Kommentar
13:07 Uhr, 15.08.2012

Verdient Mario Draghi eine Medaille?

Wie viele der olympischen Athleten sind auch die Zentralbanker zweifelsohne mit ihren Leistungen zufrieden. Schließlich gab es in den letzten beiden Monaten eine Risiko-Rallye, also eine Kurserholung, die weitgehend von der Geldpolitik getragen wurde. Grund ist das unerwartet positive Ergebnis des Euro-Gipfels Ende Juni sowie die starken Worte des EZB-Präsidenten Mario Draghi, der versprach, alles zu tun, was nötig sei, um den Euro zu retten.

Weltwirtschaft verdient sicherlich keine Medaille

Was ihre aktuellen Leistungen betrifft, ist die Weltwirtschaft keinesfalls medaillenreif. Dennoch hält die relativ günstige Marktstimmung an. Enttäuschende Meldungen scheinen die Hoffnung auf weitere Zentralbankmaßnahmen nur noch zu stärken. Insgesamt beruht die Risiko-Rallye wohl vor allem auf niedrigen Bewertungen, Hoffnung auf eine Erholung in China und nicht zuletzt größeres Vertrauen in die politischen Entscheidungsträger der Eurozone, allen voran die EZB.

Investoren zwischen den Fronten

Die Märkte mögen eine klare Sprache und schnelles Handeln. Mit seiner Aussage, die EZB sei bereit, alles zu tun, um den Euro zu retten, löste Draghi Ende Juli eine Rallye aus. „Glauben Sie mir“, hieß es, „es wird genug sein.“ Doch schon wenige Tage nach dieser Pressekonferenz reagierte die Anlegerschaft mit Enttäuschung auf den Mangel an Sofortmaßnahmen. Die Ernüchterung wich indes bald der Einsicht, dass die Zentralbank tatsächlich eine Trendwende eingeleitet hatte. Bei seiner Pressekonferenz hatte Draghi signalisiert, eine weitere massive Ausweitung der EZB-Bilanz sei durchaus vorstellbar. Anleger befinden sich daher quasi zwischen den Fronten. Einerseits hat Draghi seinen künftigen politischen Rahmen abgesteckt. Andererseits sind konkrete Maßnahmen bislang ausgeblieben.

Hoffnung auf einen ruhigen Sommer

Ohne Hoffnung ist das Leben nur schwer erträglich. Das gilt nicht nur für die Märkte, sondern auch für Zentralbanker. Wahrscheinlich hofft die EZB darauf, dass die Märkte sich vorerst mit Ankündigungen zufrieden geben werden. Wir gehen davon aus, dass Draghi seine künftigen Pläne auf seiner nächsten Presse konferenz am 6. September konkretisieren wird. Vermutlich wird er dabei alle Optionen offenlassen. In diesem Zusammenhang ist auch der 12. September ein wichtiges Datum. Dann entscheidet das Bundesverfassungsgericht nämlich darüber, ob Deutschlands Teilnahme am European Stability Mechanism („ESM“) verfassungsgemäß ist.

Dabei müssen wir natürlich die Volatilität der Märkte berücksichtigen sowie das unberechenbare politische Umfeld in Europa. So könnten die Märkte der EZB den Kampf ansagen und die Zinsen auf spanische Anleihen auf ein untragbares Niveau treiben. Zweifellos würde die EZB dann dezidiert handeln.

Wahl zwischen „Pest und Cholera“

Seit Ausbruch der Eurokrise geht es vor allem darum, einen Kompromiss zwischen der Verhinderung von Moral-Hazard-Effekten einerseits und der Vermeidung von Dominoeffekten andererseits zu finden. Sollte die EZB Schuldenländern und Banken bedingungslose Unterstützung leisten, besteht für diese natürlich kein Anreiz mehr, ihre Bilanzen zu sanieren. Ohne eine Form der Vergemeinschaftung von Schulden könnte es in der Region zu einer weit reichenden Monetisierung von Schulden und Haushaltsdefiziten kommen. Auf längere Sicht würde das die Kernländer gewiss aus der EWU treiben.

Andererseits besteht das reale Risiko einer ungehemmten Ausbreitung der Krise, die schließlich im Auseinanderbrechen der Eurozone kulminiert. Das könnte u. a. passieren, falls Anlegerpanik Spanien und/oder Italien durch explosionsartig steigende Zinsen in die Zahlungsunfähigkeit treibt. Dies wäre nicht nur eine Katastrophe für diese Länder selbst, sondern auch für Kerneuropa, da das Bankensystem in den Abwärtsstrudel geraten würde.

Gleichgewicht zwischen den beiden Übeln

Beim Bemühen um ein Gleichgewicht zwischen den beiden Übeln Moral Hazard und Ansteckungsgefahr scheint Draghi einen maßvolleren Ansatz zu verfolgen als Trichet. Die EZB scheint jetzt bereit zu sein, die Liquiditätsprobleme der Staatsschuldner über ihre Bilanz anzugehen – jedoch nicht, ohne bestimmte Bedingungen daran zu knüpfen: Der Kauf von Anleihen durch EFSF/ESM ist eine zwar unverzichtbare, aber unzulängliche Voraussetzung für eine Neuauflage des Anleihekaufprogramms SMP. Das bedeutet, dass die EZB erst dann Anleihen aufkaufen wird, wenn das betreffende Land Hilfe vom ESFS/ESM angefordert und das entsprechende Memorandum of Understanding unterzeichnet hat. Doch selbst dann ist der Kauf durch die EZB, die u. U. ihre Unabhängigkeit demonstrieren will, keine abgemachte Sache. Das ist zwar verständlich, erhöht aber auch die politischen Risiken. Mit anderen Worten: Bevor die EZB zur Hilfe eilt, sind weitere Marktturbulenzen nicht auszuschließen. Doch mit dem Anleihekauf ist das Instrumentarium der EZB noch nicht ausgeschöpft.

EZB trägt zu mehr Zuversicht bei

Insgesamt markierte die Pressekonferenz im August einen grundlegenden Wandel im Krisenmanagement der EZB. Die Chance einer deutlichen Ausweitung ihrer Bilanz im Rahmen einer allgemeinen geldpolitischen Lockerung, die Senkung der Risikoprämien auf Peripherieanleihen und die mögliche Rolle als Lender of Last Resort für klamme Staatsschuldner ist definitiv gestiegen. Ob diese Maßnahmen nötig sein werden, hängt von der weiteren politischen Entwicklung ab, die volatil und unberechenbar bleiben dürfte. In diesem komplexen politisch-wirtschaftlichen Umfeld hat Draghi also fürs Erste die Marktstimmung gehoben.

Verdient Draghi also eine Medaille?

Zuversicht allein reicht nicht, um eine auch nur moderate Erholung der Weltwirtschaft zum Ende dieses Quartals anzustoßen (immer noch unser Basisszenario). Doch ohne Zuversicht besteht kaum Aussicht auf eine Besserung. Draghi hat den Kampf um den Euro noch nicht gewonnen. Doch indem er die Zuversicht bei Märkten und Anlegern gestärkt hat, hat er die Eurorettung um einen entscheidenden Schritt vorangebracht.

Quelle: ING Investment Management

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