Kommentar
16:28 Uhr, 21.04.2016

Wie beim Auto - Frühjahrs-Check der Kapitalmärkte

Da sich der jahresanfängliche Nebel der Unsicherheit an den Finanzmärkten gelichtet hat, ist es Zeit für eine fundamentale Neueinschätzung. Vom Rohölpreis, der seinen Boden endgültig gefunden hat, gehen trotz einer disziplinlosen OPEC keine großen Gefahren mehr für Schwellenländer und Aktienmärkte aus. US-Aktien dienen als sicherer Anlagehafen, die gegenüber einem sklerosen Europa von einer vergleichsweise hohen politischen Stabilität und einem freundlichen Investitionsnährboden profitieren. Immerhin wird die EZB weiter alles unternehmen, um die Eurozone mit ihrer Pattex-ähnlichen Geldpolitik zusammenzuhalten. Das sich allmählich bessernde weltwirtschaftliche Umfeld kommt dem Industrieland Deutschland zugute. Insgesamt haben Aktien Frühlingsgefühle.

Der Ölpreis hat seinen konjunkturellen Schrecken verloren
Der ruinöse Preiskampf um Marktanteile beim Rohölverkauf zwischen den Erzfeinden Saudi-Arabien und Iran verhindert eine dem Allgemeinwohl der OPEC dienende Einfrierung der Ölförderung. Damit schadet die OPEC nicht nur ihrer Glaubwürdigkeit, sondern auch ihrer zukünftigen Preissetzungsmacht. Sie ist kein Tiger mehr. Man kann ihn zwar noch tanken, aber beißen kann er nicht mehr. Nach der letzten Öl-Rallye sind insofern nachgebende Notierungen grundsätzlich möglich. Eine markante Preisschwäche droht jedoch nicht. Die spekulativen Netto-Long Positionen am Rohöl-Terminmarkt sind deutlich angestiegen.

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Offensichtlich ist außerhalb der OPEC so viel wirtschaftliche Vernunft vorhanden, nicht zu jedem Preis Öl zu fördern, siehe die USA.

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Zudem geben die abebbende Zinserhöhungsrhetorik der Fed und damit verbunden die Schwächung des US-Dollars - die US-Währung und Rohstoffe entwickeln sich üblicherweise gegenläufig - dem Ölpreis Auftrieb.

Umgekehrt ist über eine weltkonjunkturelle Erholung aber auch kein deutlicher Preisanstieg zu erwarten. Denn die alternative Fördermethode Fracking, die spätestens ab Ölpreisen von 60 Dollar pro Barrel wieder lukrativ wird, wirkt wie ein massiver charttechnischer Widerstand. (Eine detailliertere Ausführung zum Thema „Öl“ finden sie in der Rubrik „Halvers Kolumne“ in diesem Produkt)

Brasilien - Neue politische Besen würden gut kehren
Trotz einer schweren Rezession befinden sich brasilianische Aktien seit ihrem 7-Jahres-Tief im Januar mit Kursgewinnen von über 40 Prozent eindeutig im Bullenmarkt. Der rohstofflastige Bovespa-Aktienindex, in dem zu rund 40 Prozent Öl-, Stahl- und Industriemetall-Titel vertreten sind, profitiert eindeutig von der Preisstabilisierung bei Rohstoffen.

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Damit stehen Brasilien und sein Aktienmarkt aber nur auf einem Bein. Die aktuelle Präsidentin Dilma Rousseff hat es grob fahrlässig verpasst, die satten Einnahmen aus der früheren Zeit hoher Rohstoffpreise zur Modernisierung der Infrastruktur und zum Aufbau einer breiter aufgestellten Volkswirtschaft zu verwenden.

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Das Land braucht zugleich eine marktwirtschaftliche Revolution und ein Bekenntnis zur Wettbewerbsfähigkeit, um nachhaltig wachsen zu können. Ansonsten bleiben das Land und sein Aktienmarkt ein willfähriger Spielball der Rohstoffpreisentwicklung. In diesem Zusammenhang sollte die aktuelle Staatskrise um die Amtsenthebung von Präsidentin Rousseff nicht nur als Risiko, sondern auch als Chance begriffen werden. Offen gesprochen gehörte ein wirtschaftsfreundlicher Amtsnachfolger zum Besten, was Brasilien passieren könnte.

Die USA betreiben knallharte Wirtschaftspolitik, nicht Stabilitätsmoralismus
Auch am Aktienmarkt genießt Amerika safe haven-Qualitäten. Schon aufgrund ihrer geographischen Lage sind die USA von den aktuellen geopolitischen Krisenfaktoren weniger betroffen. Daneben sorgen in Europa ausbleibende Lösungen in puncto Terrorbekämpfung oder Flüchtlingskrise für Zerfallserscheinungen, die in einem fatalen Austritt Großbritanniens aus der EU ihren vorläufigen politischen Höhepunkt finden könnten.

