Kommentar
12:28 Uhr, 21.10.2016

Vieles ist überraschend, die Geldpolitik der EZB ist es nicht

Die EZB hält vorerst still. Auf ihrer letzten Sitzung hat sie keine weiteren zinspolitischen und/oder liquiditätserhöhenden bzw. -verlängernden Maßnahmen beschlossen. Wie ist diese Status Quo-Politik einzuschätzen? Und wie sieht der weitere geldpolitische Weg der EZB aus?

Eine der kürzesten Pressekonferenzen nach einer Zinssitzung der EZB verdeutlicht bereits, dass Spekulationen über eine verfrühte Drosselung des Anleiheaufkaufprogramms - das sogenannte Tapering - hinfällig sind. Man gab diesem Thema einfach keinen zeitlichen Rahmen. Auch im geldpolitischen Rat sei eine Drosselung der Anleiheaufkäufe kein Thema gewesen. Taubenhaft wirkten auch die Aussagen von EZB-Präsident Draghi, wonach ein zukünftiger Anstieg der Inflation vor allem auf Basiseffekte bei steigenden Energiepreisen zurückzuführen und der Wachstumsausblick weiterhin mit Abwärtsrisiken behaftet ist.

Ohnehin verdeutlichen die Inflationserwartungen, dass die EZB ihrem Inflationsziel trotz massiver Liquiditätsausweitung bislang nicht wirklich näher gekommen ist. Da Inflation die Schlüsselgröße der EZB ist, besteht insofern überhaupt kein geldpolitisch restriktiver Handlungsbedarf.

Die EZB unterbindet jede Diskussion, die an den Finanz- und Realmärkten nachhaltig schlafende Hunde wecken könnte. Ein Tapering der EZB ist Wunschdenken. Stabilitätspolitisch ist es zwar wünschenswert, doch hat es keine Chancen auf Umsetzung. Die Devisenmärkte gehen davon aus, dass die EZB auch zukünftig im Vergleich zur US-Notenbank eine offensivere Liquiditätspolitik betreiben wird. Nicht umsonst neigt der Euro gegenüber US-Dollar zur Schwäche.

GRAFIK DER WOCHE
Verhältnis der Liquiditätsausstattung US-Notenbank versus EZB und Wechselkurs Euro/US-Dollar

Sicher, die EZB hat keine Ausweitung ihrer Liquiditätsoffensive beschlossen. Die EZB will sich jedoch vor der US-Präsidentenwahl am 8. November und dem Verfassungsreferendum in Italien am 4. Dezember zurückhalten. Vor diesen Ereignissen will man nicht unnötig geldpolitisches Pulver verschießen.

Auf ihrer Jahresend-Sitzung am 8. Dezember mit dann aktualisierten - verhaltenen - Konjunkturprojektionen bis 2019 dürfte die EZB allerdings Anleiheaufkäufe über März 2017 hinaus beschließen. Zu diesem Zeitpunkt liegen auch die vollständigen Ergebnisse der von ihr einberufenen Arbeitsgruppe vor, die die bisherige Politik des Quantitative Easing und ihre auch schädlichen Nebenwirkungen beurteilen soll.

Nicht zuletzt soll diese Gruppe einschätzen, welche Konsequenzen diese Liquiditätsausweitung hat. Denn bei Verlängerung des Anleiheaufkaufprogramms unter Beibehaltung der bisherigen Aufkaufrestriktionen stehen spätestens im Juni 2017 Schätzungen zufolge keine deutschen Staatspapiere mehr zum Ankauf zur Verfügung.

Zur Lockerung der Kaufrestriktionen - und damit zur Ausweitung der Liquiditätsversorgung - ist zu erwarten, dass die EZB auch Anleihen mit Renditen unterhalb des Einlagenzinses von minus 0,4 Prozent erwerben wird. Denkbar wäre auch, Staatsanleihen nicht mehr nach Gewichtung der Euro-Länder am Grundkapital der EZB aufzukaufen, sondern nach Marktvolumen. Davon würde vor allem das wirtschaftlich angeschlagene Italien mit dem größten Anleihenmarkt der Eurozone profitieren. Zudem könnte sie beschließen, anstatt wie bisher 33 zukünftig bis zu 50 Prozent des Volumens einzelner Staatsanleihen aufzukaufen. Auf diese Weise könnte die EZB dem Knappheitsproblem beim Anleihekauf zumindest bis Frühjahr 2018 entgehen.

