Fundamentale Nachricht
12:46 Uhr, 24.06.2019

Werden die Türkei und Argentinien die Emerging Market-Rally 2019 verderben?

Die Schwächen der Türkei und Argentiniens haben sich Jupiter-Fondsmanager Alejandro Arevalo zufolge über Jahre aufgebaut und Stärke lasse sich, wenn überhaupt, auch erst über Jahre hinweg wieder aufbauen.

London (GodmodeTrader.de) - Die derzeitige Marktstimmung gegenüber Schwellenländeranleihen (EM-Anleihen) lässt sich grob zweiteilen: in strukturelle und taktische Sichtweisen. Dieses Jahr begann damit, dass sich Marktteilnehmer sehr stark auf eine taktische Sichtweise konzentrierten – das Ergebnis der Handelsbeziehungen zwischen den USA und China, wie Alejandro Arevalo, Fondsmanager des Jupiter Global Emerging Markets Corporate Bond und des Jupiter Global Emerging Markets Short Duration Bond bei Jupiter Asset Management, in einem Marktkommentar schreibt.

Ursprünglich sei der Begriff „Handelskrieg“ genutzt worden, um diese Beziehung zu beschreiben. Dieser habe sich dann in eine „Handelsruhe" verwandelt, als die Beziehung zwischen den beiden Ländern aufgetaut sei, bis hin zu „Handelsgesprächen" – inmitten von Anzeichen für Fortschritte bei einem Abkommen, heißt es weiter.

„Angesichts der Tatsache, wie sehr sich die Rhetorik von Woche zu Woche ändern kann, glauben wir an einen vorsichtigen Ansatz. So können wir unseren Portfolios helfen, widerstandsfähig gegen Schlagzeilen zu sein, anstatt zu versuchen, starke Ansichten über die Handelsfrage selbst zu vertreten. Wir ziehen es vor, nicht das Risiko einzugehen, in einer Woche Recht zu haben und in der nächsten Woche schnell falsch zu liegen“, so Arevalo.

Ein Beispiel dafür, wie Märkte strukturell betrachtet werden könnten, seien dagegen die Türkei und Argentinien. Die Schwächen dieser Volkswirtschaften hätten sich über Jahre aufgebaut und Stärke lasse sich, wenn überhaupt, auch erst über Jahre hinweg wieder aufbauen. Die strukturelle Sichtweise auf diese beiden Länder sei, dass es zwar einzelne Anleihen mit guten Bewertungen gebe, jedoch werde das Makrorisiko wahrscheinlich zu einer der höchsten Volatilitäten unter den Schwellenländern führen, heißt es weiter.

„Die Türkei und Argentinien sind jedoch auf sehr unterschiedliche Weise dieser Volatilität ausgesetzt, wodurch sich neue Anlagechancen für aktive Manager eröffnen. Für uns sind eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Länder und ein agiler Investmentstil maßgeblich, um die attraktivsten risikobereinigten Renditen in den Schwellenmärkten zu erzielen. Am Beispiel der Türkei und Argentiniens lässt sich unser Ansatz gut veranschaulichen. Dennoch werden wir immer wieder gefragt, ob die Türkei und Argentinien in diesem Jahr die Emerging Markets-Rallye verderben könnten, so wie bereits 2018“, so Arevalo.

Nachdem die Faktoren, die für den Ausverkauf im vergangenen Jahr verantwortlich gewesen seien, weggefallen seien, befänden sich die Schwellenmärkte seit Jahresanfang wieder im Aufschwung. Die erneuten Zuflüsse in die Schwellenländer seien von einer deutlich zurückhaltenderen US-Notenbank getrieben, die den Dollar im Zaum halte und zu einer gezielten Konjunkturabkühlung in China führe. Das lasse die Bewertungen in den Schwellenmärkten wieder attraktiv erscheinen, heißt es weiter.

Türkei: Defensiv aufgestellt mit liquiden Staatsanleihen in harter Währung

„Die von uns gemanagte EM-Strategie ist in der Türkei untergewichtet, da wir den langfristigen gesamtwirtschaftlichen Ausblick des Landes skeptisch sehen. Die wirtschaftlichen Schwachstellen der Türkei sind bekannt: eine hohe Inflation und ein enormes Leistungsbilanzdefizit. Das sind auch die Hauptgründe dafür, dass die türkische Lira in den ersten acht Monaten des Jahres 2018 gegenüber dem US-Dollar um 40 Prozent eingebrochen ist. Das chronische Leistungsbilanzdefizit der Türkei verdeutlicht die Abhängigkeit des Landes von US-Dollar-Krediten zur Finanzierung des inländischen Konsumbooms unter Präsident Erdogan. Er geriet ins Stocken, als die USA die quantitative Lockerung im letzten Jahr für beendet erklärten und begannen, die Zinsen zu straffen. Die hohen Inflationsraten und Defizite der Türkei sind langfristige strukturelle Risiken, die vielleicht kurzfristig handhabbar sind, aber auch die weiterhin starke Anfälligkeit des Landes für externe Schocks verdeutlichen“, so Arevalo.

Im Vergleich zum vergangenen Jahr habe sich die Liquiditätssituation in der Türkei erholt und die Wirtschaft profitiere von ordentlichen kurzfristigen Renditen. Allerdings sei die Fiskalpolitik aktuell deutlich weniger diszipliniert als in früheren Krisen, die das Land irgendwie durchgestanden habe. Die große Unbekannte der Türkei seien die nicht bekannten Staatsausgaben. Diese Unbekannte werde immer größer, wie hoch die Summe insgesamt sei, sei aber unklar. Beispielsweise werde über „verdeckte Stimulusmaßnahmen“ als Eventualverbindlichkeiten des öffentlichen Sektors und subventionierte KMU-Kredite berichtet. Demgegenüber würden Staatsbanken gestützt, Investoren erhielten aber keinen Einblick in das tatsächliche Volumen an notleidenden Krediten im Bankensektor, heißt es weiter.

