Kommentar
09:10 Uhr, 08.05.2015

Warum der Einlagesatz der neue Leitzins wird

Die Zinswende könnte früher kommen, als viele Marktteilnehmer erwarten. Welche Konsequenzen hätte eine geldpolitische Wende für die EZB?

Erwähnte Instrumente

Quantiative Easing (QE) führt zu einer massiven Ausweitung der EZB-Bilanz.Im September 2016, wenn das Programm der Planung nach offiziell ausläuft, dürften die Banken Überschussreserven von über einer Bio. EUR halten.

Überschussreserven sind Guthaben von Banken bei der Zentralbank, die die Mindestreservanforderungen übersteigen

Dieses Plus an Zentralbankgeld kann zwar jede einzelne Bank für sich abbauen, indem sie z.B. Aktien oder andere Aktiva kauft. Dann landen sie aber bei einer anderen Bank. Innerhalb des Gesamtsystems sinken die Überschussreserven durch Kreditvergabe. Bei einem Mindesreservesatz von derzeit 1% führt also die Schaffung von 100 Mrd. EUR neuen Krediten zu einer Anhebung des Mindestreservesolls von 1 Mrd. EUR. Ein nennenswerter Abbau der Reserven durch Kreditvergabe ist unrealistisch. Dazu müsste diese geradezu explodieren.

Aber warum sollte eine Bank die Überschussreserven überhaupt abbauen wollen? Derzeit belegt die EZB diese Reserven mit einem “Strafzins”, das ist der Einlagesatz, der aktuell bei 0,2,% p.a. liegt. Da das Gesamtsystem den Reserven nicht entkommen kann, muss irgendwer den Strafzins also immer bezahlen.

Interessant wird diese Tatsache nun, wenn die EZB aus ihrer extremen geldpolitischen Lockerung aussteigen will oder sogar muss (weil ihr Mandat der Preisstabilität akut bedroht ist). Immerhin ist das Deflationsgespenst bereits tot.

Nächstes Jahr schwimmt das gesamte Bankensystem in exzessiver Überschussliquidität und der offizielle Leitzins verliert an Aussagekraft. Er ist dann im Wesentlichen von Bedeutung für angeschlagene Banken, die im Interbankenmarkt nicht zum Zug kommen. Die anderen Banken werden an Repo-Geschäften der EZB kaum noch teilnehmen müssen, wenn man davon ausgeht dass der Interbankenmarkt nicht wieder in einen Schockzustand gerät wie 2008, der zu einer Dysfunktion führt. Und somit ist der Einlagezins die bestimmende Größe für die kurzfristigen Zinsen.

Im Interbankenmarkt leihen sich Geschäftsbanken untereinander kurzfristig Zentralbankgeld. Die Nachfrager haben in der Regel zu wenig Guthaben, um ihr Mindestreservesoll zu erfüllen, die Anbieter zuviel

Will die EZB also die Zinswende, muss sie bei extrem aufgeblähter Bilanz neben dem eigentlichen Leitzins auch den Einlagezins anheben - womöglich sogar deutlich. Warum ist das ein Problem? Die Bilanz wurde 2012 schon mal auf über 3 Bio. EUR aufgeblasen. Allerdings waren das Repo-Maßnahmen mit überschaubarer Dauer (LTROs). Es war klar, dass die Bilanz nach spätestens zwei Jahren wieder schrumpfen würde.

Die aktuelle Bilanzausweitung hat aber eine andere Qualität. Es werden jeden Monat für 60 Mrd. EUR Anleihen mit Laufzeit 2-30 Jahren gekauft. Zwar wäre auch der spätere aktive Verkauf der Anleihen denkbar, aber wohl nur unter herben Verlusten. Da das europäische QE-Programm im Vergleich zu dem der Fed äußerst unsmart war und sehr spät kam (die Fed fing an zu kaufen, als die Rendite 10jähriger Anleihen bei 4% lag), ist alles andere als ein Auslaufenlassen der Anleihen wohl keine Option. Damit wird die Bilanz nur sehr langsam abgebaut werden.

Dies wird sich stark auf den Gewinn der EZB und der einzelnen Notenbanken auswirken. Steigt der Einlagezins z.B. auf 2% (erscheint heute undenkbar, ist aber sehr gut möglich!), dann kostet das bei Überschussreserven von 1 Bio. EUR satte 20 Mrd. EUR pro Jahr.