Gold bleibt ein wichtiger Vermögensbaustein
Trotz der Vielzahl an Krisen hat Gold seit Anfang Oktober spürbar nachgegeben. Insbesondere die Fed sorgt mit Zinserhöhungsrhetorik und einem damit festeren US-Dollar für Gegenwind beim Goldpreis, der sich aus Absicherungsgründen gegensätzlich zum US-Dollar bewegt.

Vor diesem Hintergrund haben sich insbesondere spekulativ getriebene Anleger vom Terminmarkt zurückgezogen, was in dem abruptesten Abbau der Netto-Long Positionen seit 10 Jahren zum Ausdruck gekommen ist. Damit haben sich Anleger die massiven Buchgewinne seit Jahresbeginn gesichert. Nach diesem reinigenden Gewitter dürfte der Verkaufsdruck am Terminmarkt jedoch nachlassen.

Denn im Gegensatz zu kurzfristigen Spekulanten an den Terminmärkten halten langfristig orientierte Investoren Gold nach wie vor die Treue. Sie erachten die Preisrücksetzer der vergangenen Wochen vielmehr als günstige Gelegenheit, physisch weiter zuzukaufen. In der Tat steigen die von börsengehandelten Fonds weltweit gehaltenen Goldbestände weiter an.

Grundsätzlich bleiben die fundamentalen Aussichten für Gold günstig. So rechnet der World Gold Council in den kommenden Monaten mit einer anziehenden Nachfrage in Asien. Zudem profitiert Gold als sicherer Hafen von der insgesamt vorsichtigen Anlegerstimmung, die durch die weltweiten geopolitischen Konflikte sowie die Eurosklerose genährt werden.

Auch der Renditenotstand bei Zinsvermögen als größter konkurrierender Anlageform zu Edelmetallen - die Umlaufrendite deutscher Staatsanleihen ist z.B. negativ - ist ein Argument für sich wieder stabilisierende Goldpreise. Entsprechend dürfte sich die seit Jahresbeginn zu beobachtende Outperformance von Gold gegenüber den weltweiten Renten- als auch Aktienmärkten - gemessen am JPMorgan Global Bond Index bzw. MSCI World Index - im Trend fortsetzen. Nur zu Rohstoffen hat Gold seine Besserentwicklung zuletzt aufgrund der kurzfristigen Befestigung der Rohölpreise abgegeben.

Allerdings werden die Notenbanken weiterhin verhindern, dass Gold auch nur die Nähe der Höchststände von 2011 erreicht. Denn bei der Rettung der Finanzwelt mit „Geld“ kann man eine Ersatzwährung „Gold“ nicht gebrauchen.

Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung - Krisen werden zunehmend abgearbeitet
Die Unsicherheitsfaktoren - US-Wahl, Zinserhöhung der Fed im Dezember, Chinas Konjunktur, Referendum in Italien, das bei Ablehnung zu Neuwahlen in Italien mit unsicherem Ausgang führen kann, Gefahr eines „Hard Brexit“ - sind sicherlich nicht zu leugnen. Laut einer Umfrage unter Fondsmanagern - laut Fund Manager Survey von Bank of Amerika/Merrill Lynch - befindet sich die globale Kassenhaltung großer institutioneller Investoren auf dem höchsten Stand seit dem Brexit-Votum im Juni, ein Hoch, das früher nur nach den Terroranschlägen von 9/11 und der Lehman-Pleite erreicht wurde. Da die Aktienrisiken jedoch zunehmend an Bedeutung verlieren, fließen die Finanzmittel zunehmend in die Aktienmärkte zurück und sprechen für eine Jahresend-Rallye.