Im Übrigen hat sich mittlerweile selbst die üppigste Geldpolitik der EZB als unfähig, ja geradezu ohnmächtig erwiesen, die hartnäckige Konjunkturkrise der Eurozone zu mildern. Denn bislang gelingt es der EZB nicht, die Kreditvergabe in der Eurozone an Unternehmen und Haushalte nennenswert zu stabilisieren. Trotz Notenbankzinsen von 0,0 Prozent, negativen Einlagezinsen und einer sintflutartigen Liquiditätsschwemme scheuen die Banken aus Gründen einer ausbleibenden Strukturreformpolitik und aufsichtsrechtlicher Drangsalierung das Eingehen von Kreditrisiken. Damit verdurstet die Realwirtschaft in der liquidesten Finanzmarktausstattung aller Zeiten.

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In Europa fehlt das passende Gegenstück, das die USA haben: Wettbewerbs- bzw. Reformfähigkeit. Somit können die USA mit einer Renaissance als Industrie- und Exportnation ihren Wirtschaftsmakel als reine Konsumnation zunehmend ablegen.

Im Vergleich zur Eurozone hat die US-Kreditwirtschaft deutlich positiver auf die freizügige Zins- und Liquiditätspolitik der Fed reagiert. Zudem hat eine sich weniger an Stabilitätsmoral, dafür mehr an Wachstum interessierte US-Wirtschaftspolitik den Bankensektor nicht wie Europa überreguliert. Im Gesamtergebnis hat sich das private Kreditvolumen deutlich erhöht.

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GRAFIK DER WOCHE
Relative Gewinn- und Wertentwicklung US- zu Aktien der Eurozone

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EZB hält sich zurück, vorerst
Aufgrund des ernüchternden Erfolgs der qualitativen und quantitativen Liquiditätsmaßnahmen der EZB bezüglich Deflationsbekämpfung, Konjunkturbeschleunigung und Euro-Abwertung wird die EZB an ihrer geldpolitischen Großoffensive grundsätzlich festhalten. Auf ihrer kürzlichen Sitzung hat sie jedoch keine neuen Maßnahmen beschlossen, was auch nicht erwartet wurde. Mit der Betonung einer anhaltend prekären Wirtschaftslage - „downside risks persist“ - sind ab Mitte des Jahres jedoch weitere zins- und liquiditätspolitische Schritte möglich. Dabei ficht die EZB die massive Kritik vor allem aus der Politik in Deutschland wenig an. Sie weiß die Mehrheit der angeschlagenen Euro-Staaten auf ihrer Seite: Ohne EZB wären sie längst an Überschuldung gescheitert. Aber die EZB weiß auch, dass die Politik in Berlin weiß, dass der ausgeglichene und sogar mit Überschüssen ausgestattete deutsche Staatshaushalt nicht einer wirtschaftsstimulierenden Wirtschafts- und Finanzpolitik, sondern dem geldpolitischen Drücken der deutschen Schuldzinsen geschuldet ist. Wer in Berlin will denn auf diese Schlaraffenland ähnliche Politik der EZB - abseits von wahlpopulistischen Lippenbekenntnissen - tatsächlich verzichten?

Ohne Reformpolitik wird der billige Geldregen der EZB auch zukünftig nicht auf fruchtbaren Boden fallen. Anstatt sich also über die Geldpolitik zu beschweren - die ohne Zweifel mit Blick auf die Altersvorsorge und die Ertragslage von Versicherungen fatal ist - sollten die Politiker der Euro-Staaten den eigenen Vorgarten aufräumen und ihre Hausaufgaben machen. Denn je mehr sich die Wirtschaftspolitik regt, umso weniger muss sich die Geldpolitik bewegen.

Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung - An den kargen Knochen der Liquiditätshausse deutscher Aktien kommt fundamentales Fleisch
Die Risikofaktoren für deutsche Aktien aus dem I. Quartal haben deutlich an Brisanz verloren. Höhere Rohstoffpreise stärken die Kaufkraft der Schwellenländer zugunsten der deutschen Exportindustrie. Für eine Beruhigung der deutschen Anlegerpsychologie sorgt vor allem die Entspannung der Krisenängste um die chinesische Volkswirtschaft, die ebenso mit dem geldpolitischen Zuschlaghammer in die richtige Form gebracht wird. Im besonderen Fokus steht dabei die Stabilisierung des Shanghai Composite Aktienindex, der von ausländischen Investoren in Ermangelung aussagekräftiger, weil staatlich geschönter chinesischer Konjunkturdaten als Näherungslösung eines Konjunkturbarometers herangezogen wird.

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Selbst den erstarkten Euro können deutsche Aktien gut parieren, der abseits des mentalen Kopfkinos der Anleger in der Realität ohnehin ein weniger starker Belastungsfaktor ist. Kaum eine Volkswirtschaft ist währungselastischer als die deutsche. Insgesamt werden sich damit auch die zuletzt verhaltenen Gewinnperspektiven der deutschen Industrie aufhellen.