Natürlich kann eine Zentralbank das locker wegstecken - die Schweizerische SNB hat alleine in Q1/2015 30 Mrd. Franken Verlust gemacht - ein Resultat der Aufgabe der Bindung des Franken an den Euro. Es ist aber schon bemerkenswert, wie die EZB die kommenden Verluste sehenden Auges in Kauf nimmt. Denn das es nicht zu Gewinnchancen führt, wenn man Anleihen mit negativer Rendite kauft, war kein großes Geheimnis.

Viele Marktteilnehmer werden wahrscheinlich nun sagen, dass eine Zinswende ohnehin NIE kommen wird. Die Schulden seien viel zu hoch etc. Sie täuschen sich. Höhere Zinsen werden kommen, zusammen mit höherer Inflation. Wie nachhaltig das ist, steht auf einem anderen Blatt.

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22 Kommentare

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  • Daniel Kühn
    Daniel Kühn Freier Finanzjournalist

    @ Investor: Sie gehen von folgendem, falschen Szenario aus:

    Angenommen, eine Staatsanleihe über 10 Mrd. läuft aus, und diese hält komplett die Zentralbank.

    Jetzt meinen Sie, dieses Geld fließe der Zentralbank zu und dann hintenrum wieder dem Staat, dem die Zentralbank gehört.

    Dem ist nicht so! DAs wäre ja noch schöner...

    Die Zentralbank kann nur Gewinne ausschütten - die Rückzahlung der Anleihe führt NICHT zu einem Gewinn. Statt dessen wird dieses Geld "vernichtet" - die Bilanszumme der Zentralbank fällt dementsprechend.

    Wolle man diesen Effekt erreichen, den Sie meinen, wäre es am besten der Staat emittiert ewige Anleihen und diese kauft die Zentralbank.

    Ohn ewige Anleihen müssen auslaufende Bonds ständig neu von der Zentralbank gekauft werden, um den Effekt am Leben zu halten.

    09:09 Uhr, 09.05.2015
    1 Antwort anzeigen
  • Investor
    Investor

    Vergessen wir nicht noch einen weiteren Effekt - die "Schuldenbremse". Etwas überspitzt formuliert besagt die, daß die Euro Staatshaushalte nicht mehr defizitär werden dürfen (ja, es gibt Ausnahmen für Krisen).

    Wenn sich die Staaten daran halten, sollten keine Nettoneuverschuldungen mehr ausgenommen werden. Dazu kauft die EZB mit ihren 1,1b Euro alle Staatsschulden über ca 75% BIP auf (ja - auch nicht pro Land aber für die Eurozone gesamt). Die aufgekauften Staatsanleihen werden von den nationalen Notenbanken gehalten und somit fliessen deren Zinsen und Tilgungen in die einzelnen Staatshaushalte ein.

    Somit hätten wir die Situation, eines de facto Schuldenschnittes für die Staatshaushalte und keine weitere Neuverschuldung. Damit sind die Haushalte für steigende Zinsen gerüstet. Durch das steigende BIP werden die Schulden einfach weginflationiert, den die Schulden werden sich vermutlich nicht mehr deutlich steigen.

    16:49 Uhr, 08.05.2015
    1 Antwort anzeigen
  • Oliver Baron
    Oliver Baron Experte für Anlagestrategien

    Richtiger Link:

    http://www.godmode-trader.de/artikel/die-grosse-zinswette-wann-wird-draghi-weich,4174129

    16:26 Uhr, 08.05.2015
  • brokergio
    brokergio

    Hallo Hr.Kühn,

    eine Zinswende kann doch erst dann eingeleitet werden wenn sich die Staaten das leisten können...Italien, Griechenland usw....glauben Sie das die von Ihren Schulden runterkommen,

    wenn es nicht mal Deutschland schafft, als Oberprofiteur dieser Geschichte?

    mfg

    Gio

    10:15 Uhr, 08.05.2015
    1 Antwort anzeigen

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn
Freier Finanzjournalist

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3.
Daniel Kühn interessiert sich vor allem für Small und Mid Caps, Technologieaktien, ETFs, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie für makroökonomische Themen.

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