Kommentar
19:03 Uhr, 03.02.2016

USA auf dem Weg in die Rezession?

Der Markt ist sich sicher: Es kommt dieses Jahr noch maximal eine weitere Zinserhöhung in den USA. Der Grund für diese Überzeugung ist klar. Das US Wachstum verlangsamt sich, die Inflation ist niedrig, das Jobwachstum lahmt und die Industrieproduktion schrumpft. Das sind Vorzeichen eines Abschwungs.

Die US Wirtschaft gibt Anlegern und Investoren nach wie vor Rätsel auf. Einerseits ist das Jobwachstum solide, andererseits schrumpft die Industrieproduktion. Der Arbeitsmarkt zeigt eigentlich noch eine moderate Expansion der Wirtschaft an, die Industrieproduktion deutet auf eine Rezession hin. Beides gleichzeitig kann doch nicht korrekt sein, oder?

Zunächst kann man festhalten, dass es dem Gewerbe und der Industrie nicht sonderlich gut geht. Der Auftragseingang für langlebige Wirtschaftsgüter ist zuletzt stark eingebrochen. Auf Jahressicht ging der Auftragseingang um 3,5 % zurück. Einen so starken Rückgang während einer wirtschaftlichen Expansionsphase gab es seit mehr als 2 Jahrzehnten nicht mehr.

Es ist nicht nur der Auftragseingang, der Sorgen bereitet, sondern auch die Produktionsdaten. Der Auftragseingang ist ein guter Vorlaufindikator. Konsumenten kaufen und bestellen weniger langlebige Wirtschaftsgüter, wenn sie weniger optimistisch in die Zukunft blicken. Da zwischen dem Auftragseingang (z.B. Bestellung eines Autos) und der Auslieferung viel Zeit vergehen kann, ist der Auftragseingang ein guter Vorlaufindikator.

Der Vorlaufindikator zeigt eine Abkühlung der Wirtschaft. Das tut er schon seit Monaten und inzwischen zeigt sich auch in den Produktionsdaten, dass die Abkühlung tatsächlich eingetreten ist. Grafik 1 zeigt die US Industrieproduktion und das Wirtschaftswachstum seit 1919. Je weiter man zurückgeht, desto größer waren die Schwankungen in der Produktion und dem gesamten Wirtschaftswachstum.

Wichtig ist nicht so sehr die Schwankungsbreite, sondern das Zusammenspiel aus Industrieproduktion und gesamten Wirtschaftswachstum. Ein Einbruch in der Industrieproduktion führte bis in die frühen 80er Jahre zwangsläufig zu einer Rezession für die gesamte Wirtschaft. Dieser Zusammenhang gilt seit zwei Jahrzehnten so nicht mehr.

Vor 20 Jahren trug die Industrie noch knapp 20 % zur Wirtschaftsleistung bei. Vor 50 Jahren war es noch fast die Hälfte. Die Bedeutung der Industrie und des Gewerbes nimmt stetig ab. Heute trägt der Sektor noch 12 % zur Wirtschaftsleistung bei. Sinkt die Industrieproduktion um 10 %, dann dämpft das das gesamte Wachstum um 1,2 %. Wächst der Rest der Wirtschaft gleichzeitig noch 2 %, dann befindet sich die Wirtschaft nicht in der Rezession, sondern expandiert gesamtheitlich noch immer mit 0,6 %.

Der Dienstleistungssektor hat in den USA nach Daten der Weltbank einen Anteil an der Wirtschaftsleistung von knapp 80 %. Gewerbe und Industrie können also sehr wohl in einer Rezession stecken, während die übrige Wirtschaft weiter expandiert. Das wäre nicht das erste Mal in der Geschichte.

Die US Wirtschaft ist natürlich nicht vollkommen resistent gegen einen Abschwung im produzierenden Gewerbe. Der Abschwung reduziert das Gesamtwachstum. Solange die restliche Wirtschaft allerdings weiterhin expandiert ist nicht mit einer Rezession in den USA zu rechnen. Der private Konsum ist nach wie vor stark und wächst mit einer soliden Jahresrate von 2,2 %.