Selbst die neuerlichen Verhandlungen von Griechenland und der Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission über die Auszahlung der nächsten Tranche des Hilfspakets lassen die Aktienmärkte ziemlich kalt. Um einem - grundsätzlich unausweichlichen - Schuldenschnitt zunächst zu entgehen, wird man sich auf eine für alle Seiten gesichtswahrende Lösung einigen, die die Probleme nach altbekannter europäischer Methode zurechtbiegt: Da Athen bei seinen Spar- und Reformmaßnahmen massiv in Verzug ist, werden zusätzliche Reformschritte durch die griechische Politik sozusagen „auf Vorrat“ produziert, die dann in Kraft treten, wenn - wie zu erwarten - die ursprünglich geplanten Anstrengungen bis 2018 nicht umgesetzt wurden. Und genau dieser Vorratsbeschluss soll die Gegenleistung für neue Finanzmittel der Troika sein.

Was nicht passt, muss eben passend gemacht werden. Denn in der augenblicklich angeschlagenen Situation in Europa könnte eine Wiederauflage der Grexit-Diskussion wie im Vorjahr zu einem Steilpass für einen Brexit geraten, der politisch unkalkulierbar weiter in Europa streuen könnte. Nicht zuletzt ist Griechenland als Frontstaat bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise viel zu bedeutend. Oder anders ausgedrückt: Alexis Tsipras hat aktuell mehr Macht als Angela Merkel und Wolfgang Schäuble zusammen.

Saudi Arabien hat gedroht, bei weiterer amerikanischer Anschuldigung, das Land könnte an der Finanzierung der Terroranschläge vom 11. September 2001 beteiligt gewesen sein, seine Anlagen in US-Staatspapieren in Höhe von 750 Mrd. Dollar zu veräußern. Doch Ängste vor einem Schock am US-Anleihemarkt sind grundsätzlich nicht angebracht. Denn erstens müssten die Saudis den Gegenwert in vermutlich geringer verzinslichen Anleihen anlegen. Und zweitens würde die US-Notenbank umgehend ein dann viertes Anleiheaufkaufprogramm beschließen, dass die saudischen Verkäufe vollständig und schmerzfrei kompensiert.

Vor diesem insgesamt positiv geläuterten politischen und konjunkturellen Hintergrund wächst der Risikoappetit der Anleger am deutschen Aktienmarkt. Hierbei unterstützen gleichfalls die positiven ZEW-Konjunkturdaten. Im Vergleich zu den ifo Umfragen, bei denen Unternehmen ihre Konjunkturmeinung widergegen, sind die vom ZEW befragten Analysten zwar regelmäßig weniger optimistisch. Da ihre Konjunkturerwartungen aber deutlich angestiegen sind, gewinnt die Einschätzung einer konjunkturellen Erholung deutlich an Breite. Nicht zuletzt gewinnen deutsche konjunktur- und exportsensitive Aktien gegenüber Defensivtiteln bereits im Trend wieder an relativer Stärke.

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Charttechnik DAX und Euro Stoxx 50 - Die Stärke kehrt zurück
Aus charttechnischer Sicht wartet im DAX auf dem Weg nach oben der nächste Widerstand bei 10.485 Punkten. Die kurzfristig überkaufte Lage deutet jedoch auf eine mögliche Konsolidierung hin, die bei 10.321 auf eine erste Unterstützung trifft. Wird die Marke unterschritten, bieten die nächsten Haltelinien bei 10.294, 10.123 und 9.895 Punkten Unterstützung. Darunter treten die nächsten Haltelinien bei 9.753 Punkten und an der unteren Begrenzung des Aufwärtstrendkanals bei derzeit 9.725 in das Blickfeld der Anleger.

Im Euro Stoxx 50 ist weiteres Aufwärtspotenzial gegeben, wenn die Widerstände bei 3.137 und 3.200 Punkten überwunden werden. Ungemach droht dagegen, wenn der Index die Unterstützungszone zwischen 3.090 und 3.063 unterschreitet. Wird die darunter liegende Haltelinien bei 2.990 signifikant unterschritten, muss mit weiteren Abgaben bis zur Auffangzone zwischen 2.950 und 2.930 gerechnet werden. Darunter verlaufen Unterstützungen bei 2.800 und 2.756 Punkten.

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    Kasnapoff

    Woher nehmen Sie ihren Optimismus bezüglich Amerika Herr Halver??? Die Einzelhandelsumsätze sind eine einzige Lachnummer. Nur die MC-Jobs nehmen zu. Im Gegenzug schickt Intel 12000 hochbezahlte Fachkräfte in die Wüste, die haben künftig den ganzen Tag Zeit vom amerikanischen Traum zu träumen. Obama schwadroniert zwar reflexartig von einer boomenden Wirtschaft, aber das 1. Quartal geht voraussichtlich voll in die Grütze und wahrscheinlich auch das zweite Quartal. Denn nach dem wärmsten Winter in den vergangenen 120 Jahren, werden die Buchhalter der US-Wirtschaft vergeblich auf einen Nachholeffekt wie in 2015 warten.

    Die großen Hütchenspieler der Welt haben gegenwärtig alle Hände voll zu tun, das Spiel am laufen zu halten. Falls das Duo Abe & Kuroda Pech hat, könnte den Japanern die zweifelhafte Ehre zuteil werden, zu Entdecken, das unter keinem Hütchen eine Kugel zu finden ist

    22:51 Uhr, 21.04. 2016