Kommentar
11:56 Uhr, 02.05.2008

Was ist los mit dem Konsum in Deutschland?

1. Die klassischen Einzelhandelsumsätze ohne Tankstellen und Kfz-Handel sanken im März um 0,1%. Angesichts des Ostergeschäftes im März ist das ein enttäuschender Wert. Dennoch schaffte es das Statistische Bundesamt mit einem Kraftakt der besonderen Art aus einem Rückgang des Einzelhandelsumsatzes im ersten Quartal einen Anstieg zu machen. So wurde allein aufgrund von Revisionen der Vormonate aus einem vorläufigen Minus von 0,5% qoq ein Plus von 1,2% qoq. Alles in Butter also? Nein, denn für den privaten Konsum sollte dennoch nach dem schlechten vierten Quartal (-0,8% qoq) nur ein bescheidenes Plus von 0,3% qoq übrig bleiben. Und die Perspektiven für das Folgequartal sind schwach: So zeigt der aus unserer Sicht beste Konsumindikator – der Bloomberg Einkaufsmanagerindex für den Einzelhandel – im April schon wieder überdeutlich nach unten. Stagnation im Mai und Juni unterstellt, ergäbe sich eine äußerst schwache Entwicklung. Was ist los mit dem Konsum in Deutschland?

Die Einkommensentwicklung stützt den Konsum, …

2. Die Einkommen, mit denen die Haushalte den Konsum finanzieren, entstehen in Deutschland überwiegend auf dem Arbeitsmarkt. Daher sind die Anzahl der Menschen, die Arbeitseinkommen beziehen, also die Beschäftigung, die gearbeiteten Stunden je Beschäftigten und die Höhe der Löhne, die sie erhalten, von Relevanz. So gesehen sind die Ausgangsbedingungen für das erste Quartal und das Gesamtjahr 2008 prächtig. Im Vorjahr nahm das Arbeitsvolumen, die Summe der Arbeitsstunden aller Beschäftigten, mit einem gesamtdeutschen Rekord zu und das laufende Jahr bringt nach unserer Prognose immerhin den zweithöchsten Zuwachs. Zur gleichen Zeit steigen die tariflichen Stundenlöhne um rund 2½% an, in den vergangenen acht Jahren nahmen sie nur einmal stärker zu. Alles zusammen lässt die Bruttolöhne- und Gehälter so schnell wie seit 1992 nicht mehr zulegen. Soweit sind das die denkbar besten Voraussetzungen für ein Comeback des Konsums seit Jahren.

… aber die Inflation raubt den Haushalten Konsummöglichkeiten

3. Doch neben der Einkommensentwicklung spielt auch die Inflation eine entscheidende Rolle. Sie bestimmt wie viele Konsumgüter die privaten Haushalte mit ihren Einkommen erwerben können. Je höher die Inflationsrate ist, desto größere Teile der auf dem Arbeitsmarkt erworbenen Einkommen werden den Haushalten entzogen. Genau darunter litten und leiden die Haushalte derzeit. So machte die Inflation im vergangenen Jahr aus einem Anstieg der verfügbaren (Nominal-)Einkommen um 1,6% einen Rückgang der Realeinkommen um 0,7%. In diesem Jahr steigen die Realeinkommen zwar um 0,8% an, ohne den inflationären Einkommensentzug wäre es aber ein Plus von vermutlich 3,1%.