Der Privatkonsum ist letztlich das, was die US Wirtschaft über Wasser hält. Zeichen einer substantiellen Ermüdung des Privatkonsums gibt es nicht. Der Konsum wächst nicht mehr so schnell wie vor der Finanzkrise. Das verhindert derzeit auch eine raschere Expansion der Wirtschaft. Alle warten nach wie vor auf Wachstumsraten von 3 % und mehr, doch das wird es auf absehbare Zeit nicht geben – und das ist gut so.
US Bürger sparen mehr als vor der Finanzkrise. In den Jahren 2005 bis 2007 lag die Sparquote bei weniger als 3 %. Gleichzeitig stiegen die Schulden rasant an. Es wurde auf Kredit konsumiert. Dabei verspekulierten sich die Konsumenten. Die Rechnung wurde 2008 präsentiert.
Mit einer Sparquote von derzeit mehr als 5 % können sich Konsumenten weiter entschulden, besser für die Zukunft vorsorgen und in schlechteren Zeiten für Stabilität sorgen. Durch höhere Rücklagen sollte sich der Konsum in den USA deutlich stabiler entwickeln – auch in Zeiten von Nullwachstum oder einer Rezession. Das wiederum sollte auch der gesamten Wirtschaft ermöglichen konstant und langfristig zu wachsen. Es wird durch die neue Sparfreude der Amerikaner keinen massiven Wirtschaftsboom mehr geben, doch das ist langfristig gesehen auch sehr viel besser, als von einem Boom-Bust Zyklus in den nächsten zu schlittern.

Ein Ende des moderaten Aufschwungs ist nicht in Sicht. Der Arbeitsmarkt ist nach wie vor gesund. Grafik 2 zeigt das Wirtschaftswachstum und das Stellenwachstum der USA. Der Zusammenhang von BIP-Wachstum und Stellenwachstum ist sehr viel klarer und konsistenter als der vom BIP-Wachstum und Industrieproduktion. Solange der Arbeitsmarkt weiter rund läuft muss man sich um die Wirtschaft keine Sorgen machen.

Viele Beobachter sind wegen des Aufschwungs auf dem Arbeitsmarkt und niedrigem Wachstum nach wie vor skeptisch. Für sie passt das alles nicht zusammen. Wie können so viele Jobs geschaffen werden, wenn die Wirtschaft nur wenig wächst? Diese Frage drängte sich vor allem im vierten Quartal 2015 auf. Die Wirtschaft wuchs nur noch mit einer Jahresrate von 0,7 %. Das Stellenwachstum war allerdings höher als in den beiden Quartalen zuvor, die deutlich höheres Wachstum zeigten.

Das Rätsel um das Jobwunder und gleichzeitig niedrigem Wachstum lässt sich durch zwei Besonderheiten der US Wirtschaft erklären. Die erste Besonderheit wurde bereits erwähnt. Es handelt sich dabei um den starken Dienstleistungsanteil an der Wirtschaft. Je mehr Menschen im Dienstleistungsgewerbe beschäftigt werden, desto langsamer wächst letztlich der Output.

Man kann sich das anhand eines einfachen Beispiels vorstellen: In der Produktion werden Beschäftigte produktiver (es kann immer mehr pro Person produziert werden), weil sie durch technologische Innovation unterstützt werden. Konnte ein Arbeiter vor 50 Jahren pro Monat ein Auto herstellen, tut er es heute durch mehr Automation in zwei Tagen.
Im Dienstleistungsgewerbe ist das anders. Ein Friseur kann noch so viel investieren, die Haare werden dadurch auch nicht wesentlich schneller geschnitten. Der Output kann durch Investitionen nicht so schnell wachsen wie in der Industrie.
In den USA wird immer weniger investiert. Das drückt das Wirtschaftswachstum ebenfalls. Es ist jedoch vor allem ein Zeichen dafür, dass immer mehr Output aus dem Dienstleistungsbereich kommt und weniger aus der Industrie. Kurzfristig ist dieser Wandel schwierig, weil es das Wachstum dämpft. Langfristig sollten die Effekte von geringeren Investitionen nicht mehr so deutlich zu spüren sein.

