Inflation: Die EZB riskiert ihre Glaubwürdigkeit
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Vier Mal im Jahr veröffentlicht die Europäische Zentralbank (EZB) zu ihrem Zinsentscheid auch Prognosen ihres Mitarbeiterstabs zu Wachstum und Inflation. In der vergangenen Woche lieferte die EZB neben ihrer Basisprognose noch zwei weitere Szenarien mit, in denen der Ukraine-Krieg die Inflation stärker anheizt.
Die folgende Grafik zeigt die drei Prognosen der EZB für die Inflationsrate in den Jahren 2021 bis 2024. Für das Gesamtjahr 2022 erwartet die EZB in ihrem Basisszenario inzwischen eine Inflationsrate von 5,1 Prozent und in ihrem als "Severe" bezeichneten Szenario sogar eine Inflationsrate von 7,1 Prozent.
Alle drei Szenarien sind sich aber in zwei Punkten einig:
- Der Höhepunkt der Inflation wird in diesem Jahr erreicht, danach schwächt sie sich ab.
- Im Jahr 2024 liegt die Inflationsrate wieder unter dem EZB-Ziel von zwei Prozent.
Insbesondere der zweite Punkte ist entscheidend. Denn ziemlich vorausschauend hatte EZB-Präsident Christine Lagarde bereits im Sommer 2021 mehrere Bedingungen formuliert, die erfüllt sein müssten, damit man die Zinsen wieder anheben könne. Die entscheidende Voraussetzung: Die Inflation muss für den Rest des Prognosezeitraums der EZB (der aktuell bis zum Jahr 2024 geht) bei mindestens zwei Prozent verbleiben. Nach den EZB-Prognosen ist das derzeit ganz knapp nicht erfüllt, denn im Jahr 2024 liegt die Inflationsrate den EZB-Prognosen zufolge wieder haarscharf unter dem EZB-Ziel.
Die aktuelle Situation zeigt recht deutlich, warum die von EZB-Präsidentin Lagarde formulierten Bedingungen offenkundig wenig damit zu tun haben, die Preisstabilität sicherzustellen (das eigentliche Mandat der EZB):
- Die angebliche "Datenabhängigkeit", auf die sich EZB-Präsidentin Lagarde ständig bezieht, ist in Wahrheit keine Abhängigkeit von irgendwelchen Daten (wie etwa den tatsächlichen Inflationsdaten), sondern einfach nur von den eigenen EZB-Prognosen. Ehrlicher wäre es also, von Prognoseabhängigkeit zu sprechen. Allerdings sind ökonomische Prognosen bekanntlich notorisch unzuverlässig.
- Es ist völlig egal, was die Inflationsrate in diesem oder dem kommenden Jahr macht. Die Inflationsrate könnte beispielsweise auch auf 10 Prozent oder 20 Prozent steigen und die EZB würde nach ihren selbstformulierten Bedingungen trotzdem keinen Grund sehen, den Leitzins zu erhöhen, solange für das Ende des Prognosezeitraums (derzeit 2024) weiterhin eine Inflation von unter zwei Prozent erwartet wird.
- Das Ende des EZB-Prognosezeitraums verschiebt sich einmal pro Jahr um ein Jahr in die Zukunft. Im Extremfall kann die tatsächliche Inflation dauerhaft über dem EZB-Ziel von zwei Prozent liegen, die für das Ende des Prognosezeitraums erwartete Inflation aber jeweils darunter. Jedes Jahr kommt ein neues Jahr hinzu, für das die EZB wieder neu annehmen kann, die Inflation werde sich normalisieren. Ohne, dass es wirklich jemals dazu kommen muss...
Früher oder später wird die EZB natürlich trotzdem den Leitzins erhöhen, vielleicht auch schon in der zweiten Jahreshälfte. Dass sie damit aber wirksam etwas gegen die Inflation ausrichten kann, ist nicht zu erwarten. Denn die EZB reagiert mit Sicherheit zu spät, zu langsam und zu wenig kraftvoll auf die erhöhte Inflation.
Die Energiewende, die Digitalisierung, der Rohstoffmangel, der Arbeitskräftemangel und steigende staatliche Verteidigungsausgaben werden dafür sorgen, dass die Inflation dauerhaft erhöht bleibt. Die EZB und andere Notenbanken haben es mehr und mehr mit einer strukturellen und nicht mit einer temporären Inflation zu tun. Bisher weigern sie sich aber beharrlich, dies anzuerkennen.
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