4. Seit rund einem halben Jahr ist ein weiteres Phänomen hinzugekommen: die gefühlte Inflation. Die gefühlte Inflation taucht immer dann auf, wenn sich Preissteigerungen auf Güter mit bestimmten Eigenschaften konzentrieren, derzeit sind das Lebensmittel und Kraftstoffe. Drei Eigenschaften dieser Güter spielen hierbei eine Rolle. Erstens ist es von großer Bedeutung, wie oft ein Gut gekauft wird. Preissteigerungen bei solchen Gütern des täglichen Bedarfs, die häufiger gekauft werden, fallen eher auf als solche bei Gütern, die nur einmal im Monat oder gar nur einmal im Jahr erworben werden. Zweitens sollten für Konsumenten Preissteigerungen bei Gütern, die bar oder mit der Karte bezahlt werden, stärker sichtbar sein als solche bei Gütern, die durch Abbuchung bezahlt werden. In beiden oben genannten Fällen sind es die Güter des täglichen Bedarfs, die besonders auffallen, während die Stromrechnung oder die Miete eher „unsichtbar“ bleiben. So ärgern sich die Menschen mindestens einmal in der Woche bei ihren Lebensmitteleinkäufen über die im zweistelligen Bereich gestiegenen Preise. Aber auch der Fahrt zur Tankstelle ist ein Quell der Pein. Und selbst wer weniger oft tankt, nimmt doch beim Vorüberfahren oder –gehen die Preissteigerungen bei Diesel & Co fast täglich wahr. Mieten dagegen, die mit einem Anteil von rund 21% den größten Einzelposten im Warenkorb der amtlichen Preismessung einnehmen, legten nur um 1% zu. Drittens scheint es plausibel, dass Preiserhöhungen stärker wahrgenommen werden als Preissenkungen. Die gefühlte Inflation lässt die Haushalte sich noch ärmer fühlen, und das führt zur Kaufzurückhaltung. Die Umfrage der EU-Kommission unterstreicht eindrucksvoll das Anspringen der gefühlten Inflation. Nur im Jahr der Euro-Bargeldeinführung war die wahrgenommene Inflation höher als derzeit.

5. Ein letzter Faktor, der den Konsum treibt oder bremst, ist das Vertrauen der Haushalte in die Zukunft. Erwarten die Haushalte eine schwächere konjunkturelle Entwicklung, so bestimmt die erwartete Dauer der Schwächephase das Reaktionsmuster: Erwarten die Haushalte eine kurze Abschwächung, wie sie es beispielsweise während der Asien-/Russlandkrise taten, reagieren sie mit einer Verringerung der Ersparnis, um den Konsum in dieser Zeit aufrecht halten zu können. Gehen sie hingegen von einer längeren Schwächephase aus, wie ab 2001, so reagieren die Haushalte mit einer Konsumdrosselung, um einen Notgroschen auf die Seite legen zu können. Diesen Fall kann man mit Blick auf die aktuellen Finanzmarktturbulenzen wohl ausschließen.

6. Alles in allem wird das Konsumjahr 2008 eine Enttäuschung (Prognose: +0,8%), hatte man doch zu Jahresbeginn noch mit 1,6% Konsumwachstum gerechnet (Consensus Forecast). Doch die Konsumgeschichte ist damit noch nicht vorüber. Eine stabile Arbeitsmarktentwicklung, ein unvermindert hohes Lohnwachstum sind das Fundament und das Abklingen der Inflation die entscheidende Entwicklung, um dem Konsum neue Impulse zu verleihen. Dies vor Augen wird deutlich, dass die gegenwärtig beste Konjunkturpolitik die Bekämpfung der Inflation ist. Lange ist es her, dass es so wichtig war, die Inflation und die Inflationssorgen zu bekämpfen.

Quelle: DekaBank

Die DekaBank ist im Jahr 1999 aus der Fusion von Deutsche Girozentrale - Deutsche Kommunalbank- und DekaBank GmbH hervorgegangen. Die Gesellschaft ist als Zentralinstitut der deutschen Sparkassenorganisation im Investmentfondsgeschäft aktiv. Mit einem Fondsvolumen von mehr als 135 Mrd. Euro und über fünf Millionen betreuten Depots gehört die DekaBank zu den größten Finanzdienstleistern Deutschlands. Im Publikumsfondsgeschäft hält der DekaBank-Konzern einen Marktanteil von etwa 20 Prozent.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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