Derzeit machen sich niedrigere Investitionen vor allem im Rohstoffbereich bemerkbar. Auf Jahressicht haben sich die Investitionen halbiert. Das senkte das Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr um geschätzte 0,3 Prozentpunkte. Den Arbeitsmarkt lässt das jedoch kalt. Das ist die zweite Besonderheit. In jenen Sektoren, die vom Abschwung betroffen sind, werden unterproportional viele Menschen beschäftigt. Der Rohstoff- und Energiesektor (inkl. Versorger) repräsentiert 4 % des Bruttoinlandsproduktes, aber nur 1,5 % der Beschäftigten. Der Sektor kann das Wachstum nach unten drücken, doch es wird nicht dazu führen, dass die Arbeitslosigkeit steigt. Dafür hat der Bereich zu wenige Beschäftigte.

Die Chancen auf ein weiterhin solides US Wachstum stehen gut. Seit der Finanzkrise hat sich die US Wirtschaft weiter deindustrialisiert. Das führt unter Analysten zu einer gewissen Verwirrung, weil sie nicht verstehen wie die Wirtschaft weiter wachsen kann, wenn die Industrie in der Rezession steckt. Als Anleger sollte man sich davon nicht zu sehr verwirren lassen. Erst wenn der Jobmotor stottert wird es ernst. Bereits am Freitag werden diesbezüglich neue Daten erhalten, wenn der Arbeitsmarktbericht für Januar ansteht. Es ist wirklich zu hoffen, dass die Daten gut ausfallen. Alles andere wäre eine Katastrophe.

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5 Kommentare

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  • Kasnapoff
    Kasnapoff

    Die unterschiedlichen Puzzleteile signalisieren für die US-Wirtschaft seit längerem Gefahr. Mittlerweile sind wir an einem Punkt, wo auch ein der US-Wirtschaft grundsätzlich positiv gegenüberstehender Beobachter, diese Warnzeichen nicht mehr übersehen kann.

    1. Autoboom am Top.

    2. Immobilienmarkt schwächelt.

    3. Kreditzyklus dreht.

    4. Vorauslaufende Inikatoren wie Auftragseingang Industrie oder Einkaufsmanagerindices mies.

    5. Frackingindustrie in sehr großen Problemen und da hängen einige hundert Milliarden USD Problemkredite dran.

    Der langfristige Aktieninvestor wird sich wahrscheinlich die Frage stellen, ob unter diesen Voraussetzungen ein Investment Sinn macht. Nun, die US-Märkte sind höchst ambitioniert bewertet und was hoch bewertet ist, kann tief fallen, wie es beispielsweise der japanische Aktienmarkt vorexerziert hat. Das ATH am japanischen Akktienmarkt liegt nun 26 Jahre zurück und im Januar 16 ist dieser Markt immer noch über 50 % von seinem Hoch entfernt. Falls es also knallt und die Notenbanken nicht mehr so retten können wie in 2008, benötigt man eventuell einen verdammt langen Atem

    23:28 Uhr, 03.02.2016
  • Jason25
    Jason25

    Herr Schmale finden Sie nicht, dass der Vergleich mit dem Friseur etwas hinkt?

    Ein Friseur wird nur dann mehr MA einstellen, wenn er mehr Kunden hat, sprich Wachstum. Des weiteren verdient der gemeine Friseur im Mindestlohnbereich, wogegen der gutbezahlte Ingenieur sich jeden Tag die Haare schneiden lassen kann.

    Somit hängen an jedem "echten" Job (egal ob hochwertige Dienstleistung oder Industrie-Angestellter) eine Vielzahl an Service-jobbern, die an der Kasse Tüten packen, etc.

    21:26 Uhr, 03.02.2016
  • 0815
    0815

    Gut dass der ISM im Dienstleistungsbereich heute deutlich abgenommen hat. Vielleicht gehts ja ohne Industrie aber der amerikanischen Wirtschaft geht es trotzdem zunehmend schlechter. Eine Rezssion steht tatsächlich kurz bevor.

    19:40 Uhr, 03.02.2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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