„Aus diesen Gründen halten wir eine Position in liquiden türkischen Staatsanleihen und Anleihen staatsnaher Emittenten, die mit Credit Default Swaps (CDS) effektiv abgesichert werden können. Wir halten nur sehr wenige türkische Unternehmensanleihen, da eine schwache Performance hier nicht so einfach gemindert werden kann. Nach der jüngsten Rally erscheinen die Unternehmensbewertungen überhöht und wir sind eher vorsichtig, da die unbekannten Staatsausgaben der Türkei keine gute Nachricht für Risikoanlagen sein dürften. Mit unserem konservativen, auf Positionen in liquiden Staatsschuldtiteln fokussierten Ansatz können wir von Rallys an diesem Markt profitieren, sind aber auch nahe genug am Notausgang, falls es zu einem erneuten Volatilitätsschub kommen sollte“, so Arevalo.

Argentinien: Opportunistisch positioniert mit Unternehmensanleihen

Im Gegensatz zu den langfristigen Risiken, die man in der Türkei sehe, stimmten in Argentinien vor allem die mittelfristigen politischen Risiken vorsichtig. Die erste Runde der Präsidentschaftswahlen finde im Oktober statt. Die Märkte dürften empfindlich auf eine politische Kräfteverschiebung von Präsident Macri hin zur ehemaligen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner reagieren. Die Linkspopulistin Kirchner könnte erneut kandidieren und die Märkte fürchteten eine Entweder-Oder-Entscheidung zwischen der Fortsetzung von Macris marktfreundlicher Politik und der Rückkehr zu drohenden Zahlungsausfällen, heißt es weiter.

„In den Umfragen liegen beide derzeit gleichauf. Wenn sich die Wirtschaftsdaten des Landes nicht verbessern, werden sich auch Macris Umfragewerte kaum erholen, so dass seine Wiederwahl gefährdet sein könnte. Das BIP-Wachstum in Argentinien ist 2018 um 2,5 Prozent gesunken und die Inflationsrate lag Ende 2018 bei 47,6 Prozent – in Lateinamerika nur noch von Venezuela getoppt. Dadurch musste Macri den IWF um einen Rettungskredit in Höhe von 56 Milliarden US-Dollar ersuchen und unpopuläre Sparmaßnahmen ankündigen. In Verbindung mit einer ungelegenen Dürreperiode führte all dies zu einer dramatischen Währungskrise mit einem Wertverlust von mehr als 50 Prozent für den argentinischen Peso“, so Arevalo.

Die Sparmaßnahmen hätten die argentinische Wirtschaft in eine Rezession gestürzt, gleichzeitig aber auch das Anlegervertrauen gestärkt, da viele gehofft hätten, dass sie die Grundlage für eine nachhaltige Erholung legen würden – was in gewissem Maße auch zugetroffen habe. In den letzten drei Monaten in 2018 sei die Produktion in der Landwirtschaft (einem Wirtschaftszweig, der zehn Prozent zum argentinischen BIP beitrage) mit einer Jahresrate von vier Prozent gewachsen. Bis Ende April 2019 habe sich die argentinische Wirtschaft insgesamt aber nur schleppend erholt, heißt es weiter.

„Im Januar betrug die Inflation im Vergleich zum Vormonat 2,9 Prozent und lag damit über der Markterwartung von zwei Prozent, was einen Ausverkauf argentinischer Assets auslöste. Im zweiten Quartal könnte die Lage aber wieder besser aussehen, da mit guten Ernteergebnissen gerechnet wird. Auch das argentinische Leistungsbilanzdefizit dürfte deutlich sinken, da der schwächere Peso in Verbindung mit rückläufigen Konsumzahlen und Investitionen zu einer Erholung der Exporte und einem Rückgang der Importe führen könnte“, so Arevalo.

Unterdessen dürften die Kapitalzuflüsse aufgrund des wahlbedingt unsicheren Ausblicks verhalten bleiben. Für aktive Investoren böten sich dadurch weiterhin interessante Anlagechancen in Unternehmensanleihen mit einem attraktiven Carry, die im Vergleich zum breiten Index niedriger bewertet seien. Angesichts der genannten Risiken dürften argentinische Staatsanleihen anfällig für Wechselkursschwankungen bleiben. Daher halte man keine Lokalwährungsanleihen. Im Vergleich zur Türkei halte man Unternehmensanleihen in Argentinien für volatilitätsresistenter, heißt es weiter.

„Wir bevorzugen defensive Unternehmen wie Versorger und Flughäfen: Argentiniens internationale Flughäfen zum Beispiel profitieren von einer geringen Verschuldung und erwirtschaften US-Dollar-Erlösen, was eine gewisse Absicherung gegen Wechselkursschwankungen des Peso darstellt. Wir steuern unser Exposure weiterhin flexibel. Nachdem wir 2018 im Vergleich zum breiten Index in Argentinien größtenteils übergewichtet waren, halten wir aktuell ein neutrales taktisches Exposure, da sich bei einer anhaltenden Volatilität künftig bessere Anlagemöglichkeiten eröffnen könnten“, so Arevalo.

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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