Kommentar
09:55 Uhr, 19.08.2015

Wachstum der Eurozone katastrophal

Die Eurozone ist im zweiten Quartal um 0,3% gewachsen. Immerhin ist es ein positiver Wert. Gemessen an der Unterstützung durch die Notenbank und Rohstoffpreise ist das jedoch katastrophal.

Der Eurozone wird derzeit von vier Seiten geholfen. Die EZB hat durch ihr Anleihenkaufprogramm den Euro geschwächt. Das hilft der Exportindustrie. Gleichzeitig sind die Zinsen weiter gesunken und die Preise Vermögenswerten gestiegen. Letzteres sollte Konsumenten helfen ihre Ausgaben zu stützen. Ersteres sollte die Kreditvergabe erleichtern. Weitere Unterstützung kommt von sinkenden Rohstoffpreisen. Konsumenten haben durch geringere Ausgaben für Energie mehr Geld in der Tasche, welches sie ausgeben können.

Alle 4 Faktoren zusammengenommen sind eigentlich das Äquivalent zu einem gigantischen Konjunkturprogramm. Das Wachstum müsste sich beschleunigen. Stattdessen kühlt es sich etwas ab. Das ist bedenklich. Wenn selbst die Unterstützung von so vielen Seiten nicht hilft, was kann man dann noch tun?

Das Wachstum hat sich im Vergleich zum ersten Quartal von 0,4% auf 0,3% abgeschwächt. Der Grund dafür ist nicht etwa ein neuerliches Abrutschen der Krisenländer. Hier entwickelt sich das Wachstum positiv. Spaniens Wachstum beschleunigte sich das achte Quartal in Folge. Sogar Griechenland konnte eine positive Wachstumsrate ausweisen. Damit hatte niemand gerechnet. Erwartet wurde eine Kontraktion der Wirtschaftsleistung um 0,6%. Statt einer Kontraktion kam es zu einer Expansion um 0,8%. Das ist wirklich eine große Überraschung gewesen.

Generell sind die ehemaligen Krisenländer die Wachstumslokomotiven. Die Gesamtdynamik wird jedoch vor allem durch die großen Länder wie Frankreich und Deutschland gebremst. Frankreich wächst so gut wie gar nicht mehr. Deutschland wächst, allerdings überraschend wenig.

Im ersten Halbjahr ist Deutschland um 0,7% gewachsen. Mehr als die Hälfte davon ist auf eine Ausweitung des Handelsüberschusses zurückzuführen. Der Außenbeitrag trug 25 Mrd. zu einer Expansion des BIPs um 44 Mrd. bei. Das ist absolut erschreckend. Obwohl in Deutschland der Arbeitsmarkt boomt, die Preise stabil sind und die Konsumlaune sensationell ist würde die Wirtschaft ohne steigende Exporte de facto stagnieren. Jetzt kann man sich vorstellen was passiert, wenn die Exporte auch einmal rückläufig sind. Die deutsche Wirtschaft würde schnell in eine Rezession rutschen.

Deutschland gilt als Zugpferd der Eurozone. Das stimmt jedoch schon seit mehreren Quartalen nicht mehr. Deutschland wächst vor allem, weil die Krisenländer wieder mehr deutsche Waren importieren. Das trägt letztlich wenig zum europäischen Wachstum bei.

Von 2008 bis zum zweiten Quartal 2015 wuchs das deutsche Bruttoinlandsprodukt um insgesamt 4,92% (Grafik 2). Damit steht Deutschland besser da als andere Länder der Eurozone und liegt nicht einmal so weit hinter den USA. Der kurze Betrachtungszeitraum täuscht jedoch über den Umstand hinweg, dass Deutschland seit vielen Jahren – auch nach der Agenda 2010 – immer noch sehr langsam wächst. Grafik 3 zeigt die Wirtschaftsleistungen im Vergleich seit 2000. Hier zeigt sich zwar ein stabiler Aufwärtstrend, doch dynamisch kann man diesen nicht nennen.

Deutschland hat im Gegensatz zu vielen anderen Ländern ein größeres demographisches Problem. Die Bevölkerung überaltert schneller als in den meisten Nachbarländern. Das wird durch den Exporterfolg verdeckt. Ohne den ständig steigenden Außenhandelsbeitrag würde es in Deutschland nicht anders aussehen als in Italien.
Die Eurozone hat nach wie vor ein Problem. Die ehemaligen Krisenländer können das überdecken, weil sie (bis auf Italien) relativ dynamisch wachsen. Hinter den Kulissen muss man jedoch feststellen, dass die Strukturprobleme in den Kernländern, die weniger von der Krise betroffen waren, nach wie vor vorhanden sind. Es hat sich diesbezüglich überhaupt nichts getan. Länder wie Finnland befinden sich inzwischen wieder in der Rezession.