Denn in puncto US-Wahlen scheint Hillary Clinton kaum noch einholbar zu sein. Nach der dritten TV-Debatte scheint Trump selbst nicht mehr an seinen Wahlsieg zu glauben. Er betreibt bereits moralische Schadenbegrenzung: Er ist sich noch unschlüssig, ob er das Wahlergebnis am 8. November akzeptieren wird. Die Devisenmärkte gehen von einer Niederlage Trumps aus. Mit steigenden Umfragewerten von Clinton erholt sich der mexikanische Peso gegenüber dem US-Dollar.


Für europäische und speziell deutsche Aktien wäre ein Sieg Clintons positiv. Die von Trump propagierte Einschränkung des Freihandels zugunsten amerikanischer Interessen würde das Exportaktienland Deutschland naturgemäß beeinträchtigen.

Selbst die US-Notenbank wird den Anlegern keine großen Sorgen bereiten. Zwar befürworten neun der 12 regionalen Fed-Gouverneure mittlerweile eine Zinserhöhung im Dezember. Mit Rücksicht auf eine ansonsten exporthemmende US-Dollar-Aufwertung und ein laut Konjunkturbericht der US-Notenbank (Beige Book) ohnehin nur „mäßigem bis moderatem“ US-Wachstum bei ebenfalls nur „mäßigem“ Arbeitsmarkt, wird der aktuelle Zinserhöhungszyklus insgesamt jedoch als der schwächste aller Zeiten in die US-Finanzgeschichte eingehen.

Zudem besänftigten die Daten zum chinesischen Wirtschaftswachstum im III. Quartal die Anlegergemüter. Ohne Zweifel kann man bei der offiziellen Wachstumsrate zum Vorjahr von 6,7 Prozent nur von grandioser Schönung ausgehen. Peking versucht, die Ängste vor einer harten Konjunkturlandung zu zerstreuen. China betreibt kurzfristige Wirtschaftsstabilisierung mit schuldenfinanzierten Konjunkturmaßnahmen bei geldpolitischer Unterstützung, um bei anschließender Stabilisierung den Übergangsprozesses von einer Export und Anlage getriebenen zu einer nachhaltigen Binnenwirtschaft nachhaltig fortzuführen.

Charttechnik DAX und S&P 500 - Abwärtstrend gebrochen
Aus charttechnischer Sicht warten im DAX auf dem Weg nach oben die nächsten Widerstände bei 10.745 und 10.801 Punkten. Schließlich trifft der Index bei 10.860 auf die nächste nennenswerte Barriere. Auf dem Weg nach unten liegen die ersten Unterstützungen bei 10.679 und bei 10.568 Punkten. Darunter liegt eine weitere Haltelinie bei 10.535 Punkten.

Im S&P 500 befinden sich auf dem Weg nach oben die nächsten Widerstände bei 2.135 und darüber bei 2.185 Punkten. Werden diese Hürden überwunden, wartet eine weitere Barrieren bei 2.194. Auf der Unterseite verlaufen erste Unterstützungen bei 2.083 und knapp darunter bei 2.079 Punkten. Schließlich gibt eine weitere Auffanglinien bei 1.972 Halt.

Der Wochenausblick für die KW 43 - Was macht der ifo?
In Japan unterstreichen erneut schwache BIP-Zahlen für das zurückliegende III. Quartal die schwache wirtschaftliche Lage und die nachhaltige Dringlichkeit umfangreicher fiskalpolitischer Maßnahmen.

In den USA ist die Wirtschaft im III. Quartal zwar wieder etwas stärker gewachsen. Doch die Auftragseingänge langlebiger Güter haben im September stagniert und die Eintrübung des vom Conference Board veröffentlichten Verbrauchervertrauens deutet auf keinen reibungslosen US-Konsum hin.

In der Eurozone setzt sich die blutleere Konjunkturerholung gemäß Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe fort.

In Deutschland dürften sich die ifo Geschäftsklimadaten nach der überraschenden Aufhellung im Vormonat unverändert zeigen und Anleger daran erinnern, dass insbesondere die deutsche Exportindustrie weltwirtschaftlichen Gegenwind spürt. Immerhin zeigt sich die Binnenkonjunktur gemäß GfK Konsumklimaindex und Einzelhandelsumsätzen weiter robust.

