Kommentar
12:44 Uhr, 16.04.2021

Warum Anleger immer wieder glauben, dass diesmal alles anders ist

Wer aktuell vor einer Überbewertung des Marktes warnt, hat es nicht leicht. Niemand will daran glauben. Wieso fällt es Anlegern aber so schwer, das Offensichtliche zu sehen?

Vor wenigen Monaten gab es einige aufsehenerregende Schlagzeilen. Zu lesen war von einem hoffnungslos überbewerteten Markt. Der Vater des Value Investing, Jeremy Grantham, warnte zu Jahresbeginn vor einer epischen Blase. Inzwischen ist davon nichts mehr zu lesen. Der Markt ist nicht zusammengebrochen. Er ist weiter gestiegen. Man könnte also durchaus zu etwas Spott geneigt sein. Statt Apokalypse ist der Markt in drei Monaten um 10 % gestiegen. Das ist mehr, als man in einem durchschnittlichen Jahr erwarten kann. Das ermuntert dazu, die Warnungen zu ignorieren. Man liest von den Warnungen, aber der Markt tut etwas ganz anderes. Aufgrund dieses Widerspruchs kommen Anleger zu dem Schluss, dass eine neue Zeitrechnung beginnt. Bewertung spielt keine Rolle mehr, so die Annahme. Die Begründung, die man dafür findet, ist auch zu verlockend. Immerhin ist die Geldpolitik extrem locker und staatliche Hilfsprogramme erreichen Billionenbeträge. Es ist praktisch unmöglich, dass der Markt in einer solchen Ausgangslage jemals überbewertet sein kann...

Kurzfristig mag das zutreffen. Je kürzer der Zeitraum ist, desto weniger relevant ist die Bewertung des Marktes oder einer Aktie. Betrachtet man das heutige KGV des Marktes (S&P 500) gegenüber der Rendite der nächsten 12 Monate, kann alles geschehen. Grafik 1 zeigt die Gegenüberstellung für Zeiträume von einem und fünf Jahren.


Auf Jahressicht ist kein Trend erkennbar. Bei einem KGV von 40 hat der Markt in der Vergangenheit in den darauffolgenden 12 Monaten Renditen von +20 % bis -25 % erreicht. Eine ähnliche Spreizung gibt es bei einem KGV von 10.

Das heutige KGV hat auf die Rendite in den kommenden 12 Monaten keinen Einfluss. Es ist irrelevant. Das ändert sich, wenn man den Zeithorizont erweitert. Bei fünf Jahren lässt sich bereits ein Trend erkennen. Ab einem KGV von 37 erzielen Aktien in den darauffolgenden fünf Jahren keine positive Rendite mehr. Man kann erkennen, dass hohe KGVs zu niedrigeren Renditen führen als niedrige KGVs.

Erweitert man den Horizont auf 10 Jahre (Grafik 2), wird der Trend noch deutlicher. Die Korrelation aus Bewertung und Rendite kann man nicht mehr ignorieren. In noch längeren Zeiträumen, 20, 30 oder 50 Jahre (Grafik 2 und 3), nimmt die Korrelation wieder ab. Geht man über 10 Jahre hinaus, nähert man sich einfach der Durchschnittsrendite an.

Das heutige KGV sagt nichts darüber aus, wie die Rendite in den nächsten 30 oder 50 Jahren sein wird. Bei 10 Jahren ist das anders. Die Korrelation ist hoch und der Markt ist heute so hoch bewertet, dass man über die nächsten 10 Jahre keine positive Rendite erwarten kann.

Wir stehen vor einem verlorenen Jahrzehnt. Das sagt jedoch nichts darüber aus, wie sich der Markt über diese 10 Jahre verhält. Der S&P 500 könnte von aktuell 4.100 Punkten erst auf 6.000 Punkte steigen und dann bis zum Ende dieser 10-Jahresperiode wieder auf 4.100 Punkte fallen.

Keiner weiß, wann die „epische Blase“ platzt. Wir können ziemlich sicher sein, dass die platzt, nur nicht wann. Das kann 2022 oder erst 2031 sein. Anleger extrapolieren die Entwicklung der letzten Monate in die Zukunft und können sich daher nicht vorstellen, dass der Markt überbewertet ist und trotzdem weiter steigt. Das passt nicht zusammen. Muss es auch nicht, da über vollkommen unterschiedliche Zeiträume gesprochen wird. Da Anleger nicht vor Augen haben, dass die heutige Bewertung in 5-10 Jahren relevant ist, rufen sie eine neue Zeitrechnung aus. Das stellt sich später als Irrtum heraus.

Clemens Schmale


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1 Kommentar

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  • coolman25
    coolman25

    Hallo,

    recht interessant aber macht es nicht Sinn die ganzen Korrelationen zu quantifizieren (z.B. mit Spearman's - rho) und damit vergleichbar zu machen? So bleibt es doch recht qualitativ / subjektiv.

    VG

    13:03 Uhr, 24.04.2021

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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