Man muss sich das wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen: 4 wirklich große unterstützende Faktoren schaffen es nicht die Wirtschaft anzuschieben. Während die Krisenländer, die Reformen umgesetzt haben, auf dem Weg der Besserung sind, haben die Kernländer geschlafen. Es zeigen sich inzwischen dramatische Parallelen zu Japan. Wenn Politiker in Frankreich, Finnland, Österreich und den anderen Kernländern weiter Reformen vor sich herschieben, dann lässt sich ein Niedergang wie in Japan nicht mehr aufhalten.

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  • soham
    soham

    Der Artikel ist dominiert von Wachstumsgläubigkeit.

    Angesichts der ökologischen Auswirkungen steigender BIPs verstehe ich nicht, was schlimm sein soll an einem langsamen, kontinuierlichen Wachstum.

    Wir brauchen mehr Lebensqualität, nicht mehr Güter oder Dienstleistungen.

    09:36 Uhr, 22.08. 2015
  • Wotan1
    Wotan1

    Die Wirtschaft wächst, während die Regierung lahm gelegt ist und nicht drin rum pfuschen kann ... letztes Quartal in Griechenland, während des Streits um die Schuldenobergrenze in den USA. Da haben auch alle geschrien, dass das eine Katastrophe ist und, oh Wunder, die Wachstumserwartungen wurden übertroffen

    Vielleicht sollte das zu denken geben, im Bezug auf die Wirtschaftspolitik im Ganzen

    16:23 Uhr, 19.08. 2015
  • Andreas Hoose
    Andreas Hoose

    In Griechenland, Spanien und Portugal war man wahrscheinlich besonders erfolgreich in Sachen Drogenhandel, Waffenschmuggel und Prostitution. Bekanntlich fließen diese bedeutenden Wirtschaftszweige seit Ende 2014 ganz offiziell in die "Berechnungen" des europäischen BIP ein.

    Wer immer noch nicht sieht, wie völlig geisteskrank dieses System ist, der wird es auf die harte Tour lernen müssen.

    13:05 Uhr, 19.08. 2015
    1 Antwort anzeigen
  • Gone Fishing
    Gone Fishing

    Die gesamte Eurozone leidet seit der Jahrtausendwende an zu hohen und steigenden Steuern. Allein die Mwst. ist in den meisten Euroländern um ca. 6 Prozent angehoben worden. Hinzu kommen steigende Einkommens- und Unternehmenssteuern sowie umständliche, wachstumshemmende EU-Auflagen. Zwischen Steuern und Sozialabgaben schöpfen die Staaten ca. 70 bis 80 cent von jedem verdienten Euro ab und dort ist auch der Zusammenhang mit dem (viel) zu niedrigen Wachstum zu suchen. Jede Steuererhöhung um 1% verlangsamt das Wachstum um 2%. Es wird zuviel verwaltet und kontrolliert und zuwenig produziert und konsumiert. Die Krisenländer wachsen zwar 1% aber von einem sehr niedrigen Niveau aus, nachdem Sie über Jahre real 4% bis 6% eingebrochen sind. Energiepreise sind anteilsmässig ebenso viel zu hoch mit Steuern belastet, den Effekt des niedrigen Erdölpreises merkt man in Europa kaum.

    Bsp.: nach der "Erholung" in 2015 vergeben portugiesische Banken Hypotheken- Kredite i.H. von 2 Milliarden Euro per annum für den Hauskauf, 2014 war es unter einer Milliarde, in 2008 waren es 20 Milliarden - und das sagt alles: das ist 1/10 der Arbeit für Elektriker, Bau-Unternehmen, Architekte, Spediteure, Möbelausstatter und Maler.

    Draghi hat um einschneidende, flankierende politische Massnahmen gebeten während frisches Papier gedruckt wird, um merkliche Steuersenkungen, es passiert nichts. Hier wird eine einmalige und riesengrosse Chance verpasst, das Wachstum richtig anzukurbeln. Das einzige was die geldpolitischen Massnahmen bisher verzögern, ist der finale Zusammenbruch. Noch wäre Zeit, aber die Einsicht und der politische Wille fehlen leider.

    09:14 Uhr, 19.08. 2015
    1 Antwort anzeigen

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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