Warum und was, wenn die Inflation schneller fällt als erwartet?
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Es besteht derzeit ein breiter Konsens, dass die Gesamtinflation in den USA und Europa ihren Höhepunkt überschritten hat. Die Kerninflation ist jedoch nach wie vor hoch, insbesondere in Europa, wo sie sogar weiter ansteigt. In unserem Szenario setzen die Fed und die EZB die Straffung der Geldpolitik bis Mitte 2023 fort und behalten einen restriktiven Kurs bei. Könnte dies bei schwindender fiskalischer Unterstützung zu einem abnehmenden Inflationsdruck in der zweiten Jahreshälfte und zu einem schnelleren Rückgang der Inflation führen?
Für die USA gehen wir in unseren Überlegungen von einer Gesamtinflation von 4,3 % bei schwächeren Wachstumsaussichten für 2023 und 2024 aus. Für die zweite Hälfte dieses Jahres beziffern wir die Wahrscheinlichkeit einer Rezession auf relativ hohe 40 Prozent. Die Preise für Waren sinken unerwartet zügig, während die Inflation bei den Kosten für Dienstleistungen und Wohnraum nur allmählich abflauen wird, wodurch die Kerninflation weiter auf hohem Niveau verharrt. Gesamt- und Kerninflation haben aber eine entscheidende Wende vollzogen.
Inflation zum Jahresende bei 4 %?
In Europa sollten die niedrigeren Energiepreise weiterhin einen deutlichen Abwärtsdruck auf die Gesamtinflation ausüben. Die Kerninflation dürfte aber erheblich bleiben und nur langsam auf etwas unter 4 % bis zum Jahresende zurückgehen. Dabei gehen wir davon aus, dass die immer noch moderaten Lohnkosten in diesem und im nächsten Jahr um etwa 3,5 % steigen werden.
Die Inflation in den Schwellenländern hat ebenfalls ihren Höhepunkt erreicht, wenn auch auf einem sehr hohen Niveau und mit großen Unterschieden zwischen den Ländern. Alles in allem dürfte die Wiederöffnung Chinas die Inflation trotz höherer Rohstoffpreise abkühlen, da sich die Lieferketten weiter normalisieren werden.
Warum könnte die Inflation schneller sinken?
- Diesmal ist das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale geringer
In vielen früheren Phasen steigender Inflation hat sich das Lohnwachstum nicht beschleunigt, wenn die Reallöhne fielen und die Inflationserwartungen aufgrund einer straffen Geldpolitik verankert blieben. Die momentane Inflation weist sowohl in Europa als auch in den Vereinigten Staaten ähnliche Merkmale auf: Die Reallöhne sinken trotz positiver Nominallohnsteigerungen, während die Geldpolitik voraussichtlich straff bleiben wird. In den USA, wo der Druck auf den Arbeitsmarkt intensiver war, sind die Durchschnittslöhne bereits rückläufig.
- Die Finanzierungsbedingungen werden sich verschärfen
Trotz der erheblichen Straffung der Geldpolitik haben sich die Finanzierungsbedingungen in letzter Zeit entspannt, da die Märkte durch das robuste Wachstum ermutigt wurden. Die geldpolitischen Maßnahmen werden sich jedoch mit der für sie typischen Verzögerung schließlich bemerkbar machen. Die Kreditkosten für Unternehmen und Haushalte haben sich bereits erheblich verteuert. Hinzu kommt, dass es kaum Aussichten auf eine nachhaltige fiskalische Stützung der Nachfrage gibt, so dass die Makropolitik insgesamt den Inflationsdruck nicht verstärken wird. Selbst in Europa wird es für viele Regierungen schwierig sein, das derzeitige Niveau der Hilfen zur Abfederung der gestiegenen Energiekosten aufrechtzuerhalten.
- Die Wiederöffnung Chinas wird den Inflationsdruck senken
Die Normalisierung der chinesischen Wirtschaftstätigkeit wird die Lieferketten entlasten und den Inflationsdruck weltweit mindern. Insgesamt wird dieser Effekt mehr Gewicht haben als die höhere Inlandsnachfrage in China, die sich hauptsächlich auf den Konsum auswirken wird.
- Andauernd schwache Wachstumsaussichten
Das Wachstum in den USA und in Europa wird den Prognosen zufolge in diesem und im nächsten Jahr deutlich hinter den Möglichkeiten zurückbleiben. Die Wahrscheinlichkeit einer Rezession ist hoch. Angesichts des begrenzten Spielraums für politische Maßnahmen dürfte eine ausgedehnte Schwächephase die Inflation verringern.
Was passiert bei einem unerwartet schnellen Abflauen der Inflation?
Für Asset-Preise wäre das günstigste Szenario eine verhältnismäßige Abnahme sowohl der Gesamt- als auch der Kerninflation infolge von Lohnzurückhaltung, anhaltend niedrigerer Energiepreise und geldpolitischer Straffung. Dies wäre für die meisten Anlageklassen sozusagen eine weiche Landung. Ein schnellerer Rückzug der Inflation könnte sich dagegen als ein zweischneidiges Schwert erweisen. Wenn die Inflation aufgrund eines unvorhergesehen starken Wachstumsrückgangs sinkt, besteht die Gefahr einer tieferen Rezession und einer langwierigen Schwächephase. Mit Ausnahme von festverzinslichen Wertpapieren würden die meisten Anlageklassen unter anhaltenden Druck geraten.
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