Kommentar
11:25 Uhr, 27.02.2019

Vom Sinn und Unsinn des Produktionspotenzials

Die konjunkturelle Lage ist besser als die Stimmung in der deutschen Wirtschaft. Der Pessimismus ist nicht gerechtfertigt.

  • Einige Überlegungen zum Produktionspotenzial der deutschen Wirt­schaft.
  • Trotz schlechter Konjunkturnachrichten ist die deutsche Wirtschaft noch weit von einer Rezession entfernt.
  • Wer mehr Wachstum haben will, braucht nicht niedrigere Zinsen oder öffentliche Defizite, sondern mehr Arbeit, Kapital und tech­nischen Fortschritt.

Wer mehr Wachstum haben will, braucht nicht niedrigere Zinsen oder öffentliche Defizite, sondern mehr Arbeit, Kapital und tech­nischen Fortschritt.

Wissen Sie, was das Produktionspotenzial einer Volkswirt­schaft ist? Natürlich. Es ist die Fähigkeit der Unternehmen, Güter und Dienste zu produzieren. Die Ökonomen definie­ren es etwas genauer als "das maximale Sozialprodukt, das mit der vorhandenen Arbeit, dem Kapital und dem techni­schen Wissen in einer gegebenen Periode erstellt werden kann".

Das klingt recht technisch und theoretisch. Man mag sich nicht unbedingt näher damit beschäftigen. Aber wissen Sie auch, dass das Produktionspotenzial derzeit eine der wich­tigsten Größen zur Beurteilung der Konjunktur und des Kapitalmarktes ist? Es lohnt sich daher, sich doch ein bisschen näher damit zu beschäftigen.

Das Produktionspotenzial ist der Gegenpol zum Sozialpro­dukt, wie es von den statistischen Ämtern gemessen und alle drei Monate veröffentlicht wird. Im vergangenen Jahr betrug es in Deutschland EUR 3.400 Mrd. Eine Menge Holz.

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Die Zahl sagt für sich genommen aber wenig aus. Ist es viel, was produziert wurde, oder ist es wenig? Hätte Deutschland mehr herstellen können oder wäre das mit In­flation verbunden gewesen? Um das zu beurteilen braucht man einen Maßstab, an dem man die Zahl messen kann. Hier kommt das Produktionspotenzial ins Spiel. Es ist solch ein Maßstab. Es besagt, wieviel die Volkswirtschaft tatsäch­lich hätte erstellen können, wenn die Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und technischer Fortschritt optimal eingesetzt worden wären. Ist das Produktionspotenzial größer als die Produktion, dann sind die Kapazitäten nicht voll ausgelastet. Die Konjunktur muss angekurbelt werden. Ist das Potenzial kleiner, dann haben wir Überbeschäftigung und Inflations­druck.


Die Wirtschaft befindet sich nach wie vor in Normaltemperatur.


Leider kann man das Produktionspotenzial in der Wirklich­keit nicht messen. Man muss es schätzen. Es gibt dazu verschiedene Möglichkeiten. In der Grafik habe ich das Produktionspotenzial als langfristigen Trend definiert, um den sich das tatsächliche Wachstum bewegt. Das ist eine sehr einfache, aber keineswegs abwegige Annahme.

Die Grafik zeigt zweierlei. Das eine ist, dass das Produk­tionspotenzial keine Konstante ist, sondern sich im Zeitab­lauf entsprechend dem gesamtwirtschaftlichen Umfeld ver­ändert. In der Zeit des Wiederaufbaus nach dem zweiten Weltkrieg ist es noch jährlich um rund 6,0 % p. a. gewach­sen. Inzwischen nimmt es nur noch um 1,0 % bis 1,5 % p. a. zu. Das hat nichts damit zu tun, dass die Menschen fauler geworden sind. Es gibt ganz einfach weniger Arbeit, Kapital und technisches Wissen, auf das sie zurückgreifen können. An diesen 1,0 % bis 1,5 % muss man das aktuelle Wachstum messen.

Das zweite ist: Wenn das Wachstum des realen BIPs in die­sem Jahr tatsächlich nur noch 1,0 % betragen sollte (wie die meisten Prognosen annehmen), dann ist das kein schlech­tes Ergebnis. Es besagt vor allem nicht, dass wir uns in ei­ner Rezession befinden. Was wir haben, ist Vollbeschäfti­gung. Es wird weitgehend so viel produziert, wie tatsächlich möglich ist.

Wir sollten uns daher nicht schlecht reden und gleich auf einen bevorstehenden Crash einstellen. Vielmehr liegt das niedrige Wachstum daran, dass es in Deutschland derzeit zu wenig Arbeit, Kapital und technisches Wissen gibt. In jedem Fall kann man aus der geringeren Wachstumsrate in diesem Jahr nicht ablesen, dass wir vor einem kräftigen Ab­schwung stehen.