HALVERS WOCHE
Frevelhafte Frage: Wie lange hält Italien den Euro noch aus?
Es ist nirgendwo in Stein gemeißelt, dass Großbritanniens europapolitisches Misstrauensvotum ein Unikum bleiben muss. Denn mit dem Brexit ist das Exit-Tabu gebrochen und wurden in vielen Ländern politisch schlafende Hunde geweckt. Und es geht nicht nur um den Bestand der EU, sondern auch um den der Eurozone. Dabei sollte man nicht immer nur an die üblichen Austrittsverdächtigen Griechenland, Zypern oder Portugal denken. Es geht um ein viel bedeutenderes Land, Italien, das als Gründungsmitglied der EWG 1957 für europäisches Herzblut so tiefrot wie Tomatensauce von Mama Miracoli steht.


Italien ist der wirtschaftlich kranke Mann Europas
Ich persönlich liebe Italien. Seine Kultur, die phantastischen Landschaften und Bauwerke, seine großartigen Menschen und die grandiose Küche gehören zum Besten, was ein Land bieten kann. Wirtschaftlich zählen diese soft facts allerdings wenig bis nichts. Da geht es um hard facts. Und die tun weh. Denn Italien geht es richtig schlecht. Während Italiens Industrie ihr Produktionsniveau von vor der Finanzkrise 2008 noch nicht annähernd erreicht hat, konnte Deutschland diesen Einbruch längst wieder wettmachen.

In den letzten 20 Jahren hat Italien gegenüber Deutschland über 40 Prozent an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Italien ist vielfach zu einem Industriemuseum geworden. Man macht weiter gerne Urlaub in Bella Italia, aber wer dort als Unternehmer investiert, muss schon über ein hohes Maß an ökonomischer Schmerzfreiheit verfügen.

Unternehmenspleiten gehören heutzutage ebenso zum italienischen Wirtschaftsalltag wie Not leidende Kredite, die laut IWF auf 80 Prozent des vorhandenen Eigenkapitals der Banken gestiegen sind. Diese riechen teilweise so faul, dass die Sachbearbeiter in den Kreditabteilungen Nasenklammern tragen. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt fast 40 Prozent. Italien droht, eine ganze Generation zu verlieren, auch für die europäische Idee.

Signore Renzi, versuchen sie es doch mal mit Wirtschaftsreformen!
Italiens Wettbewerbsschwäche ist sicher kein Naturgesetz. Theoretisch könnte die amtierende Regierung Matteo Renzi den italienischen Wirtschafts-Karren mit harten Reformen aus dem Dreck ziehen.

In der Praxis sind dieser wirtschaftlichen Logik jedoch Grenzen gesetzt: Denken wir zurück an einen Amtsvorgänger Renzis, Wirtschaftsprofessor Mario Monti. Wie lange Zeit die DFB-Elf gegen die Squadra Azzurra im Fußball kämpfte er mit seinen Reformambitionen erfolglos gegen den politischen Widerstand in Rom. Seit seinem Scheitern und Ausscheiden aus dem Amt gilt in der römischen Polit-Landschaft das Motto „Wer reformiert, wird abgewählt“. Vor diesem Hintergrund ist auch Matteo Renzi auf der Reformebene so beweglich wie das Kolosseum. Bloß niemandem mit Strukturmaßnahmen auf die Füße treten, die zunächst schmerzhaft sind und zur Rache des Wählers führen können. Doch hat der amtierende Ministerpräsident nicht vehement versprochen, Italien von Grund auf zu reformieren? Entschuldigung Signore Renzi, Pinocchio ist eine italienische Kunstfigur, oder?

So wie Bewegungsarmut bei Rückenschmerzen nicht nur keine Linderung, sondern längerfristig noch mehr Schmerzen bedeutet, führt die „politisch korrekte“ Reformunbeweglichkeit Italiens nur zu chronischen Wirtschafts-Leiden: Noch weniger Wachstum, noch mehr Arbeitslosigkeit, noch weniger Rente, insgesamt noch weniger Perspektive.

