Kommentar
15:00 Uhr, 20.09.2022

Wer sind die Gewinner der Deglobalisierung?

Offshoring war gestern. Heute heißt es Nearshoring, Friendshoring oder Repatriierung der Produktion. Was bedeutet dies für Aktien?

Nicht erst seit Beginn des Ukrainekriegs ist eine zunehmende Fragmentierung der Weltwirtschaft erkennbar, doch sie wurde stark beschleunigt. Handelspartner, die vor kurzem noch als zuverlässig galten, sind es jetzt nicht mehr. Das gilt nicht nur für Russland, sondern auch für China.

Global ist eine Veränderung in der politischen Landschaft zu beobachten. Populismus ist im Aufwind und dadurch ergeben sich neue Allianzen oder zumindest Sympathien. Dies stellt die Zuverlässigkeit von Lieferketten infrage. Keiner weiß, ob Taiwan morgen noch eigenständig sein wird und ein Großteil der globalen Chipproduktion sicher ist.

Die Angst, dass man plötzlich von wichtigen Gütern abgeschnitten ist, wird größer, sei es bei Halbleitern, Energierohstoffen, medizinischen Gütern usw. Nicht nur Politiker haben das erkannt, auch Unternehmen. Mehr und mehr wird über die Repatriierung der Lieferketten gesprochen. Man möchte sie wieder im eigenen Land haben.

Ist das nicht möglich, so sollen Zulieferer und Produktion zumindest in befreundeten Staaten (Friendshoring) und im nahen Ausland (Nearshoring) liegen. Man kann das auch in einem Wort zusammenfassen: Deglobalisierung.

Deglobalisierung bedeutet nicht nur eine Neuausrichtung der Lieferketten, sondern auch der Absatzmärkte. Es ist unwahrscheinlich, dass zunehmende Konfrontation Märkte offenlässt. Unternehmen müssen um den Absatz im Ausland, z.B. China bangen. Das legt den Verdacht nahe, dass Deglobalisierung der Börse schadet. Das lässt sich historisch nicht belegen.

Als Maßstab für Globalisierung dient der Handel. Börsen konnten in Zeiten, in denen der Handel stagnierte oder rückläufig war durchaus hohe Gewinne verzeichnen. Ebenso war vermehrter Handel kein Garant für Kurssprünge (Grafik 1).

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Selbst wenn man die Performance einzelner Branchen untersucht, ergibt sich kein klares Bild. Branchendaten gibt es seit 1926 für die US-Börse. Unter 49 Branchen lassen sich keine klaren Gewinner oder Verlierer in den einzelnen Phasen der Globalisierung und Deglobalisierung ausmachen.

Die erste Phase von 1926 bis 1945 war eine Phase der Deglobalisierung, die mit der Großen Depression begann. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es einen Globalisierungsschub, der mit dem Ölembargo in den 70er Jahren endete. Ab 1987, dem Ende der Sowjetunion und Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation gab es einen neuen Schub, der trotz Handelsstagnation bis heute anhielt.

Wenn sich Branchen nicht offensichtlich unterscheiden, gibt es möglicherweise andere Faktoren, die den Unterschied machen. Man kann Unternehmen in Gruppen einteilen, z.B. solche, die Güter produzieren oder solche, die Dienstleistungen anbieten. Erstere sind Unternehmen mit hohem Anlagevermögen. In der Theorie sollte das in einer Phase der Deglobalisierung positiv sein, wenn bereits viel Anlagevermögen vorhanden ist. Ein Vorteil lässt sich jedoch nicht erkennen (Grafik 2).

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Der einzige Faktor, der einen Unterschied macht, ist geistiges Eigentum. Dies hat jedoch wenig mit Globalisierungsphasen zu tun. Unternehmen mit viel geistigem Eigentum können systematisch outperformen (Grafik 3).

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Deglobalisierung hat für Anleger zumindest historisch wenig Bedeutung gehabt. Eine Neuausrichtung der Anlagestrategie lässt sich nicht rechtfertigen.

Clemens Schmale

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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