 1 Mrd. geplant, wirds wohl auf ca. 6 Mrd hinauslaufen. Wer da noch nicht begriffen hat, dass das Betrug am Steuerzahler im Großen Stil ist, der hat einfach nicht begriffen.

    18:41 Uhr, 18.10. 2018
  • wurstvorrat_des_hundes
    wurstvorrat_des_hundes

    „wie der fiskus um 55 mrd. euro betrogen wurde“ bzw. „wie der europäische steuerzahler über viele jahre betrogen wurde“ …das muss man sich mal auf der zunge zergehen lassen … der gewaltmonopolist „staat“ treibt mittels zwang und unter gewaltandrohung von
    seinen untertanen (bürger und unternehmen) einen großteil ihres erwirtschafteten ertrages/eigentums ein, euphemistisch „steuern“ genannt, was jedoch nichts anderes als raub ist (im mittelalter als schutzgeld bezeichnet – damals haben die untertanen wenigstens
    noch einen erkennbaren gegenwert dafür erhalten) und wenn sich der beraubte „steuerzahler“ dagegen wehrt, betrügt er sich selbst bzw. der pate (staat) wird betrogen, also der schutzgelderpresser hat zu wenig schutzgeld vom schutzgeldpflichtigen erhalten …
    orwell in perfektion, auch bei godmode … "Krieg ist Frieden - Freiheit ist Sklaverei - Unwissenheit ist Stärke" ... und die linksgedrehten neosozialisten auch hier bei godmode bekommen wieder schnappatmung, wie nicht anders zu erwarten, wie erbärmlich ...

    17:35 Uhr, 18.10. 2018
    1 Antwort anzeigen
  • Hajp
    Hajp

    Absoluter Wahnsinn! Reinster Betrug am Staat und deren Steuerzahler. Ich hoffe die Verantwortlichen werden mit vollster Härte zur Rechenschaft gezogen. Hier wurden bewusst zusätzliche Aktionen gesetzt um finanzielle Mittel auf betrügerische Art zu lukrieren... wir reden hier nicht von der Unwissenheit ein paar Kleinkriminellen sondern Finanzprofis die ihr Handwerk verstehen!

    17:30 Uhr, 18.10. 2018
  • While E. Coyote
    While E. Coyote

    geprellt ist eins zu viel, ein Schlupfloch haben sie genutzt und das ist maximal nur moralisch vorwerfbar

    16:51 Uhr, 18.10. 2018

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Über den Experten

Oliver Baron
Oliver Baron
Experte für Anlagestrategien

Oliver Baron ist Finanzjournalist und seit 2007 als Experte für stock3 tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit Anlagestrategien, der Fundamentalanalyse von Unternehmen und Märkten sowie der langfristigen Geldanlage mit Aktien und ETFs. An der Börse fasziniert Oliver Baron besonders das freie Spiel der Marktkräfte, das dazu führt, dass der Markt niemals vollständig vorhersagbar ist. Der Aktienmarkt ermöglicht es jedem, sich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen der Welt zu beteiligen und so langfristig Vermögen aufzubauen. In seinen Artikeln geht Oliver Baron u. a. der Frage nach, mit welchen Strategien und Produkten Privatanleger ihren Börsenerfolg langfristig maximieren können.

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