Schon heute gibt bereits die Hälfte aller Italiener dem Euro die Schuld an der Wirtschaftsmisere. Vor der nächsten Nationalwahl spätestens 2018 muss man sich ernsthaft Sorgen machen. Eine populistische Euro-kritische Partei, die Italien aus der Eurozone führen will, bekommt immer mehr Zulauf. Man redet den Italienern ein, dass das Land den Euro nicht aushalten kann. Nicht auszuhalten sind jedoch die reformscheuen italienischen Politiker. Das sind die wahren Schuldigen an der Perspektivlosigkeit.

Und wenn du denkst, es geht nicht mehr, muss einfach noch mehr Staatsverschuldung her
Um dieser sclerosi italiano, die sich im Extremfall zum „Itexit“ entwickeln kann, massiv entgegenzutreten, setzt man auf ein altbewährtes Rezept, einen evergreen ähnlich wie der italienische Schlager „Quando, Quando, Quando“. Durch üppige Staatsverschuldung soll der Sozialstaat stabilisiert und die Wirtschaftsleistung Italiens zumindest auf stagnierendem Niveau gehalten werden.


Zwar passen ausufernde Schulden zu den Maastricht Stabilitätskriterien wie Flecken auf die weißen Fliesen eines italienischen Eiscafés. Aber ohne sie - so verkündet es die Regierung Renzi mit Inbrunst immer wieder Richtung Brüssel - drohte Italien politische Handlungsunfähigkeit, die auch der Eurozone final das Leben kosten würde. Aha, durch ansonsten drohende soziale Unruhen und eine Euro-Auflösung sollen die italienischen Stabilitätssünden also geheilt werden. Wie rührend und uneigennützig! Man könnte es aber auch Erpressung nennen.

Und wie reagiert man in Brüssel? Großzügig! Die großen Drei Europas - Merkel, Hollande, Renzi - haben längst beschlossen, den Europäischen Stabilitätspakt nicht so strikt zu interpretieren. Übersetzt heißt das: Damit Italien bei der europäischen Fahne bleibt, darf es Schulden machen bis die Minestrone überkocht. Der politische Zweck heiligt alle stabilitätsfremden Mittel. Die großen Drei Europas haben sich zum Trio Infernale entwickelt: Die Europäische Stabilitätsunion ist zur Romanischen Schuldenunion verkommen.

Mario macht der italienischen Regierung ein (Zins-)Angebot, dass sie nicht ablehnen kann
Leider haben Schulden zwei negative Eigenschaften: Sie müssen zurückgezahlt und in der Zwischenzeit mit Zinsen bedient werden. Beides tut dem Staatshaushalt weh und insbesondere Italien, dass bereits bis Oberkante Unterlippe verschuldet ist. Eine üppige Neuverschuldung ist von Italien heutzutage unter normalen Bedingungen nicht mehr zu stemmen, ist viel zu schmerzhaft.

Aber für dolore gibt es eigentlich keinen Grund. Das italienische Finanzleben kann durchaus süß sein. Denn die EZB spielt den Durchlauferhitzer für Italiens Schulden: Sie kauft massenhaft italienische Staatspapiere auf, die ansonsten wie Ladenhüter in den Regalen des Finanzministeriums liegen blieben. Mit dieser Liquiditätsschwemme drückt sie gleichzeitig die Schuldzinsen auf ein für Italien erträgliches Niveau. Vor dem Euro-Rettungsversprechen von Notenbankpräsident Mario Draghi im Juli 2012, zur Not unbegrenzt Staatspapiere der Euro-Länder aufzukaufen, lag der Durchschnittszins für italienische Staatstitel bei harten vier und aktuell bei unter weichen 0,4 Prozent. Das nenne ich dolce vita.

Und ist es nicht einen Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften wert, dass Mario Draghi damit die heutige Zinsbelastung des italienischen Staatshaushalts im Vergleich zu 2011 marginalisiert, obwohl die Staatsverschuldung seit Einführung des Euros bis heute um über 60 Prozent zulegte? Draghi ist der finanzpolitische Held Italiens. Er erinnert an Cäsar: Ich kam, sah und siegte!