Natürlich ist nicht auszuschließen, dass es in den kommen­den Monaten weiter nach unten geht. Das Wachstum hat sich zuletzt stark abgeschwächt. Niemand weiß, ob sich das fortsetzen wird. Wenn das der Fall sein sollte, kommen wir wirklich in Schwierigkeiten. Aber im Augenblick ist das noch Spekulation.

Nun sehen viele das Produktionspotenzial als die Obergren­ze dessen an, was eine Wirtschaft herstellen kann. Mehr geht nicht. Das ist aber nicht korrekt. Die deutschen Unter­nehmen könnten schon schneller wachsen. Dazu bräuchte es auch nicht mehr Nachfrage durch höhere Löhne, finanz­politische Defizite oder niedrigere Zinsen. Mehr Wachstum bekommen wir nur, wenn wir das Produktionspotenzial der Volkswirtschaft erweitern.

Das erfordert erstens mehr Arbeit. Die vorhandenen Arbeit­nehmer müssten mehr arbeiten oder wir brauchen zusätzli­che Arbeitskräfte. Es muss also mehr Zuwanderung geben. Es müssen mehr Frauen in den Erwerbsprozess eingeglie­dert werden. Darüber hinaus muss man das Rentenzu­gangsalter nicht senken, sondern erhöhen. An allen drei Fronten werden derzeit Fortschritte erzielt.

Es erfordert zweitens mehr Kapital. Derzeit reichen die In­vestitionen in Deutschland in vielen Fällen nicht aus, um die Abschreibungen auf den existierenden Kapitalstock zu er­setzen. Mehr Kapital wird benötigt, sowohl in den Unterneh­men als auch in der öffentlichen Infrastruktur, also bei Stra­ßen, Brücken, aber auch bei Schulen, Universitäten und an­deren öffentlichen Aufgaben.

Es erfordert drittens, dass die Produktivität des Faktorein­satzes durch mehr technischen Fortschritt erhöht wird. Das Wachstum der Produktivität ist in den letzten Jahren deut­lich zurückgegangen. Inzwischen liegt es unter 1,0 % p. a. Wie soll das gesamtwirtschaftliche Wachstum unter diesen Umständen sehr viel größer sein?

Für den Anleger

Lassen Sie sich von den schlechten Konjunkturprognosen nicht ins Bockshorn jagen. Natürlich sind eine Rezession und ein Crash an den Märkten nicht auszuschließen. Aber im Augenblick deuten die Fakten nicht darauf hin. Die Wirt­schaft befindet sich nach wie vor in Normaltemperatur.


Anmerkungen oder Anregungen? Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen: martin.huefner@assenagon.com.

Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.

3 Kommentare

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  • shark
    shark

    Die Wirtschaft mag noch in Normaltemeperatur sein-ich meine eher am Beginn einer Rezession.

    Die strukturellen Probleme und auch insbesondere die Verschuldung mahnen zur höchste Vorsicht..

    Man fragt sich im übrigen warum Deutschland als "Eportweltmeister" zu den ärmsten Ländern in Europa gehört? Deutschland ist nicht reich- eines der größten aktuellen Lügen,unserer Zeit !

    21:56 Uhr, 27.02.2019
  • jurist
    jurist

    Ich bin mit allem einverstanden bis auf den behaupteten Lösungsansatz Zuwanderung. Aus folgenden Gründen: qualifizierte Zuwanderung ist Neokolonialismus, da er die Ausbildungskosten den Ländern aufbürdet, die bis auf wenige Länder in der Welt, selbst diese qualifizierten Menschen brauchen. nicht qulifizierte Zuwanderung, die derzeit in großer Zahl stattfindet, bindet bei uns viele qualifizierte Menschen, z.B. Lehrer und kostet auf Generationen hinaus deutlich mehr als diese Menschen hier beitragen können, zumal gerade wenig qulifizierte Stellen mit der Digitalisierung wegfallen werden.

    Etwas zu wenig Bedeutung wird der Produktivität beigemessen, die der wesentliche Schlüssel zur Zukunft ist.

    15:09 Uhr, 27.02.2019
  • Unentschieden
    Unentschieden

    Sie sollten aufhören, Fake News der Regierung zu konsumieren:

    https://www.n-tv.de/wirtschaft...

    Dies ist der zweite Artikel innerhalb von wenigen Tagen, der mich daran zweifelt lässt, ob das, was in Ihrer Signatur steht, auch wirklich den Tatsachen entspricht.

    12:06 Uhr, 27.02.2019