Nachricht
10:02 Uhr, 12.07.2013

Weshalb korrigieren die Märkte?

Zürich (BoerseGo.de) - Die vergangenen Wochen haben uns erneut vor Augen geführt, welche Macht die US-Notenbank über die Finanzmärkte hat. Der eindeutige Hinweis der Federal Reserve (Fed), man werde in nicht allzu ferner Zukunft die Anleihekäufe allmählich drosseln, schickte die Aktien- und Anleihekurse auf Talfahrt. Was im Mai als gesunde Korrektur begonnen hatte, entwickelte sich seit Mitte Juni aus Angst vor einer Kreditverknappung in China in allen Anlageklassen zu einem Kursverfall auf breiter Front. Die sozialen Unruhen in Brasilien und der Türkei verschlechterten die Stimmung zusätzlich. Bei der letzten Prüfung unserer gesamten Positionen haben wir uns daher für eine Erhöhung der Cash-Bestände entschieden, wie Christophe Bernard, Chefstratege bei der Bank Vontobel in einem Marktkommentar vom 4. Juli schreibt.

Die Kommentare der Fed signalisierten eine robuste US-Wirtschaft mit einem „vernünftigen“ Beschäftigungszuwachs, einem florierenden Häusermarkt und der Fähigkeit, den negativen Folgen automatischer Ausgabenkürzungen und höherer Einkommensteuern zu trotzen. Nachdem der Vorsitzende der Fed, Ben Bernanke, im Mai signalisiert hatte, dass das unkonventionelle Liquiditätsprogramm (Quantitative Easing, QE) nicht für die Ewigkeit bestimmt sei, sprach er deutliche Worte: Auf der Fed-Sitzung am 19. Juni skizzierte er einen klaren Zeitplan für den Abbau von QE3 mit der ersten Jahreshälfte 2014 als möglichem Enddatum, falls sich die Konjunktur gemäß der (optimistischen) Prognosen der US-Zentralbank entwickle. „Nach unserer Einschätzung waren sich der Fed-Vorsitzende und seine Kollegen nicht bewusst, wie stark und rasch die Treasury-Renditen auf diese Ankündigung steigen würden. Ein nachhaltiger Renditeanstieg dürfte die Erholung der zinsempfindlichen Sektoren wie etwa die Automobilindustrie und den Wohnungsmarkt beeinträchtigen“, so Bernard.

Das Liquiditätsangebot in China dürfte empfindlich zurückgehen. Die entschlossenen Maßnahmen der chinesischen Politiker gegen das exzessive Kreditwachstum schlügen sich in einem deutlichen Anstieg des Einmonats-Interbanken-Zinssatzes auf zwölf Prozent (bei einem Ausgangsniveau von rund drei Prozent) nieder. Obwohl die People's Bank of China (PBOC) Liquidität bereitgestellt habe, um eine Kreditverknappung kurzfristig zu überbrücken, sei dies ein Schuss vor den Bug der Banken, die leichtfertig Kredite für Projekte mit zweifelhaftem wirtschaftlichem Nutzen vergeben: Die schönen Tage des von der Währungsbehörde bereitgestellten billigen und unbegrenzten Geldes seien vorüber. Angesichts des Umfangs der seit Beginn der Finanzkrise (2008) vergebenen Kredite ließen sich die Wachstumsaussichten für die chinesische Wirtschaft nicht als rosig bezeichnen, so der Vontobel- Chefstratege.

„Im Klartext: Langfristig wirken sich die Maßnahmen günstig aus, denn das derzeitige chinesische Wirtschaftsmodell ist nicht nachhaltig. Zwar haben sie zwischenzeitlich weit reichende Konsequenzen für Sektoren, die in den vergangenen fünf Jahren massiv vom chinesischen Wachstum profitiert haben, so etwa Rohstoffe, Bergbau und Luxusgüter. Außerdem müssen sich Länder, die in großem Stil nach China exportieren, wie Australien, Brasilien oder Chile, auf ein weniger günstiges Umfeld einstellen. Doch die Anpassungen der chinesischen Geldpolitik haben einen positiven disinflationären Effekt und lassen – bei unveränderten Rahmenbedingungen – den Zentralbanken in der Zukunft einen größeren Spielraum, ihre lockere Geldpolitik fortzusetzen“, so Bernard.

Möglicherweise sei aufgrund der potenziell schwächeren geldpolitischen Anreize in den USA sowie der effektiven Straffung der Kreditvergabebedingungen in China mit einem globalen Schneeballeffekt zu rechnen. Außerdem präsentiere sich das finanzielle Umfeld in den maßgeblichen Schwellenländern mittlerweile unfreundlicher mit negativen Konsequenzen für die kurzfristigen Konjunkturperspektiven. Die sozialen Spannungen in der Türkei und Brasilien dürften die Stimmung ebenfalls kaum aufheitern, heißt es.

„Die jüngsten Entwicklungen veranlassen uns, die Cash-Position in unseren Portfolios auszubauen. Wir haben unsere Empfehlung für risikobehaftete Anlagen von ‚Übergewichten‘ auf ‚Neutral‘ geändert, indem wir die Engagements in Aktien und Lokalwährungsanleihen aus den Schwellenländern verringerten. Falls die Konjunktur an Schwung verliert, ist wohl mit einer Reaktion der Zentralbanken zu rechnen; dennoch bevorzugen wir derzeit ein etwas vorsichtigeres Vorgehen. Trotzdem sind wir nach wie vor in vernünftigem Ausmaß in den Märkten engagiert, allerdings mit einem höheren Maß an Flexibilität“, so Bernard.

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen

Das könnte Dich auch interessieren

Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

Mehr Experten