Die geldpolitische Leistung ohne reformpolitische Gegenleistungen hat gewaltige Haken
Bei Mario Draghis heldenhaftem Eingreifen kommt es allerdings zu gewaltigen stabilitätspolitischen Risiken und Nebenwirkungen. Wenn die Regierung in Rom zu Schnäppchenpreisen Staatsschulden machen kann, hat sie noch weniger Anreize, dringend notwendige Reformhausaufgaben zu machen. Warum sollte sich Italien auch selbst bewegen, wenn die EZB Italien fremd bewegt? Doch leider sind Unternehmen nicht gezwungen, in diese Reformwüste zu investieren. Die Unternehmen werden sogar aus Italien wie Touristen vor den Tauben auf dem Mailänder Domplatz fliehen. Denn andere Länder haben auch schöne und sogar schönere Industriestandorte. Wird die Wirtschaftslage über diesen Exodus dann noch schlechter, müssen noch mehr Staatsschulden gemacht werden, die die EZB noch weiter finanzieren muss und die die Regierung veranlasst, noch weniger Reformen zu machen.

Insgesamt werden die italienischen Perspektiven für Arbeitsplätze oder Rente also selbst durch Marios Aufputschmittel der Marke „Wer Schulden-Sorgen hat, hat auch geldpolitischen Likör“ nicht besser, sondern sogar schlechter. Das süße Gift des Alkohols wirkt langsam, aber es wirkt.

Und wenn die EZB mit ihrer Liquiditätsdroge gemäß dem Motto „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ den für den italienischen Staatshaushalt tödlichen Zins und Zinseszinseffekt immunisiert, infiziert dies gleichzeitig leider auch italienische Zinssparer mit Altersarmut.

Der kalte geldpolitische Entzug ist leider nicht mehr möglich, selbst dann nicht, wenn der übermäßige Alkoholkonsum zu Inflation führt. Wenn die Kreditzinsen steigen, steht Italia bald ohne Bella da. Dann trifft Cäsar auf Brutus.

Also, wie lange hält Italien den Euro noch aus? Ohne konsequenten Reformwillen hält das Land die Gemeinschaftswährung nur mit dem Liquiditäts-Likör der EZB aus. Trotzdem wird sich der Euro-feindliche Kater danach nicht vertreiben lassen. Denn ohne wirtschaftliche Perspektive kein nachhaltiges dolce vita für Italien.

Edelmetallanleger können durchaus anstoßen: Wenn einem so viel Instabilität wird beschert, das ist schon einen italienischen Prosecco wert. Salute Matteo Renzi, Salute Mario Draghi!

8 Kommentare

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    Kasnapoff

    Wie immer ein lesenswerter Beitrag von Herrn Halver, der stets nach der Maxime analysiert: Das Glas ist halbvoll. Ist ja auch net wirklich schlecht, denn wie der Volksmund weiss, ist der einzige Mist, auf dem nichts wächst, der Pessimist.

    Jedoch, in einem gewissen nicht ganz unwichtigen Punkt, outet sich auch Herr Halver als

    ------->>>ANZWEIFLER:

    Allerdings werden die Notenbanken weiterhin verhindern, dass Gold auch nur die Nähe der Höchststände von 2011 erreicht. Denn bei der Rettung der Finanzwelt mit „Geld“ kann man eine Ersatzwährung „Gold“ nicht gebrauchen.

    ---->>>> Nun Herr Halver, Ihr Statement wurde von mir ins äähmm Logbuch eingetragen und wenn eines Tages der tobende Goldbulle mit der lautstark um Hilfe rufenden FED-Chefin Yellen auf den Hörnern die in Flammen stehende Wall Street entlang rast, dann werde ich auf Ihr Statement zurück kommen. :-)))))

    P.S.

    Auch für Robert Halver gilt natürlich, "Im Zweifel für den Anzweifler". Denn wenn man das Mediengetöse zur Bargeldabschaffung beobachtet, dann kann man sich fast sicher sein, das die modernen Finanzalchemisten wie Larry Summers oder Rogoff auch daran arbeiten, den Alchimistenwunsch vergangener Jahrhunderte "Blei zu Gold verwandeln" weiterhin verfolgen um den Goldpreis nach Wunsch zu steuern, dann würde Herr Halver mehr als nur richtig liegen. :-))

    14:34 Uhr, 23.10.2016
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